Türken vor dem Europäischen Gerichtshof: Keine direkte Klage erlaubt

Wer von den Säuberungen nach dem Putschversuch in der Türkei betroffen ist, darf sich nicht gleich an den Gerichtshof für Menschenrechte wenden.

Demonstranten rufen Slogans gegen die Säuberungen in der Türkei

Kann das türkische Verfassungsgericht noch unabhängig entscheiden? Foto: reuters

BERLIN taz | Die Betroffenen der türkischen Säuberungen nach dem Putschversuch können nicht direkt in Straßburg klagen. Dies entschied am Donnerstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Zuerst müsse der türkische Rechtsweg ausgeschöpft werden.

Im konkreten Fall ging es um die Beschwerde der türkischen Richterin Zeynep Mercan aus der Stadt Giresun am Schwarzen Meer. Sie war im Juli am Tag nach dem Putschversuch vom Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte ihres Amts enthoben worden – wie rund 2.900 andere Richter.

Bereits einen Tag später wurde sie in Untersuchungshaft genommen, wegen der hohen drohenden Strafe bestehe Fluchtgefahr. Der Frau wurde vorgeworfen, sie sei Mitglied einer angeblichen Terrororganisation namens Fetö, die vom Prediger Fetullah Gülen gesteuert werde und für den Putschversuch verantwortlich sei. Ein Gericht in Ordu lehnte im August die Haftbeschwerde der Frau ab.

Drei Wochen später reichte Mercan Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein. Sie bestritt, etwas mit der Fetö-Organisation und dem Putsch zu tun zu haben, dafür gebe es keine Beweise. Deshalb verstoße ihre Inhaftierung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Zudem reklamierte sie unmenschliche Haftbedingungen, da sie mit sieben Gefangenen in einer Zelle für vier Personen untergebracht ist.

Klage: „unzulässig“

Eine siebenköpfige Kammer des Gerichtshof für Menschenrechte unter Leitung der estnischen Richtern Julia Laffranque lehnte Mercans Klage nun als „unzulässig“ ab. Mercan habe den türkischen Rechtsweg nicht ausgeschöpft, weil sie nicht das türkische Verfassungsgericht angerufen habe.

Mit keinem Wort ging der Straßburger Gerichtshof auf Mercans Argument ein, dass nach dem Putschversuch selbst am türkischen Verfassungsgericht zwei Richter verhaftet wurden und dieses daher nicht mehr in der Lage sei, unabhängig zu entscheiden. Stattdessen erinnerten die Straßburger Richter an eine Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts vom Februar (also vor dem Putschversuch), als die Verfassungsrichter die Freilassung der wegen Geheimnisverrat beschuldigten Cumhurryiet-Journalisten Can Dündar und Erdem Gül anordneten.

Seit dem Putsch im Juli sind rund 3.000 türkische Beschwerden eingegangen

Seit Juli sind in Straßburg bereits rund 3.000 türkische Beschwerden im Zusammenhang mit den Maßnahmen nach dem Putschversuch eingegangen. Diese Klagen dürften nun für unzulässig erklärt werden. Noch Anfang der 2000er Jahre konnten sich Türken mit Foltervorwürfen direkt an den Straßburger Gerichtshof wenden, weil in der Türkei keine faire Untersuchung zu erwarten sei. Erst in Erdoğans Regierungszeit verbesserte sich die Menschenrechtslage und die Bereitschaft der Justiz, solche Fälle zu prüfen.

Sollte das türkische Verfassungsgericht die Klage von Mercan nicht adäquat behandeln, kann sie erneut vor dem Gerichtshof in Straßburg klagen.

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