Überdrehter Meta-Film: Bilder mit klaren Ansagen
Das Regieduo Cattet und Forzani verzichtet auf erzählerischen Ballast. „Reflection in a Dead Diamond“ erinnert an das italienische Exploitation-Kino.
Der alt gewordene Geheimagent John Diman dämmert in einem verlassenen Luxushotel an der Côte d’Azur dem Ende entgegen und erinnert sich an sein Leben. Als eine neue Zimmernachbarin einzieht, die kurz darauf verschwindet, wähnt John Gefahr und fürchtet die Rache seiner früheren Feinde. Realität und Fantasie verschwimmen, wie man so sagt.
Das ist im Groben dann auch schon der Plot von „Reflection in a Dead Diamond“. Aber diese Kargheit ist kein Mangel, sondern filmische Methode. Der Film will nichts erzählen, sondern wirkt wie aus Splittern zusammengesetzt: Erinnerungen, Angstvorstellungen, fiebertraumartige Visionen. Das Geschehen entfaltet sich nicht linear, sondern in einer Abfolge von assoziativen, visuell überladenen Sequenzen.
Nahezu alles, was das italienische Exploitation-Kino der sechziger- und siebziger Jahre an ästhetischer Überdrehung und Manierismen aufgefahren hat, findet sich hier wieder: psychedelische Farbspiele, Freeze Frames, Splitscreens, Comic-Sequenzen, betont kunstvoll wie sadistisch inszenierte Gewaltszenen, Farbfilter, Nahaufnahmen von Augen und Wunden.
Das Regieduo Hélène Cattet und Bruno Forzani entkleidet die Filme von allem erzählerischen Ballast. John Dimans jüngeres Ich hat es bei seinen Aufträgen im Wesentlichen mit so bedrohlichen wie fetischisierten Frauen zu tun. Allen voran die Modesty-Blaise-artige Killerin Serpentik, die den Mythos der Frau als Schlange schon im Namen trägt und zugleich eine Anspielung auf eine der Hauptreferenzen von „Reflection in a Dead Diamond“ ist, Mario Bavas farbenfrohen B-Movie-Agentenfilmklassiker „Diabolik“, erschienen 1968.
„Reflection in a Dead Diamond“. Regie: Hélène Cattet, Bruno Forzani. Mit Fabio Testi, Maria de Medeiros u. a. Belgien/Luxemburg/Italien/Frankreich 2025, 87 Min.
Exzessive Gewaltfantasien
Serpentik trägt viele Masken und hantiert mit Klingen, die den Männern phallisch ins Fleisch schneiden. Zugleich ist ihr Körper, wie der Körper der meisten Frauenfiguren in „Reflection in a Dead Diamond“, Objekt von exzessiver Gewalt. Schnell wird deutlich, dass Cattets und Forzanis filmischer Assoziationsstrom sich – wie schon in ihrem Debüt „Amer“ – um Gewaltfantasien dreht, die sich an zuvor fetischisierten Frauenkörpern ausagieren. Und um den männlichen Blick auf das fantasierte Objekt, der eine Bedingung dieser Fantasien ist.
Schon die Filme, auf die sich hier bezogen wird, wirkten in ihrer Exzessivität und Ungefiltertheit überdreht und manchmal fiebertraumartig. Man musste die auf traurige Weise mit Gewalt amalgamierte Sexualität, die in der ästhetischen Gewalt der Filme von zum Beispiel Dario Argento oder Lucio Fulci ihre Bilder fand, nicht groß herausinterpretieren.
Alles liegt offen da. Die Ästhetisierung der Gewalt geht mit einer Fetischisierung der Frauenkörper und Körperdetails einher. Bei Fulci waren es vor allem die Augen, die auch in „Reflection in a Dead Diamond“ eine zentrale Rolle spielen.
Der Geheimagent John Diman ist als ein weiteres James-Bond-Surrogat ein Inbegriff von Souveränität und Kontrollvermögen. Der Designeranzug hält die Form, und was der Körper allein nicht kann, schaffen technische Gadgets als Erweiterung problemlos.
John Diman trägt zum Beispiel einen Ring, mit dem er durch Wände, Frauenkleider und die Rückseiten von Pokerkarten hindurchschauen kann. Im Alter verliert der Agent mehr und mehr die Kontrolle über seine Fantasietätigkeit und versinkt in einem fiebertraumartigen Delir, in dem Gewaltfantasien, Misogynie und Popmythen immer wüster durcheinanderrauschen.
Tod auf der Leinwand
Hélène Cattet und Bruno Forzani mögen ihre Bilder offensichtlich gern rätselhaft und überdeutlich zugleich. Ständig wird die männliche Heldenfigur dazu gezwungen, sich selbst anzuschauen. Vor allem in dem Bild, das die Spiegelpailletten des Kleides seiner Partnerin auf ihn zurückwerfen (die wenig später ermordet wird, während sie Sex auf einer Gemäldeleinwand hat und so noch im Sterben buchstäblich ein schönes Bild abgibt).
Empfohlener externer Inhalt
Man hat über weite Strecken Probleme, sich in diesem Film zurechtzufinden, was auch mit seiner von Anfang bis Ende durchgezogenen Reizüberflutung zu tun hat. Alle Regler sind auf zwölf. Das Schöne an ihm ist, dass er ausschließlich als Meta-Kino funktioniert, sich aber trotzdem nie ins Ironische oder betont Schlaue rettet.
Seine Eitelkeit artikuliert sich nicht, indem er sich über die Filmgeschichte stellt, sondern darin, dass er zeigen will, wie souverän er die Stilmittel reproduzieren, beherrschen und erweitern kann. Das Dauerfeuer von Ornamenten und Manierismen wird immer wieder durchbrochen von Bildern, die wie klare Ansagen funktionieren.
Unter einer der vielen Masken, die John Diman seiner als Schlange und Femme Fatale konstruierten Erzfeindin vom Gesicht reißt, findet er sein eigenes. Der „tote Diamant“, in dem sich alles hier spiegeln soll, ist das Genrekino einer vergangenen Ära. Dessen Fantasien, Neurosen und Blickkonstellationen sind nach wie vor präsent und laut „Reflection in a Dead Diamond“ wohl auch zerstörungswürdig.
Eine symbolische Destruktion allerdings, die ambivalent und damit produktiv bleibt. Einfach, weil die Bilder und ihre Montage nicht von oben herab gedacht sind, sondern die Filme, die sie auf die Analytiker-Couch zwingen und ins Assoziieren bringen, im selben Zuge feiern.
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