Übergriffe auf Asylunterkünfte: Der Volksmob rast

Eingeworfene Scheiben, Brände, Hakenkreuze: Die Zahl der rechtsextremen Übergriffe auf Asylunterkünfte nimmt in drastischem Umfang zu.

In Schneeberg (Sachsen) organisierte die NPD einen Fackelmarsch Bild: dpa

BERLIN taz | Zuletzt klirrten Scheiben im thüringischen Gerstungen. Eine Kleinstadt bei Eisenach, keine 6.000 Einwohner. In der Samstagnacht Anfang Februar kamen Unbekannte zu der örtlichen Asylunterkunft, ein graues dreistöckiges Haus. Gegen 3.40 Uhr, so notierte die Polizei, warfen die Täter mit Steinen zwei Fensterscheiben des Heimes ein – und verschwanden. Doch bereits in der folgenden Nacht kamen erneut Angreifer, wieder zersplitterte eine Scheibe.

Man ermittle in alle Richtungen, lässt die Polizei Gotha wissen. Auch ein politisches Motiv werde geprüft. „Hinweise hierzu gibt es bis dato keine“, sagt eine Sprecherin. Die Täter würden noch gesucht. Wie so oft.

Gerstungen reiht sich ein in eine beunruhigende Serie. Wie aus Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) hervorgeht, die der taz vorliegen, stieg die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im letzten Jahr drastisch: Zählten die Sicherheitsbehörde 2012 noch 24 Delikte, waren es 2013 bereits 58 – mehr als eine Verdoppelung.

Und das BKA führt hier nur die eindeutig rechtsextrem motivierten Straftaten auf. Flüchtlingsinitiativen sprechen dagegen von einer weit höheren „Dunkelziffer“, verweisen auf eine Reihe weitere Übergriffe auf Asylunterkünfte. So zählt etwa das Internetportal „Monitoring Agitation Against Refugees in Germany“ für 2013 insgesamt 113 Angriffe oder rassistische Aktionen gegen Heime.

58 Übergriffe auf Asylunterkünfte im Jahr 2013 führt das Bundeskriminalamt in seiner Statistik als „politisch motivierte Kriminalität - rechts". Darunter fassen die Ermittler neben direkten Angriffen auch Propagandadelikte. Die Statistik wurde Ende Januar fertiggestellt.

Aufgeführt wird Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Täter gleich dreimal kamen. Noch vor Einzug der ersten Flüchtlinge kippten sie Buttersäure in die Unterkunft. Am Tag des Eintreffens warfen sie Feuerwerk über den Zaun, Monate später einen Böller in den Keller des Heims. Ein Wäschekorb geriet in Brand.

In Beelitz, Luckenwalde, Essen und Premnitz wurde gezündelt. Im bayrischen Fichtelberg rannten Vermummte in ein Asylheim und brüllten rassistische Parolen. In Chemnitz setzten Angreifer einen Müllcontainer in Brand, warfen Dosen gegen Fenster. In Plauen sprühten Unbekannte Hakenkreuze und die Parole „Asylbetrüger stoppen" an die Fassade. (ko)

„Besorgniserregende Entwicklung“

Und die Taten setzen sich auch seit Jahresbeginn fort – quer durchs Land. Im thüringischen Breitenworbis flogen Steine und Silvesterraketen auf eine Flüchtlingsunterkunft. In Berlin-Hellersdorf wurde erst ein Böller an der Eingangstür des Heims gezündet, Tage später ein weiterer durch ein Fenster geworfen.

Im bayerischen Germering ging der ganze Dachstuhl einer Unterkunft in Flammen auf, die Bewohner flüchteten sich ins Freie. Die Polizei geht von Brandstiftung aus, lobte eine Belohnung von 2.000 Euro aus. Und erst in der vergangenen Woche wurden in Merseburg in Sachsen-Anhalt gleich dreimal Schwarze auf der Straße angegriffen, darunter Bewohner des örtlichen Flüchtlingsheims.

Flüchtlingsinitiativen beobachten die Angriffsserie mit wachsender Sorge. „Da ist etwas am Schwelen“, konstatiert Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Seine Organisation zählte zusammen mit der Amadeu Antonio Stiftung seit Jahresbeginn bereits 20 Angriffe auf Asylunterkünfte, davon 12 Brandanschläge. „Das ist eine mehr als besorgniserregende Entwicklung“, so Burkhardt. „Jeder der Angriffe ist unentschuldbar.“

Überraschend kommt die Angriffsserie für Experten indes nicht. Bundesweit gab es im letzten Jahr eine regelrechte Protestwelle gegen die Eröffnung von Asylunterkünften, angeheizt von Rechtsextremen und vermeintlichen „Bürgerinitiativen“. Im sächsischen Schneeberg protestierten bis zu 1.800 Menschen gegen ein Heim. Im thüringischen Greiz forderte eine von Neonazis organisierte „Bürgerinitiative“ wöchentlich die Schließung einer Unterkunft. In Berlin-Hellersdorf standen Anwohner beim Einzug der Flüchtlinge pöbelnd vorm Heim, einer reckte den Arm zum Hitlergruß.

Vom Wort zur Tat?

Neonazis stimmten bereitwillig ein – oder heizten die Aggressionen erst an. Die NPD veranstaltete gleich eine ganze „Deutschlandtour gegen Asylmissbrauch“. Brachial wetterten Redner gegen „die Sozialschmarotzer“. In Internetforen war die Sprache nicht minder drastisch. „Nein zum Heim“ lautete dort der Slogan, ein Nutzer riefen dazu auf, „brennt die Scheiße schon vorher ab“. Wird jetzt vom Wort zur Tat geschritten?

Das befürchtet Robert Kusche von der Opferberatung der sächsischen „Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie“ (RAA). „Es liegt nahe, dass die Angreifer die rassistischen Reden der letzten Monate als Legitimation sehen.“ Allein in Kusches Bundesland zählte das BKA 2013 über ein Dutzend Übergriffe auf Unterkünfte. Die RAA vermerkte im letzten Jahr landesweit insgesamt 85 rassistische Angriffe, darunter vier Attacken auf Unterkünfte – ein deutlicher Anstieg, im Vorjahr waren 60 Taten, davor 53.

„Für die Betroffenen sind diese Angriffe dramatisch“, warnt der Politologe Kusche. „Das sind Menschen, die aus Bürgerkriegen hierher kommen und jetzt wieder in eine Bedrohungslage geraten.“ Inzwischen, so Kusche, berichteten ihnen auch langjährig in Deutschland lebende Migranten wieder, sie fühlten sich nicht mehr sicher. „Das kann unsere Gesellschaft nicht dulden.“

Die Unsicherheit bleibt

Vor Kurzem war die Angst wieder da. Anfang Februar brannte in Hamburg-Altona ein Flüchtlingshaus. Eine Pakistanerin und ihre beiden Söhne kamen ums Leben, fünf weitere Asylbewerber wurden schwer verletzt. 1.000 Menschen trafen sich zu einer Trauerkundgebung. Günter Burkhardt verschickt eine Pressemitteilung für „Pro Aysl“: „Die Nachricht erfüllt uns mit großer Trauer und Anteilnahme – und mit Besorgnis um die Sicherheit von Flüchtlingen und Migranten in Deutschland.“

Wenig später fasste die Polizei den Brandstifter: einen 13-jährigen Jungen. Ein Psychiater verneinte ein politisches Motiv, sprach von einer „spontanen Aggression“. Burkhardt beruhigt das wenig: Das Unsicherheitsgefühl für die Betroffenen bleibe.

Wer hinter den Anschlägen steckt, bleibt häufig offen. Das Problem: Selten fasst die Polizei Täter. Und selbst dort, wo es ihr gelingt, klingt das am Ende so wie im hessischen Wohratal. Dort schnappte die Polizei im Januar vier junge Männer. Sie hatten im lokalen Asylbewerberheim fast alle Jalousien des Erdgeschosses demoliert, waren in das Haus eingedrungen und hatten Türen eingetreten.

„Vielschichtig und unklar“ sei die Motivlage, notierte die Polizei anschließend. Die Männer seien nicht als rechtsextrem bekannt und hätten ihren Alkoholgenuss angeführt. Alles nur Randale im Rausch? „Mindestens einer der jungen Männer“, teilten die Beamten ebenso mit, sei allerdings verdächtig, Wochen zuvor aus einem Auto heraus vor dem Heim „verfassungsfeindliche Parolen“ gerufen zu haben.

Selbst die Bundesregierung ist besorgt

Andererorts wird es eindeutiger. Im brandenburgischen Premnitz hatte ein 20-Jähriger Abfallsäcke auf der Haustreppe einer Unterkunft angezündet. Er habe ein „Zeichen setzen“ wollen, gestand er später, damit „das Asylheim woanders untergebracht wird“. Woran die Täter anknüpfen, wissen einige ganz genau: In Waßmannsdorf, am Berliner Stadtrand, warfen Unbekannte ein Glas mit brauner Flüssigkeit durch ein Fenster einer Unterkunft, traten zwei Türen ein. An der Wand hinterließen sie einen Schriftzug: „Rostock ist überall“. In Rostock belagerten Neonazis und Anwohner 1992 tagelang eine Asylunterkunft, setzten diese in Brand. Ein Pogrom.

Inzwischen zeigt sich auch die Bundesregierung besorgt. „Wir verurteilen die Agitation gegen Asylbewerber, auch jede sich gegen Asylbewerber richtende Straftat entschieden“, sagt Pamela Müller-Niese, Sprecherin des Innenministeriums. Die Sicherheitsbehörden werten die Übergriffe nun auch im „Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus“ in Berlin aus, das nach dem NSU-Versagen geschaffen wurde. Ziel sei es, so Müller-Niese, Informationen schnell auszutauschen und Behörden vor Ort zu sensibilisieren. „Jede Straftat wird konsequent verfolgt.“

Von einer Abnahme der Übergriffe geht das Innenministerium indes nicht aus. Das Asylthema, so Müller-Niese, werde in der rechten Szene auch in diesem Jahr ein „zentrales Agitationsthema bleiben, mit dem auch das nichtextremistische, bürgerliche Spektrum erreicht werden soll“. Die Sprecherin verweist auf die Europa- und Kommunalwahlen im Mai und auf die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst. Schon heute lassen die Rechtsextremen keinen Zweifel, dort erneut ihre Anti-Asyl-Parolen schwingen zu werden.

Die Flüchtlingsinitiativen sehen nun auch die Parteien der Mitte in der Pflicht. „Auch Populismus wie die CSU-Kampagne ’Wer betrügt, der fliegt‘ schürt Vorurteile“, klagt RAA-Geschäftsführer Robert Kusche. „Pro Asyl“-Mann Burkhardt bemerkt ein „merkwürdiges Herumgeiere“ einiger Kommunalpolitiker, wenn es zu Diskussionen über die Ansiedlung von Asylunterkünften kommt. „Das muss aufhören.“ Wolle man die derzeitigen Übergriffe eindämmen, brauche es „ein klipp und klares Bekenntnis zu den Menschenrechten, zum Recht auf Asyl“. Alles andere, so Burkhardt, „ist die Ablehnung von Grundrechten“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.