Über die Jazzpianistin Jutta Hipp: Überleben im Bebop-Business

In den 50er-Jahren wurde sie zum Star, dann geriet sie in Vergessenheit: Ein Album der Jazzpianistin Jutta Hipp wird erstmals auf CD veröffentlicht.

Im April 2003 stirbt im New Yorker Stadtteil Queens eine deutschstämmige Zuschneiderin mit 78 Jahren. Sie hinterlässt Aquarelle, Zeichnungen, Gemälde und Puppen.

Erst aus Nachrufen der großen amerikanischen Zeitungen erfahren ihre Arbeitskolleginnen, dass die aus Leipzig stammende Jutta Hipp ein halbes Jahrhundert zuvor eine Berühmtheit war. Als "First Lady of European Jazz" wurde sie 1955 in den USA gefeiert. Sie war die erste Europäerin und erste Weiße überhaupt, die bei Blue Note, dem damals angesagtesten Jazzlabel, einen Plattenvertrag erhielt. Doch nach 1958 versank Jutta Hipp wieder in der Versenkung und rührte ihr Klavier nicht mehr an.

Aufgewachsen war die Pianistin im Leipzig der Zwischenkriegszeit. Sie lernte klassisches Klavier, bis sie 1939 zum ersten Mal den im Nazideutschland verfehmten Jazz hörte. Und ihm sofort verfiel. Heimlich stellte Jutta Hipp verbotene Radiosender wie BBC und Hilversum ein und spielte nach, was sie im Radio aufgeschnappt hatte: die Songs von Count Basie, Fats Waller und bald auch von Bud Powell. Noch während des Zweiten Weltkriegs gründete Jutta Hipp ihre erste Band, die auch in Leipziger Clubs auftrat.

Die Jazz-Pianistin war talentiert und schüchtern, aber auch mutig. 1946 siedelte sie in den Westen über, zuerst nach München, dann weiter nach Frankfurt am Main, wo amerikanische GIs und allmählich auch immer mehr Deutsche, nach der freien, lebenssüchtigen und so neuen populären Musik gierten.

Im deutschen Cool Jazz der frühen 50er-Jahre wurde Hipp in Hans Kollers "New Jazz Stars" mit den Mangelsdorff-Brüder zu einer der wichtigsten Protagonisten, wie Aufnahmen vom Deutschen Jazzfestival in Frankfurt bezeugen: Ihr swingend-leichter Ohrwurm "Frankfurt Special" ist 1955 so etwas wie eine Hymne. Jutta Hipp spielte sich mit romantisch inspiriertem Cool Jazz und trocken angeschlagenen, weiten Melodielinien zu Ruhm.

Der Sound ihres Quintetts mit Emil Mangelsdorff, Hans Koller und Roland Kovac gilt immer noch als Blaupause der Nachkriegsära, die das swingverliebte Deutschland hin zum Sound von Bebop und Cool Jazz führte. In einer Umfrage wird Hipp 1953 sogar zur besten deutschen Jazzpianistin gewählt. Knapp vor Paul Kuhn. Sie tourt durch Deutschland und hat Konzertarrangements in ganz Europa.

Immer wieder bedient sie sich beim American Songbook: "Lover Man", Cole Porters "Anything Goes", "These Foolish Things" sind Standards, bei deren Interpretation sich die Hipp als Anhängerin der stilbildenden, kontrollierten und "halbklassischen" Lennie-Tristano-Schule zu erkennen gibt.

In einem Duisburger Club wird schließlich auch der einflussreiche amerikanische Kritiker und Konzertagent Leonard Feather auf die Pianistin aufmerksam. Feather ist es auch, der Jutta Hipp nach New York lockt und ihre Ankunft als "First Lady of European Jazz" clever in den amerikanischen Medien vorbereitet. Dank Feather erhält sie ein sechsmonatiges Engagement im New Yorker Hickory House Restaurant. Durch seine Fürsprache bekommt sie einen Plattenvertrag beim Label Blue Note. Und das zu einer Zeit, als Jazzinstrumentalisten, noch dazu mit eigener Gruppe, rar waren. 1955 war Jazz und Frauen gleichbedeutend mit Gesang. Aber eine Pianistin? Und noch dazu eine weiße Europäerin? Dennoch, Jutta Hipps Zukunft scheint zu jener Zeit groß und weit.

Ihre ersten beiden Alben, Live-Mitschnitte aus dem Hickory, bestehen aus schlank interpretierten Standards und einigen wenigen Balladen. Begleitet wird sie damals von Ed Thigpen und Peter Ind. Auch Horace Silver läuft sie in New York über den Weg, an dem sie sich fortan stilistisch orientiert.

Ihr drittes und erfolgreichstes Album hat Blue Note nun wieder aufgelegt. Es führt sie mit Zoot Sims zusammen, dem amerikanischen Saxofonisten, mit dem sie bereits in der alten Welt zusammengespielt hatte - und der das Album dominiert. Hipp zeigt sich hier mit kraftvolleren Rhythmen; typisch, ihre schlanken, zuweilen fast kargen Einzelnotenläufe etwa in "Down Home", die sie kontrapunktisch mit der linken Hand begleitet: Kraftmeierei war ihr fremd. Zuweilen bewegt sie sich auf einem Grat zwischen klar-reduziert und - für eine Bandleaderin wenig hilfreich - Zurückgenommenheit.

1958 geht sie auf eine Tournee durch die Südstaaten, die sie als beglückend empfindet. Als Jazzmusikerin wird sie danach aber nie wieder in Erscheinung treten. Stattdessen verdingt sie sich in einer Fabrik und verschwindet in der Obskurität. Sie gilt als verschollen, bis sie 2002 von Blue Note wieder ausfindig gemacht wird, um einen Tantiemenscheck zu erhalten: In Japan wurden ihre Platten neu gepresst. Von den 40 000 Dollar hat sie allerdings wenig. Jutta Hipp stirbt im Jahr darauf an Darmkrebs.

Noch immer ist rätselhaft, wie es zu diesem jähen Karriereeinbruch kommen konnte. Manche mutmaßen, es hätte ihr in den USA an Durchsetzungsvermögen gefehlt: Mit dem Siegeszug des Rock n Roll mussten viele kleine Jazzclubs schließen, in die wenigen großen durften nur die Superstars. Auch ihr zunehmender Alkoholismus, mit dem sie ihre Bühnenangst bekämpfte, wird für Hipps Schicksal verantwortlich gemacht.

Die Jazzhistorikerin Katja von Schuttenbach weist noch auf einen anderen, zentralen Punkt hin. Ein Jahr lang hat sie in den USA und in Deutschland in Sachen Hipp recherchiert. Für sie ist Leonard Feather, Hipps Mentor und Nemesis, der Schlüssel zum Geheimnis. Offenbar hatte er an der jungen rothaarigen Frau auch außermusikalisches Interesse. Nachdem sie seinen Avancen nicht nachgab (sie war mit dem ungarischen Gitarristen Attila Zoller verlobt), sich aber vor allem standhaft weigerte, Feathers eigene Kompositionen zu spielen, entzog er ihr seine Gunst.

Bis zu ihrem Tod widmete sich Hipp wieder der Malerei, die sie bereits in Leipzig studiert hatte. Ganz abgewandt vom Jazz hatte sie sich aber nie, eher distanzierte sich der Jazz sich von ihr. Sie fotografierte dafür in den Clubs, zeichnete zahlreiche Karikaturen ihrer Jazzkollegen, die die befreundete Zeitschrift Jazzpodium abdruckte. Ein Klavier sollte sie aber nie wieder anrühren.

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