Überbleibsel aus der Bronzezeit: Ziemlich alte junge Frau

Der Reaktor Krümmel und die dort erfundene Diddl-Maus verleihen Geesthacht zu wenig Glanz. Deshalb gibt's jetzt eine Ausstellung zur Bronzezeit.

Ausstellungsraum mit Lichtsäulen

Stücke aus der Bronzezeit: Im Geesthachtmuseum. Foto: Geesthachtmuseum

HAMBURG taz | Weil der Name „Hachede“ in einer Urkunde von 1216 erstmals auftaucht, kann die östlich von Hamburg gelegene 30.000-Einwohner-Stadt Geesthacht dieses Jahr ihren 800. Geburtstag feiern. Dabei gab es auch viel Unerfreuliches in dieser Zeit. Krieg, Pest und die immer wieder überbordenden Fluten der Elbe reduzierten das Dorf für lange Zeit auf nur hundert Menschen. Seit 1420 stand der Ort unter gemeinsamer Verwaltung von Lübeck und Hamburg und war bis zur regionalen Neuordnung 1937 Teil des Hamburgischen Staatsgebietes.

Mit der 1865 von Alfred Nobel gegründeten ersten Nitroglyzerinfabrik Mitteleuropas und dem 1867 dort erfundenen Dynamit wurde Geesthacht-Krümmel bis 1945 zu einem der wichtigsten deutschen Rüstungs­standorte – mit bis zu 20.000 Zwangsarbeitern im zweiten Weltkrieg. In den fünfziger Jahren wurde dann das Pumpspeicherwerk samt Elbstaustufe gebaut und 1984 das nach manchen Pannen seit 2011 abgeschaltete Kernkraftwerk.

Geht man in das Stadtmuseum, idyllisch in einem der wenigen Fachwerkhäuser befindlich, die den großen Stadtbrand von 1928, die Bombardierungen und die späteren Modernisierungen überstanden haben, ist auch zu erfahren, dass die „Diddl-Maus“ aus Geesthacht kommt. Doch all das gibt zu wenig Glanz. Und so wird jetzt dort in einer Sonderausstellung zur Bronzezeit die „erste Geesthachterin“ gefeiert. Und die immerhin ist etwa 3.300 Jahre alt.

Nahe Grünhof-Tesperhude, einem Ortsteil von Geesthacht, gibt es zwischen Acker und Wald eine bronzezeitliche Fundstelle. Über die Jahrhunderte wurde zu den dortigen Grabhügeln eine Legende erzählt: „In dissen Barg liggt een Scheiterhupen door hebbt in olen Tiden groote Füer brennt.“

Tatsächlich und bei solchen Gräbern keineswegs üblich, hat das einen wahren Kern. Denn wie die ab 1932 durch den Prähistoriker Karl Kersten (1909–1992) vorgenommene Ausgrabung zu Tage brachte, war dort so um 1300 vor unserer Zeit ein aufwendiges Totenhaus errichtet, rituell verbrannt und unter dem Hügel begraben worden.

Die Bestattung galt einer jungen Frau und ihrem etwa zweijährigen Kind. Das war nicht nur in Fachkreisen eine Sensation. Denn solche arbeits- und ressourcenintensiven Bestattungen, erst in Baumsärgen und dann samt zwölfpfostigem Totentempel verbrannt, sind relativ selten.

Damals war es zudem einer der ersten Funde von bronzezeitlichem Hausbau oder Hausmodell überhaupt, an den sich weitgehende kulturtheoretische Spekulationen anschlossen – inzwischen aber sind für die Zeit längst auch bis zu 50 Meter große, dreischiffige Siedlungshäuser nachgewiesen worden.

So spannend auch immer die Vorgeschichte ist, wie sehr es fasziniert, sich in jene fernen Welten hineinzudenken, sie zwar als Entwicklungsstufe, aber auch Alternativmodell zu studieren, die deutsche prähistorische Forschung ist leider ideologisch schwer kontaminiert.

Zur Zeit der Ausgrabung 1932/33 war in der Prähistorie – vorsichtig formuliert – eine völkische Betrachtungsweise üblich. Die Geesthachterin wurde natürlich als germanische Edelfrau betrachtet. Die Nationalsozialisten hatten ein besonderes Interesse an der deutschen Vorgeschichte – sie sollte die einstige germanische Vorherrschaft über Europa beweisen.

Noch heute steht mit diffusem Stolz an der Ausgrabungsstelle im Wald eine Bronzetafel, die verkündet, dass dies hier alles aus der Zeit ist „… als der Trojanische Krieg geführt wurde u. als Moses die Israeliten nach Kanaan führt … 500 Jahre vor Gründung der ‚Ewigen Stadt‘ Rom.“

Stimmt – aber der Tonfall erinnert immer noch an die Opposition von bildungsbürgerlich antikem Geschichtsverständnis und einer hier scheinbar belegten heimisch edel-arisch-blonden, germanischen Hochkultur.

Die Ausstellung „Graben für Germanien“ im Bremer Focke-Museum hat erst 2013 ungewöhnlich deutlich darauf hingewiesen: Nach 1933 waren über 70 Prozent aller Altertumsforscher in der NSDAP oder ihren Unterstrukturen.

Heinrich Himmler gründete das „SS-Ahnenerbe“, das später auch in den besetzten Gebieten Ausgrabungen vornahm. Dem Partei-Ideologen Alfred Rosenberg unterstand ein anderer Archäologie-Verein, der „Reichsbund für Vorgeschichte“.

Ausgrabungen wurden gefördert, zwölf neue Landesämter für Bodendenkmalpflege gegründet und Universitäts-Lehrstühle eingerichtet: In den Zwanzigerjahren gab es nur einen, am Ende der Naziherrschaft 24. Und auch nach 1945 blieben die Professoren und Archäologen weitgehend auf ihren Posten.

Karl Kersten, der Ausgräber von Grünhof-Tesperhude und weit geschätzte Forscher zur nordischen Bronzezeit, war zeitweilig Mitarbeiter von Herbert Jankuhn (1905–1990). Der war führendes Mitglied des „SS-Ahnenerbes“ und nach dem Krieg als Professor in Göttingen einer der einflussreichsten Prähistoriker Deutschlands.

In der DDR aber waren die Bodenfunde seltsamerweise alle plötzlich „slawisch“. Zwar muss man nicht soweit gehen zu behaupten, die Germanen an sich seien bloß eine Erfindung des Römers Tacitus. Aber ganz sicher hat es sie zur Bronzezeit als identifizierbare Gruppe nicht gegeben.

Die Herrin mit dem Brandbegräbnis ist keine Germanin, die etwa 4.000-jährige Himmelsscheibe von Nebra wurde nicht von einstigen Sachen-Anhaltern gemacht, antike Ausgrabungen in der Türkei belegen nicht die Geschichte der Türken.

Archäologie wird oft politisch missbraucht. Geschichte ist nicht linear. Heute hält man sich in Deutschland mit der ethnischen Einordnung von Bronzezeitfunden und politischen Folgerungen daraus lieber zurück. Doch über die besondere NS-Geschichte des Fachs wird zwar in Fachpublikationen geschrieben, darüber in der Öffentlichkeit – auch in dieser Ausstellung – aber ungern und selten gesprochen. Dafür gibt’s regional werbewirksame, fast schon niedliche Namensgebungen wie „erste Geesthachterin“.

Die mit vergleichbaren Funden aus ganz Deutschland reich bestückte Ausstellung in Geesthacht hat „mit wissenschaftlichen Indizien, qualifizierter Phantasie und künstlerischer Freiheit gewagt“, so der Hallenser Archäologe Bernd Zich, die Bronzezeit-Frau realistisch zu vergegenwärtigen: Wollenbluse mit Dreiviertelarm und Schnurrock mit Bronzebesatz, alles in Analogie mit neueren Funden vor allem aus Dänemark erschlossen.

Dazu lange Haare mit der Möglichkeit einer durch Bronzenadeln hochgesteckten Frisur. Die wurde vor Ort auch fachlich ausprobiert und ist am Modellkopf zu sehen. Und der Salzburger Künstler und Ausstellungs-Illustrator Karol Schauer hat sie sympathisch gemalt.

Die „Junge Frau mit Kind aus der Bronzezeit“ ist nun keine germanische Herrin mehr, die darauf wartet, dass ihr Dynamit-produzierender Kämpfer vom Ostfeldzug heimkehrt, sondern eine nette junge Frau vom Schafhof nebenan – auch das ist bestimmt irgendwie ideologisch, wie man in 50 Jahren dann feststellen wird.

„Die erste Geesthachterin“: bis 20. November, Geesthachtmuseum

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