US-Musikerin Meg Remy über neues Album: „Unordnung ist ein Mantra“

Die US-amerikanische Musikerin Meg Remy spricht über Kinder und Kreativität. Das neue Album ihres Projekts U.S. Girls entstand, als sie schwanger war.

Meg Remy sitzt zurückgelehnt auf steinernen Stufen.

Schwangerschaft als positive Erfahrung: Meg Remy Foto: Emma McIntyre

taz: Meg Remy, Sie haben während der Produktion an Ihrem neuen Album Zwillinge bekommen. Wie schaffen Sie das, Kinder und kreative Arbeit unter einen Hut zu bekommen?

Meg Remy: Ha! Ich glaube nicht, dass ich dafür die ideale Lösung gefunden habe. Ich habe Glück, dass wir ein kleines Aufnahmestudio im Keller unseres Hauses betreiben. Außerdem ist mein neues Album zusammen mit meinem Mann entstanden. Wir haben uns bei der Arbeit daran abgewechselt: Mal war ich im Studio und er bei den Kindern, dann umgekehrt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern scheint unmöglich. Aber es hilft, genau dies zu akzeptieren. Zu akzeptieren, dass man unterbrochen wird. Zu akzeptieren, dass man keine Pläne machen kann. Und ich habe gedacht: Wenn ich eines Tages auf dem Sterbebett liege, werde ich nicht denken, ach, hätte ich doch mehr gearbeitet, mehr Kunst gemacht. Sondern: Hätte ich doch mehr Zeit mit den Menschen verbracht, die ich liebe.

U.S. Girls wurde 2007 von Meg Remy gegründet. Die 1985 geborene Künstlerin begann zunächst als Soloprojekt auf den Underground-Bühnen Chicagos. Über die Jahre ergänzte sie weitere Instrumente und Musiker*innen. Das aktuelle Album „Bless This Mess“ (4AD/Beggars/Indigo) entstand mit ihrem Ehemann Max Turnbull.

Wie klappt es, mit dem eigenen Ehemann zusammenzuarbeiten?

Meine Stücke entstehen auf sehr unterschiedliche Weise. Manche nehme ich zunächst als A-cappella-Fassung auf und gebe ihm kleine Aufgaben fürs Arrangement und Instruktionen für die Aufnahme, die er dann umsetzt. Bei anderen bereitet er einen Basic Track der Musik vor und ich schreibe einen Songtext dafür. Wir scherzen immer, dass wir zusammen einen ganzen Künstler beziehungsweise eine Künstlerin ergeben, weil ich bestimmte Dinge gut kann, die er nicht so gut kann und er Dinge gut kann, die ich nicht kann. So geht es uns auch beim Eltern-Sein. Wir arbeiten und leben seit zehn Jahren zusammen, und nun kommt dieses komplett andere Element dazu – das hat unsere Verbindung noch mal extrem gefestigt.

Ihr Album heißt „Bless This Mess“. Was erscheint Ihnen an der Unordnung lobenswert?

Um unordentlich zu sein, muss die Unordnung erst mal als solche anerkannt werden. Der Albumtitel „Bless This Mess“ klingt wie einer dieser Sinnsprüche, die meine Oma und meine Tante über dem Waschbecken in der Küche stehen hatten. Irgendwie hat mich dieser Satz immer beruhigt. Ich versuche mittlerweile in meinem Leben, Dinge mehr anzunehmen. Alles, was ich mache, was ich jemals getan habe, was ich jemals tun werde. Das bedeutet nicht, dass alles großartig ist, was ich tue, – bei weitem nicht. Aber ich habe genug Zeit damit verbracht, mich im Bett herumzuwälzen und zu schämen. Ich finde, Scham ist eins der überflüssigsten Gefühle. „Bless This Mess“ ist für mich wie ein Mantra gegen die Scham.

Die Musik auf dem Album beginnt mit dem Song „Only Daedelus“ und einem funky Groove. Die Hookline erzeugen Sie mit Keyboard, was sehr an den synthetischen Sound der 1980er erinnert. Ihre Songs klingen überhaupt tanzbar und leicht. Wie kam das?

Ich liebe Musik, die klingt, als könnte man mit viel Swagger durch die Straßen laufen. Dieser Sound ist einfach ansteckend, einladend, spricht die Seele an. Das Stück hat auch was von klassischem Soul, obwohl es komplett mit synthetischen Instrumenten entstanden ist. Es ist menschlich und definitiv funky. Ich würde sagen, Groove ist ein wichtiges Element in der Musik.

Zugleich gibt es auch ruhigere Stücke auf dem Album.

Ja, wir waren nicht nur einem Vibe verpflichtet. Wir leben in einer Zeit, in der ein Beatles-Song direkt nach einem, sagen wir, Rapsong vom Wu-Tang Clan laufen kann. Stilbrüche schockieren niemanden mehr! Beim Arrangieren der Stücke dachten wir also: Lasst uns einfach Songs komponieren, die alle Facetten vereinen, die mich ausmachen: Meine Stimme, meine Perspektive, meine Texte. Das war auch eine Idee der „Mess“, des Chaos: Es ist ein Kuddelmuddel von Stilen und Genres. Seit der Covid-Pandemie entsteht Musik anders, man ist künstlerisch viel autarker und hat gleichzeitig mehr Möglichkeiten. Es ist einfach alles da, alle Instrumente, nichts begrenzt mich mehr. Und wenn ich sage, da ist durchweg ein Groove auf dem Album und ich möchte zur Musik tanzen können, dann kann das auch ein innerer Tanz sein, ich muss nicht notwendigerweise meinen Körper bewegen.

Im Text zum Auftaktsong singen Sie, „Only Daedalus could have thought of this“. Worauf wäre nur Daidalos gekommen?

Daidalos ist der Vater von Ikarus. Ikarus kennen wir alle: Er flog zu nah an die Sonne, und da seine Flügel aus Wachs und Federn bestanden, stürzte er ab und starb. Daidalos, sein Vater, hat diese Flügel entworfen. Und ich wusste nichts über ihn! Es ist doch interessant, wie selbst eine mythologische Figur nur über ein einziges Detail erinnert wird. Wir werden oft über unsere schlimmsten Fehler definiert, Stichwort Cancel Culture. Im Fall von Daidalos habe ich versucht, so viel wie möglich über ihn zu lesen, um mehr darüber zu erzählen, wer er war.

Was haben Sie über ihn in Erfahrung bringen können?

Es gibt etwa eine Geschichte darüber, dass Daidalos, nachdem er jemanden von der Klippe gestoßen hat, verbannt wurde und nach ihm gesucht wurde. Aber Daidalos war ein genialer Geist, und so ließ der König allen ein Rätsel stellen und sagte, derjenige, der die Antwort kennt, wird Daidalos sein, nur Daidalos wird darauf kommen. Ich sammle oft derartige kleine Artefakte und speichere sie, als würde ich eine Songtext-Bank füllen.

Gehen Sie immer so mit Recherche an die Texte heran?

Ich lese tatsächlich sehr viel und habe Kisten voller Notizbücher mit Songtexten, die höchstwahrscheinlich im Altpapier landen werden. Einen Song, „Saint James Way“, habe ich geschrieben, als ich gerade die Autobiographie von Luis Buñuel, dem spanischen Filmemacher, gelesen habe. Ich habe dabei Wörter unterstrichen, die ich interessant fand, und am Ende habe ich all diese Wörter aufgeschrieben – und das ist im Grunde der Songtext. Das ist das Tolle beim Kunstmachen: Es gibt keine Regeln. Es geht darum, was auch immer kommt auszuprobieren.

Sie sprechen sehr offen über Ihre Elternschaft, Ihr schwangerer Bauch ist auf dem Cover des Albums abgebildet, in einem Song samplen Sie sogar Ihre Milchpumpe. Warum?

Diese Erfahrungen waren so einschneidend und meine Schwangerschaft ein so großer Teil des Entstehungsprozesses des Albums. Nicht darüber zu sprechen, hätte sich falsch und unehrlich angefühlt. Ich habe mich dann auf die Suche nach Bildern von Schwangerschaft in der Kunst gemacht, aber habe lediglich einige wenige Abbildungen in Fotografie und Malerei gefunden, kaum etwas in der Musik. Ein Großteil der Schwangerschaft war für mich eine sehr positive Erfahrung. Ich bin eng mit meinem Körper in Kontakt gekommen, habe ihn das erste Mal eigentlich gemocht. Er hatte endlich diese Funktion, nämlich andere Körper darin wachsen zu lassen. Und dann waren die Babys da, ich konnte sie mit meinem Körper ernähren und sie sahen mir sogar ähnlich. Da dachte ich: Wie soll ich mich jetzt noch hassen? Vorher habe ich oft an Körperdysmorphie gelitten, was ich inzwischen ein Stück weit überwunden habe. Und ich glaube, das wollte ich auch feiern, als ich mich in der 35. Schwangerschaftswoche zu einem Fotoshooting begeben habe und nichts angezogen habe außer einem Anzug. Ich dachte, vielleicht werden meine Kinder das auch sehen: Ihr seid mit auf diesem Album.

Sie haben sowohl während der Schwangerschaft und nach der Geburt der Zwillinge Musik aufgenommen. Klingen die Songs denn auch unterschiedlich?

Der Großteil des Materials ist vor der Geburt entstanden. Nur „Pump“, den Song mit der Milchpumpe, habe ich danach komponiert. Und der musste einfach entstehen, als ich das erste Mal diesen Sound gehört habe! Schwanger Musik zu produzieren hat zunächst noch ganz gut geklappt, aber im letzten Drittel der Schwangerschaft änderte sich das. Ich hatte kaum mehr Luft und Energie und keine Vorstellung mehr davon, wo jetzt mein Zwerchfell sitzt – und das braucht man ja zum Singen. Außerdem ging es mir emotional sehr durchwachsen. Wenn etwas nicht geklappt hat, habe ich geweint und wollte nichts anderes als im Bett bleiben, konnte maximal zwei Stunden am Tag arbeiten. Als dann die Babys auf der Welt waren, waren sie oft mit uns im Studio, ich hatte sie beim Singen zum Beispiel in der Trage und wenn sie ein Geräusch gemacht haben, haben wir es über die Mikrofone gehört. Es war wirklich eine tolle Zeit.

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