US-Diplomatie in Israel: US-Vize Vance glaubt noch an Frieden
Hofft auf „Gottes Hilfe“: US-Vizepräsident Vance ist mit einer Delegation in Israel. Ziel ist, Druck auf beide Kriegsparteien auszuüben.

taz | J.D. Vance gibt sich in Israel als Mann des Glaubens. Und Glaube braucht der US-Vizepräsident tatsächlich: Sein Besuch dieser Tage in Israel wird von vielen Beobachtern als Rettungsmission beschrieben. Denn Anfang der Woche war die nur unter massivem Druck der USA zustande gekommen Waffenruhe im Gazastreifen beinahe zerbrochen. Am Sonntag hatte Israel rund zwei Dutzend Ziele in Gaza bombardiert und nach Angaben des von der Hamas geleiteten Zivilschutzes 45 Menschen getötet. Zuvor waren bei einem Angriff in Rafah zwei Soldaten gestorben. Die Hamas erklärte, nichts mit der Attacke zu tun zu haben.
„Dies ist nicht das Ende des Friedensplans“, beteuerte Vance jedenfalls vor Journalisten in Israel vor seinem Treffen mit Regierungschef Benjamin Netanjahu am Mittwoch. Begleitet wurde er vom US-Sondergesandten Steve Witkoff und Jared Kushner, der ebenfalls eine Vermittlerrolle hat.
Ausbrüche von Gewalt seien „genau was passiert, wenn man Menschen hat, die sich hassen und lange bekämpft haben“. Die Umsetzung des Trump-Plans gehe besser als gedacht. Zum Abschluss bat er alle Gläubigen, um ein Wunder zu beten. „Wir haben wichtige Schritte gemacht, wir müssen noch viele weitere machen, aber ich denke, mit Gottes Hilfe und einem sehr guten Team hinter mir können wir es schaffen.“
Nach seinem Treffen mit Netanjahu war Vance' Glaube ungebrochen: „Ich bin optimistisch“, sagte er. Dass nach Vance, Witkoff und Kushner am Donnerstag auch noch US-Außenminister Marco Rubio in Israel landen soll, zeigt, dass die US-Regierung für die Umsetzung des 20-Punkteplans von US-Präsident Trump aktuell viel zu investieren bereit ist.
Zur Überwachung des Waffenstillstands haben rund 200 US-Soldaten ihren Dienst im dafür eingerichteten zivilmilitärischen Koordinierungszentrum (CMCC) in der israelischen Stadt Kiryat Gat aufgenommen. Ein weiteres Novum: Die US-Vermittler Witkoff und Kushner sagten in einem Interview mit dem US-Sender CBS, Trump habe ihnen genehmigt, direkt mit der von den USA als Terrororganisation eingestuften Hamas zu sprechen.
Washington baut gerade Druck auf beide Seiten in diesem Krieg auf. Schon Witkoff und Kushner hatten Netanjahu gedrängt, die Kämpfe in Gaza nicht wieder aufzunehmen. Vance wies erneut Vorwürfe der israelischen Führung zurück, die Hamas würde absichtlich die Rückgabe der sterblichen Überreste israelischer Geiseln verzögern.
Am Dienstagabend waren die Leichen von Arye Zalmanovich und Tamir Adar übergeben worden. Damit befinden sich noch 13 tote Geiseln im Gazastreifen. „Manche dieser Geiseln sind unter Tonnen von Schutt begraben“, sagte Vance, und warb für Geduld.
Die Hamas versicherte in einer Mitteilung, zu dem Abkommen zu stehen. Vance drohte der radikalislamischen Palästinensergruppe, wenn sie ihre Waffen nicht abgebe und aufhöre, Palästinenser zu töten, werde sie „zerstört“. Eine Frist für die Entwaffnung wollte er nicht festlegen.
Derweil teilte das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium in Gaza mit, dass bei 165 von Israel rücküberstellter Leichen palästinensischer Gefangener Spuren von Folter und Hinrichtungen festgestellt worden seien. Israels Armee und eine Sprecherin der Regierung wiesen die Darstellungen zurück.
Vor den Verhandlern liegen schwierige Gespräche: Wer soll künftig in Gaza die Macht ausüben? Welche internationalen Truppen werden in dem Küstenstreifen die Ordnung aufrechterhalten? Wird die Hamas ihrer Entwaffnung zustimmen, und wann werden sich Israels Truppen, die noch immer 50 Prozent des Gebietes besetzen, zurückziehen?
Geplant war laut Medienberichten zuletzt eine Beteiligung der Türkei an einer internationalen Truppe in Gaza. Israel schließt das aus, weil sie die türkische Führung ideologisch zu nahe an der Hamas sieht. Auch bei Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten sorgt die enge Einbindung der Türkei für Unmut.
Ein möglicher Plan scheint der schrittweise Wiederaufbau unter internationaler Aufsicht in entweder von Israel oder von internationalen Truppen kontrollierten Gebieten zu sein. So soll abseits der von der Hamas kontrollierten Zonen ein Gegenmodell entstehen, das den Bewohnern des Gazastreifens eine bessere Zukunft bringen soll. Auch ein solcher Plan aber wirft diverse Fragen auf, nicht zuletzt die nach der Einbindung der Palästinenser selbst. Vance wich Fragen dazu aus: Zunächst müsse es um humanitäre Versorgung und Sicherheit gehen. „Wenn wir den Punkt erreichen, über langfristige Regierungssysteme in Gaza zu sprechen, können wir uns bereits auf die Schultern klopfen.“
Mehrheit für Annexionen im Westjordanland
Israel verweigert laut den Vermittlern Katar und Ägypten bisher Verhandlungen über die zweite Phase eines Friedensplans, bevor nicht alle toten Geiseln zurück in Israel sind. Netanjahu verteidigt seinerseits die Waffenruhe gegen Kritik aus seiner Koalition: Manche seiner Minister wollen die Angriffe auf den Gazastreifen fortsetzen und das Gebiet besetzen. Am Mittwoch stimmte eine knappe Mehrheit rechter Abgeordneter zudem in erster Lesung für eine Annexion von Teilen des besetzten Westjordanlandes, trotz Warnungen der US-Regierung und gegen den Widerstand Netanjahus und seiner Likud-Partei.
Zudem muss Netanjahu sich aus den Reihen der Opposition Kritik gefallen lassen, Israel durch die Abhängigkeit von den USA zu einem „Vasallenstaat“ gemacht zu haben. Und er wehrt sich gegen wachsende Rufe aus der Bevölkerung, das Versagen der Sicherheitsbehörden im Vorfeld und am 7. Oktober selbst durch eine staatliche Untersuchungskommission aufarbeiten zu lassen.
Derweil mahnte ein Mittwoch veröffentlichtes Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, Israel müsse humanitäre Hilfe in den Gazastreifen lassen – und dafür auch mit dem UN-Hilfswerk für Palästinenser (UNRWA) zusammenarbeiten. Israel sei als Besatzungsmacht verpflichtet, für die Bevölkerung zu sorgen, heißt es darin. Das Gutachten ist nicht bindend. Israel untersagt dem UNRWA die Arbeit im Gazastreifen seit Januar.
Nach der ersten Euphorie über ein Ende der Gewalt, stehen nun also kleinteilige Verhandlungen an. Auf viele Fragen gibt es bisher über Optimismus und Gottvertrauen hinaus keine Antworten.
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