Typisch deutsche Gutmenschen: „Man darf auch komisch sein“​

In der Komödie „Wir sind keine Barbaren!“ setzt sich Regisseur Murat Yeginer mit Vorurteilen in einer Gesellschaft auseinander, die sich für weltoffen hält.

Drei Menschen liegen vor Gebirgspanorama

Eine Frage der Vorurteile: Im Winterhuder Fährhaus wird die Hautfarbe thematisiert. Foto: Oliver Fantisch

taz: Herr Yeginer, Philipp Löhles Komödie „Wir sind keine Barbaren!“ setzt sich mit den Vorurteilen gegenüber Fremden in einer Gesellschaft auseinander, die sich für tolerant und weltoffen hält.

Murat Yeginer: Es geht um ein ganz normales Paar, das man gut im Hamburger Stadtteil Winterhude ansiedeln könnte: Gut verdienend, er ist Elektroingenieur, sie vegane Köchin, alles ist wunderbar. Es ziehen neue Nachbarn ein, man lernt sich kennen, fühlt sich als Gleichgesinnte. Eines Abends klopft es bei einem der beiden Ehepaare an die Tür. Es ist ein Schwarzer, sie lassen ihn in ihre Wohnung.

Und dann?

Er übernachtet dort. Das benachbarte Ehepaar ist überrascht. Nach und nach kommen die Vorbehalte auf den Tisch: Du kannst doch nicht einen Wildfremden hier aufnehmen! Dann passiert die Katastrophe: Die Ehefrau ist, so scheint es, mit dem Gast abgehauen. Schließlich wird sie tot aufgefunden, im Wald verscharrt. Man nimmt sofort an, der Schwarze sei es gewesen. Alle Vorurteile, die man so hat, tauchen dann auf. Er wird verurteilt, aber dann nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung.

Löhle schreibt mit viel Humor. Aber ist die Komödie eine angemessene Form für Gesellschaftskritik?

Die große Stärke des Stückes ist, dass Philipp Löhle gesellschaftliche Gedanken aneinander gekettet hat und diese Worthülsen, die wir alle benutzen, plötzlich so geballt daherkommen, dass man merkt, was für eine Gefährlichkeit in ihnen steckt. Natürlich muss man das über die Überspitzung machen, über Satire, über das komödiantische Element. Ich treibe die Absurdität dieser ganzen Thematik auf die Spitze. Aber ich achte auch darauf, dass es nicht überhand nimmt.

Das Stück ist kritisiert worden, weil es allzu leichtfertig und boulevardesk mit einem ernsten Thema umgehe.

Da kann ich als Migrant sagen: Das ist typisch deutsch. Wenn ich versucht habe, die Integrationsproblematik mit Humor zu nehmen, hat mir die Presse oft vorgeworfen, dass das Thema dafür doch viel zu ernst sei. Dann sage ich: Ich lebe das jeden Tag. Jeden Morgen, wenn ich zum Bäcker gehe und er mich nicht kennt, zögert er für einen Moment und fragt sich: Hoffentlich spricht der meine Sprache. Damit kann man doch nur mit Humor umgehen. Ich suche deshalb immer Stoffe, die damit leichtfertiger umgehen.

57, geboren in der Türkei und aufgewachsen in Hamburg und München, ist Schauspieler, Regisseur und Autor. „Mich hat das Theater in Deutschland integriert“, ist er überzeugt.

Das Stück unterscheidet sich von der ungebrochenen Leichtigkeit klassischer Boulevardstoffe. Soll den Zuschauern das Lachen im Hals stecken bleiben?

Ich denke, das wird es. Die Leute werden sich schon fragen: Wo sind wir denn hier eigentlich gelandet? Ich hoffe, dass wir es hinbekommen, dass sie immer wieder in die Falle tappen und sich fragen: Ist es eine Komödie? Was ist es?

Soll sich das Publikum erwischt fühlen?

Das ist so ein Punkt, an dem es moralisierend wird. Das möchte ich aber nicht. Ich möchte nicht sagen: Ich als Gutmensch zeige euch ein Stück und erwische euch. Aber ich möchte schon, dass man über das Stück nachdenkt und mit der thematisierten Problematik vielleicht anders umgeht.

„Gutmensch“ ist einer der Kampfbegriffe von Bewegungen wie Pegida aus Dresden und ihren lokalen Ablegern. Was verstehen Sie darunter?

Ich habe meiner Gutmenschin im Stück, der veganen Köchin, gesagt: Spiele es unbedingt überheblich, spiele es belehrend, nicht als Pilgerin auf dem Weg nach Santiago de Compostela. Der Gutmensch ist einer, der politisch korrekt ist.

Vermittelt das Stück denn eigentlich gar keine Moral?

Philipp Löhle gibt da keine Richtung vor. Er zeigt nur, wie der Gedanke, den man hat, daneben liegen kann, wie man etwas absolut fehlinterpretieren kann. Es läuft nur über Fehlinterpretationen. Alles wird immer interpretiert und interpretiert, so wie wir es gewohnt sind. Ich kann mich damit sehr gut identifizieren. Zu sagen, jetzt müssen wir den Leuten die Moral der ganzen Geschichte zeigen, ist sehr deutsch.

Der Mann, der bei einem der beiden Ehepaare klopft und um Unterkunft bittet, taucht selbst auf der Bühne nicht auf. Wieso nicht?

Weil es eben unsere Assoziationen sind, die ihm ein Aussehen geben. Die eine sagt: ebenholzartig, groß, gut gewachsen. Die andere sieht die angesprochenen Narben im Rücken und sagt: Das ist ja furchtbar. Der eine Ehemann sagt: Mister 30 Zentimeter.

Im Gegensatz zum Löhle-Text ist einer der Ehemänner bei ihnen selbst schwarz.

Ich habe mir diese Freiheit gegönnt. Er ist aber auch der einzige, der mit einem richtigen Hamburger Slang spricht, ein echter Hamburger Jung eben. Und er ist die einzige Figur, die am Schluss in der Schwebe ist, sich dann aber doch vom Volk vereinnahmen lässt. Auch der Chor, der das deutsche Volk darstellt, ist bei uns nicht nur weiß. Auch da sind Dunkelhäutige dabei, die sagen: Wir sind deutsch, wir sind anders als die. Die Grenze besteht nicht nur zwischen Flüchtlingen und „reinen Deutschen“, auch Migranten, die schon länger hier sind, haben diese Vorurteile.

Premiere: 26.8., 19.30 Uhr, Komödie Winterhuder Fährhaus, Hudtwalckerstraße 1, Hamburg. Weitere Aufführungen bis 25.10.

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