Twombly-Ausstellung im Schloss Gottorf: Von der Schwierigkeit, die Welt im Bild zu erfassen

Eine Ausstellung in Schloss Gottorf zeigt die wahrnehmungs-zersetzenden Arbeiten von Cy Twombly. Der zuletzt in Rom lebende Künstler interessierte sich für die Auslassungen, Überlagerungen und Leerstellen.

Biologische Lehrtafeln neu collagiert: "Natural History, Part I, Mushrooms" [Ausschnitt]. Bild: Museum Schloss Gottorf

SCHLESWIG taz | Rote Rosen sollen es sein, was die drei quadratischen Fotodrucke zeigen. Doch eher sind es Farbkringel, abgelichtete Ausschnitte aus einem gemalten Bild. Darunter, gleichermaßen als Druck vom Polaroidfoto nebeneinander gehängt, drei weiße Blumen. Möglicherweise sind es Päonien, doch das ist schwer zu sagen, denn Blüte und Blätter sind verschwimmend unscharf und überbelichtet.

Diese und andere, ähnlich rätselhafte kleine Bilder sind kaum eindeutig erkennbar, weniger Abbild als Notation einer Stimmung. Ein vergänglicher Hauch von Blumen, die Wasserschrift der Wellen oder hoher Himmel am Strand, unwirklich weiche Spiegelungen der Arkaden am Münchner Hofgarten, Objekte vom Flohmarkt, in Traumbilder auratisiert, und beiläufige Details aus dem eigenen Studio: Wer wagt es, uns mit dergleichen aufwendig produzierten Kleinigkeiten zu beschäftigen, mit Nichtigkeiten die große Frage nach der Realität der Welt und ihrer Abbildbarkeit zu stellen?

Die neueren Fotoeditionen und älteren Druckgrafiken der kleinen, feinen Ausstellung im Kreuzstall von Schloss Gottorf in Schleswig stammen von Cy Twombly. Dieser 1928 in Lexington, Virginia, geborene Amerikaner gehört zu den bestbezahltesten Kunststars der Gegenwart. Der Sohn eines Baseballprofis und Sportlehrers hatte in der Blütezeit des Abstrakten Expressionismus unter anderem in New York und am legendären Black Mountain College studiert. Dort unterrichteten auch Franz Kline und Robert Motherwell, dort trafen sich Fotografen und Dichter, auch der Tänzer Merce Cunningham und der Künstler-Komponist John Cage.

Twombly freundete sich mit Robert Rauschenberg an, beide reisten dann 1953 nach Italien, Nordafrika und Spanien. In der anschließenden Zeit beim US-Militär war es seine Aufgabe, Nachrichten zu verschlüsseln: Es ist gut vorstellbar, dass dies für den leidenschaftlichen Zeichner zusätzlich prägend war.

1957 ging Cy Twombly wieder nach Italien und lebte seitdem im Wesentlichen in und bei Rom, wenn er nicht die Mittelmeerregion bereiste oder in seinem New Yorker Atelier war. Dieser Amerikaner wurde ein überzeugter Europäer, er liebte die mittelmeerische Lebensart und staunte vielleicht mehr über die alte Kultur als viele, die es gewohnt sind, hier zu leben. Er übertrug den amerikanischen Abstrakten Expressionismus in eine Haltung, in der sich der große Anspruch der europäischen Kultur ausdrücken lässt, ihr auch unbewusstes und unterschwelliges Wirken.

Die Namen der abendländischen Dichter und Denker schrieb er gestisch roh und ungelenk, keineswegs in ewig gültigen goldenen Lettern, sondern im Wissen um die Schwierigkeit des eigenen Zugangs, ja fast scheu, sie zu zitieren, auf Leinwand und Papier: Homer, Theokrit und Plato, Tacitus, Horaz oder Ovid.

Nur den Rhythmus und die Anmutung umsetzend, zitierte er berühmte Gedichte in unlesbaren Zeichen. In seinen "Roman Notes" füllte er Blätter mit seiner eigenen, frei aus der Bewegung entstehenden Schrift und überschrieb sie mehrfach: Palimpseste einer andauernd bis zur Unentzifferbarkeit überlagerten Kultur, Ausdruck eines im mehrtausendjährigen Rom durchaus verständlichen Eindrucks.

Nicht nur Geschichte und Philosophie interpretierte Cy Twombly auf seine Art. Auch biologische Lehrtafeln wurden von ihm dekonstruiert, überzeichnet und neu collagiert: "Natural History, Part I, Mushrooms" etwa zeigt in zehn Lithographien eine Umsetzung in ein höchst subjektives, kaum nachvollziehbares System.

Doch was nützt schon angeblich objektives Wissen, wenn es nicht persönlich angeeignet wird? Und wie objektiv sind eigentlich Systematiken, die zwar Bilder von Pilzen zeigen, aber nichts über das wirklich Großartige, das unsichtbare, unterirdische, weitverzweigte Myzelnetz aussagen? Gerade das Myzel ist doch eine gute Analogie zum komplizierten Prozess des Beziehungstiftens, des Verstehens, des eigenen Wiederaneignens des historisch Überlieferten.

Gleich ob in den atmosphärischen Fotos oder in den skripturalen, viele Leerräume lassenden Zeichnungen, Cy Twombly zeigt immer wieder, dass die Wahrheit nicht in der eindeutigen Abbildung liegt, sondern ein höchst fragiles Konstrukt ist, das immer wieder neu konstituiert werden muss. Die Dinge sind nicht, was sie scheinen, sie sind das, was wir in ihnen sehen können. Es gilt also nicht, etwas bereits Ausformuliertes zu erkennen und zu entschlüsseln, es bleibt immer nur der Verweis auf einen offenen Prozess individueller Aneignung.

Cy Twombly nennt diese verunsichernde Funktion seiner Arbeiten "das Auf- oder Einschmelzen von Gedanken und Gefühlen". Das mag manchen zu wenig sein. Andere finden gerade diese nur anstoßenden Hinweise meisterlich.

Cy Twombly ist am 5. Juli mit 83 Jahren in Rom verstorben. Er lebt weiter in den Leerstellen seiner Arbeit, denn er wird die Nachwelt paradoxerweise weiter mit dem beschäftigen, was er gerade nicht dargestellt hat.

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