Überreaktion bei Anti-Terror-Einsatz: Autos machen Salafisten

Weil sie den falschen Wagen fuhr, wurde eine Familie von einem schwer bewaffneten polizeilichen Sondereinsatzkommando überwältigt.

Patrouillierende Polizisten vor dem Dom fanden Mario H. am 28. Februar irgendwie bedrohlich. Bild: Stefan Schölermann/NDR Info

HAMBURG taz | Am Samstag, dem 28. Februar, dem Tag der Terrorwarnung in Bremen, hat es offensichtlich mindestens einen schweren Übergriff der Polizei gegen eine unbescholtene Familie gegeben. Das zumindest berichtete deren Anwalt, der Bremer Strafverteidiger Florian Burgsmüller, dem Radiosender NDR Info.

Sein Mandant, der in Syrien geborene Mario H., befindet sich an diesem Tag mit seiner Frau, seinen Eltern und Schwiegereltern auf einem Ausflug in der Bremer City. Als sie gegen 16 Uhr in ihren gegenüber dem Bremer Landgericht geparkten Lieferwagen vom Typ Vario mit französischem Kennzeichen einsteigen wollen, um Bremen wieder zu verlassen, werden sie innerhalb weniger Sekunden von einem mindestens 20-köpfigen Polizei-Sonder-Einsatzkommando umringt, dessen Mitglieder sie mit im Anschlag gehaltenen Maschinenpistolen bedrohen.

Sie seien angeschrien worden, die Hände auf das Fahrzeug zu legen, berichtet Mario H. „Wir wussten nicht, wie uns geschah, wurden behandelt wie Schwerverbrecher.“ Trotzdem zeigt Mario H. Verständnis für das Vorgehen der Polizei bis zu diesem Zeitpunkt: „Wenn es eine solche Terrorwarnung gibt, muss die Polizei handeln.“

Doch das, was in der Folge geschieht, kann Mario H. nur schwer begreifen. Obwohl sein schwer kranker Vater, der vor dreizehn Jahren ein Spenderherz bekommen hat – und aufgrund des Polizeieinsatzes einen Kollaps erleidet –, auf die minutengenaue Einnahme seiner Medikamente angewiesen ist, wird ihm diese zwischenzeitlich verweigert. „Es wird schon nichts passieren“, bekommt er von einem Beamten zu hören. Erst nach massivem Drängen der Familie wird er schließlich ins Klinikum Bremen Mitte gebracht. Da aber ist sein Gesundheitszustand schon so schlecht, dass er eingenässt hat.

Knapp zwei Wochen nach dem Anti-Terror-Einsatz in Bremen steht die Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden in der Kritik:

Am 29. Februar gab es ein Großaufgebot schwer bewaffneter Polizisten vor der Synagoge und in der Innenstadt. Am Abend stürmten Beamte dann das Islamische Kulturzentrum am Hauptbahnhof.

Durch den Einsatz in der Innenstadt seien mutmaßliche Täter gewarnt worden, kritisiert die Opposition von CDU und Linken.

Mangelnde Transparenz bei der Aufklärung des ergebnislosen Einsatzes beklagen CDU- und Linksfraktion. Innensenator, Polizei und Staatsanwaltschaft verweisen dagegen auf Vertraulichkeit bei den laufenden Ermittlungen.

Während der zehnstündigen Festnahmedauer, die sie zum Großteil in verschiedenen Zellen des Polizeireviers in Vahr verbringt, erhält die Familie keine Informationen, was ihr vorgeworfen wird und wer den Einsatz zu verantworten hat. Mehrfach verlangt Mario H., einen Anwalt zu sprechen – was ihm verwehrt wird.

Immer wieder wird der gläubige Christ Mario H. gefragt, ob er Salafist sei. Dass am Rückspiegel des Wagens und am Schlüsselbund christliche Kreuze befestigt sind, stört die Ermittler dabei ebenso wenig, wie die Tatsache, dass vier der sechs vermeintlich ins Netz gegangenen Terroristen sich im Rentenalter befinden.

Dass H. bei seinem Verhör ein Rechtsbeistand verwehrt wurde, sei „ein klarer Rechtsbruch“, sagt Anwalt Burgsmüller, für den der gesamte Einsatz „vollkommen außer Verhältnis“ steht. Denn aufgrund der Ereignisse erleidet schließlich auch Mario H.s Schwiegermutter einen Kollaps und muss ins Krankenhaus gebracht werden. Am Tag danach wird bei vier der sechs Familienmitgliedern eine schwere „psychomotorische Erregung“ diagnostiziert, die mit Psychopharmaka behandelt werden muss.

Am Ende der Vernehmung erfährt Mario H., dass es sich bei der Festnahme nur um „ein Missverständnis“ gehandelt habe. Nach Erkenntnissen der Ermittler sollten in einem vergleichbaren Fahrzeug mit französischem Nummernschild Sprengstoff und Waffen nach Bremen transportiert werden.

Für Anwalt Burgsmüller wurde bei dem Einsatz „ganz offensichtlich der Boden der Verfassung verlassen“ und die Festgenommenen ihrer Grundrechte beraubt. Neben einem „angemessenen Schmerzensgeld“ für seine Mandanten forderte der Strafverteidiger in einem Schreiben an Innensenator Ulrich Mäurer eine persönliche Reaktion von dem SPD-Politiker.

Der aber leitete das Schreiben an die Polizei weiter, die ihrerseits versprach, die Vorwürfe aufzuklären und Burgsmüller „zeitnah“ eine Antwort zukommen zu lassen, wie sich die Vorfälle aus ihrer Sicht zugetragen haben. Von Wiedergutmachung ist in der polizeilichen Stellungnahme allerdings nicht die Rede.

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