Tuaregrebellen rufen eigenen Staat aus: Revolte gegen kolonialistische Grenzen

Im Norden Malis erklärt die Rebellenarmee MNLA die Unabhängigkeit. Das von ihr beanspruchte Gebiet nennen sie „Azawad“.

Wird vielleicht künftig Bürgerin eines neuen Staates: Bamako am 6. April 2012. Bild: dpa

BERLIN taz | Malis Tuaregrebellen machen Ernst. In der Nacht zum Karfreitag erklärte die Rebellenbewegung MNLA (Nationalbewegung zur Befreiung von Azawad) die Unabhängigkeit des von ihr beanspruchten Gebietes unter dem traditionellen Tuaregnamen „Azawad“.

„Angesichts der vollständigen Befreiung des Territoriums von Azawad rufen wir unwiderruflich den unabhängigen Staat Azawad aus, ab diesem Freitag, 6. April 2012“, heißt es in der Erklärung. Man werde einen demokratischen Staat aufbauen und die Grenzen zu allen Nachbarn anerkennen. Die Weltgemeinschaft solle Azawad „unverzüglich“ anerkennen, „im Geist von Gerechtigkeit und Frieden“.

Die Abspaltung Azawads ist das erklärte Ziel der MNLA, seit sie im Januar den Kampf gegen Malis Armee aufnahm, und das beanspruchte Gebiet ist präzise definiert. Die Unabhängigkeitserklärung folgt auf die jüngsten militärischen Erfolge der Rebellen: Erst am vergangenen Wochenende eroberten sie die drei großen Städte des Nordens, Kidal, Gao und Timbuktu. Zuvor hatte Malis Armee in der Hauptstadt Bamako geputscht.

International isoliert

Die Putschisten sind international isoliert, und die Armee hat den Kampf gegen die Rebellen praktisch eingestellt. Zugleich machen sich im Rebellengebiet islamistische Tendenzen breit, gegen die sowohl die MNLA als auch die Putschisten in Bamako internationale Hilfe fordern.

So manche Afrikaner trauen aber der Tuaregrevolte nicht. Sie erinnern sich an gescheiterte Versuche Frankreichs vor fünfzig Jahren, die Entkolonialisierung Afrikas durch die Schaffung eines Sahara-Satellitenstaates zu schwächen: die Gemeinsame Organisation der Sahara-Regionen (OCRS) im Süden Algeriens sowie dem Norden Malis und Teilen von Mauretanien, Niger und Tschad. Dort sollten unter französischer Ägide Uran und Erdgas gefördert und Atomtests durchgeführt werden können.

Afrikas Befreiungskämpfer verwahrten sich dagegen und errichteten stattdessen Zentralstaaten nach sozialistischem Muster mit dem Anspruch, die Wüstengebiete von fernen Hauptstädten aus zu kontrollieren. Seitdem gelten Tuareg, Berber und andere Wüstenvölker vielen Modernisierern Nord- und Westafrikas als suspekt und ihre Wünsche nach kultureller und politischer Eigenständigkeit als subversiv.

Die MNLA setzt dem nun entgegen: Bei der Unabhängigkeit Französisch-Westafrikas 1960 habe man Azawad ohne die Zustimmung seiner Bewohner Mali angegliedert, erklärt sie. Explizit bezieht sich die Unabhängigkeitserklärung auf einen Brief des Kadis von Timbuktu und anderer Tuaregwürdenträger an die französische Kolonialmacht vom 30. Mai 1958. Darin wenden sich die Unterzeichner gegen die Unabhängigkeit Malis: „Wir wollen französische Muslime bleiben“, schreiben sie, „integraler Bestandteil der französischen Nation“, statt von einer „Minderheit afrikanischer Politiker, die nicht einmal richtige Bürger ihres eigenen Landes sind“, regiert zu werden.

So würden die Tuareg das heute nicht mehr ausdrücken. Keine Tuaregrebellion ist allerdings so weit gegangen wie jetzt die MNLA bei der Ablehnung des Staates, in dem sie lebt.

International wird die Unabhängigkeitserklärung zurückgewiesen. Sie sei „null und nichtig“, so das französische Außenministerium. Die Afrikanische Union erklärte, sie „habe keinen Wert“. In Bamako indes sehen Beobachter Malis finsterste Stunde seit der Unabhängigkeit gekommen. „Eine erniedrigte Nation“, charakterisiert die Zeitung Le Républicain den Zustand des Landes. „In den Dreck gezogen, dann zerstückelt und auf den Index gesetzt.“

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