US-Militär-Video auf WikiLeaks: "Kollateralschaden" in Bild und Ton

12 Menschen werden 2007 in Bagdad von einem US-Kampfhelikopter beschossen und sterben. Das zeigt ein Militärvideo, das auf WikiLeaks zu sehen ist. Vermutlich unter den Opfern: zwei Journalisten.

Reuters-Chefjurist David Schlesinger: Ein \"drastischer Beweis für die Gefahren von Kriegsjournalismus und die Tragödien, die daraus resultieren können\". Bild: screenshot: wikileaks

BERLIN taz | Auf WikiLeaks.org steht vieles, was eigentlich niemand wissen darf: Geheimdienstdokumente oder Studien, die von Regierungen in Auftrag gegeben wurden, zu unbequemen Ergebnissen kamen und in den Giftschrank verbannt worden sind. Immer wieder findet sich in den inneren Zirkeln von ökonomischer und politischer Macht jemand, den moralische Bedenken dazu antreiben, der Öffentlichkeit diese Informationen nicht länger vorzuenthalten. Als Plattfom für diese so genannten undichten Stellen wurde die spendenfinanzierte Webseite von Bürgerrechtlern, Journalisten und Internetaktivisten gegründet.

Seit Montag kann man sich auf der Webseite unter der Überschrift "Kollateralmord" ein Video anschauen, das die Tötung von Zivilisten durch US-MIlitärs in Bagdad im Jahr 2007 zeigt. Die Macher von WikiLeaks schreiben, das Filmmaterial sei von Kameras an den Apache-Helikoptern der US-Armee aufgenommen worden. Selbstverständlich: Die Quelle würden sie nicht preisgeben. Es ist in der Originalversion sowie einer gekürzten 17minutigen Version mit einer vorangestellten Ayalyse zu sehen. Zwar gab es bis jetzt noch keine offizielle Reaktion des Pentagon, doch die Nachrichtenagenturen Reuters und AP, so heisst es bei der BBC, zitieren namentlich nicht genannte US-Militärs, die bestätigen, dass das Video echt sei.

Dem Filmmaterial, technisch von hoher Qualität, ist der Funkverkehr zwischen Hubschrauberpiloten und Bodentruppen untergelegt. Nach der Entschlüssellung des bei den Funksprüchen verwendeten Codes prüfte WikiLeaks eigenen Angaben zufolge die in dem Film enthaltenen Informationen, unter anderem in Gesprächen mit Zeugen und Journalisten, die in den Vorfall in einem Bagdader Stadtviertel direkt involviert waren.

Das Video zeigt eine Straße in Bagdad, auf der sich eine Gruppe von etwa acht Personen aufhält. Sie verhalten sich offensichtlich relaxed. Ein Pilot will sie aber als bewaffnete Aufständische identifiziert haben. Über Funk sagt er über eine der Personen auf der Straße: "Der hat eine Panzerabwehrrakete. Ich werde feuern." Nachdem eine andere Funkstimme den Piloten dazu drängt, "sie alle anzuzünden", wird die Gruppe durch die Bordkanone des Helikopters beschossen.

Einige Minuten später nähert sich ein Transporter der Szene. Dessen Insassen beginnen, eine verwundete Person aufzuladen. Auch sie werden beschossen. Insgesamt sterben bei diesem Angriff 12 Menschenn.

Die Funkstimme fährt fort: "Es sieht so aus, als am Wagen einige schwache Bewegungen wären. Könnte ein Kind sein". Später stellen die US-Soldaten am Boden fest, dass durch den Beschuss zwei Kinder Verletzungen erlitten hatten und stimmen zu, diese in ein Krankenhaus zu bringen. "Ihr Pech, wenn sie ihre Kinder mit in den Kampf nehmen", kommentiert eine weitere Funkstimme den Vorfall.

An jenem Tag im Juli 2007, an dem sich der Vorfall ereignete, wurden Saeed Chmagh und Namir Noor-Eldeen, zwei Journalisten, die für Reuters arbeiteten, getötet. Die US-Armee meldete, dass beide während Gefechten zwischen US-Truppen und Aufständischen ums Leben gekommen seien. Nach dem Vorfall gab es eine Untersuchung in den USA. Laut CNN stellte sich dabei heraus, dass die Besatzung eines Hubschraubers die Kameras der Journalisten für Waffen gehalten hat, während sie auf der Suche nach Aufständischen waren, die in der Gegend auf US-Truppen geschossen hatten. In einer schriftlichen Stellungnahme des US-Militärs heißt es, dass die involvierten Soldaten nichts von der Präsenz der Journalisten wussten und die zur Verfügung stehenden Informationen den Schluß nahelegten, dass es sich bei den Beschossenen um Aufständische und nicht um Zivilisten handelte. Unter Berufung auf den Freedom of Information Act forderte die Nachrichtenagentur im August 2007, Zugriff auf entsprechendes Videomaterial, um den Tod ihrer Mitarbeiter zu klären. Vergeblich. Seit Kriegsbeginn 2003 wurden insgesamt 139 Journalisten im Irak getötet. Davon waren fast 120 Iraker.

Eine Sprecherin der Nachrichtenagentur teilte gegenüber BBC mit, man sei sich noch nicht sicher, ob die beiden zu den Personen auf dem gezeigten Videomaterial gehörten. Allerdings veröffentlichte WikiLeaks mit dem Video auch eine Erklärung von Reuters-Chefjurist David Schlesinger. Darin erklärt dieser, das Video sei ein "drastischer Beweis für die Gefahren von Kriegsjournalismus und die Tragödien, die daraus resultieren können".

WikiLeaks wiederum kommentiert, das Video demonstriere, dass bei diesem Angriff auf jeden Fall Zivilisten getötet worden seien und dass hier das US-Militär seine eigenen Codizes verletzt habe.

Erst vor kurzem klagten die Macher von Wikileaks, dass sie zunehmend unter Überwachung durch die US-Regierung geraten seien und zudem unter Schikanen durch Regierungen und Regime weiterer Länder zu leiden hätten. So würden unter anderem China, Israel, Nordkorea, Russland, Vietnam und Simbabwe den Zugang zur WikiLeaks-Webseite blockieren. B.S & OP

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