piwik no script img

Überwachung der ZivilgesellschaftRepression mit Methode

Die Ampelregierung hat Tausende zivilgesellschaftliche Organisationen vom Verfassungsschutz überprüfen lassen. NGOs sehen das als eine Politik der Einschüchterung.

Clara Bünger, Linken-Abgeordnete, kritisiert eine Kultur des Misstrauens seitens der Regierung Foto: dts-Nachrichtenagentur/imago

Systematisches Misstrauen: Die Ampelregierung hat rund 2.500 zivilgesellschaftliche Organisationen und Personen vom Verfassungsschutz überprüfen lassen. Grüne, Linke und mutmaßlich betroffene NGOs sind entsetzt und sprechen von Misstrauen gegenüber einem unverzichtbaren Teil der Demokratie.

Bekannt wurden die neuen Zahlen durch die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Clara Bünger, über die zuerst das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet hatte. Bünger wollte wissen, wie oft seit 2020 das sogenannte Haber-Verfahren durchgeführt wurde. Dabei geht es um die Durchleuchtung von Organisationen und Personen, die sich um staatliche Förderung bewerben. Geprüft wird dabei auf verfassungsfeindliche Bestrebungen; der Auftrag dazu kann von Ministerien und Bundesbehörden an den Inlandsgeheimdienst gestellt werden. Betroffene Organisationen werden darüber nicht benachrichtigt.

Ein Großteil der Prüfaufträge in den Ampeljahren ging vom Bundesinnenministerium aus, das damals Nancy Faeser von der SPD führte, sowie von nachgeordneten Behörden wie etwa dem Bundeskriminalamt BKA. Von den insgesamt rund 2.500 Überprüfungen wurden in etwa 200 Fällen „verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse“ gemeldet. Ob den betroffenen Organisationen und Personen deshalb auch tatsächlich Fördermittel verwehrt wurden, ist nicht bekannt. Auch um welche Organisationen und Personen es konkret ging, ist unklar.

Linke Organisationen äußerten sich am Donnerstag besorgt. So sagte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung der taz: „Es ist extrem verunsichernd, dass gerade diejenigen, die mit ihrer Arbeit täglich für die Demokratie den Kopf hinhalten, auch noch vom Verfassungsschutz auf ihre Verfassungstreue überprüft werden.“ Frauke Distelrath, Geschäftsführerin von Attac, nannte das Misstrauen gegenüber der Zivilgesellschaft „erschütternd“, verwies aber darauf, dass die Organisation ohnehin keine staatlichen Gelder bekommt. „Union und SPD müssen endlich erkennen, dass die Demokratie nur mit einer starken kritischen Zivilgesellschaft zu verteidigen ist und entsprechend handeln.“

Clara Bünger, die die Zahlen mit ihrer Anfrage ans Licht brachte, sprach von „Verdachtskultur“ und einem „Regime der geheimdienstlichen Ausspähung“. Und auch bei Abgeordneten der Grünen – immerhin Teil der Ampelkoalition – regte sich am Donnerstag Unmut. „Zivilgesellschaftliches Engagement ist essenziell für unsere Gesellschaft“, sagte Vizefraktionsvorsitzende Misbah Khan der taz. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Marcel Emmerich, sagte: „Es ist eine Sache, dem legitimen Sicherheitsinteresse des Staates nachzukommen, aber eine andere, wenn daraus eine Misstrauenskultur gegenüber der Zivilgesellschaft etabliert wird“.

Während die AfD schon seit Jahren versucht, linke Organisationen von staatlicher Förderung abzuschneiden, gibt es solche Bestrebungen inzwischen auch verstärkt in der Union. Anfang 2025 präsentierte die CDU/CSU-Fraktion einen Katalog von über 500 Fragen, die die Gemeinnützigkeit von Organisationen wie „Omas Gegen Rechts“ oder Greenpeace anzweifelten. Dies wurde weithin als Versuch der Einschüchterung gewertet – hängen an der Gemeinnützigkeit doch steuerliche Vorteile, die die Arbeit vieler Organisationen erst ermöglicht. Vorangegangen waren große zivilgesellschaftliche Proteste gegen eine parlamentarische Zusammenarbeit von Union und AfD.

Clara Bünger, die die Zahlen mit ihrer Anfrage ans Licht brachte, sprach von Verdachtskultur und einem „Regime der geheimdienstlichen Ausspähung“.

In der Bundesregierung macht die Union mit ihrer Einschüchterungspolitik weiter. CDU-Familienministerin Karin Prien teilte im August mit, sie habe eine „breit angelegte Verfassungsschutzprüfung“ tausender Organisationen angestoßen. Ihr Ministerium verantwortet mit Demokratie Leben! das größte Förderprojekt für die Zivilgesellschaft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

22 Kommentare

 / 
  • Seit es ChatGPT gibt, fluten rechte Burschis und andere Kulturkämpfer mit zu viel Bildschirmzeit bei ausgewählten Artikeln die Kommentarspalten, um die Leser:innen zu verunsichern. Wenn das so weitergeht, wird die taz wohl die Kommentarfunktion bald ganz abschaffen müssen. Schade eigentlich, aber das Leben geht weiter...

  • Man muss für die Unionsparteien Verständnis haben.



    In 4, spätestens 5 Legislaturen, wenn die blind hinterher laufenden Teile der fraglichen Altersgruppe ihr dasein beendet haben, werden ihre Möglichkeiten an die Macht zu kommen für immer im Nirwana verschwinden. 30jährige am Tor, die wie 70jährige daher kommen sind schlicht eine zu kleine Population. Ergo gilt es jetzt so viele Pfründe wie nur eben möglich nach Hause zu tragen, Verwandte und Vertraute mit Positionen zu versorgen und rechtliche Hürden asozialer Natur zu schaffen für deren Beseitigung nachfolgende Regierungen ebenso lange oder länger brauchen werden (Siehe Polen).

    Apropo Karin Prien. Es wäre mir wirklich neu, wenn mit Macht ausgestattete Personen ihre öffentlich vorgetragene, religiöse Monstranz jemals davon abgehalten hätte ihre Egomanie und Misanthropie auszuleben.

  • Hier jubelt doch alles hellauf begeistert und völlig kritiklos wenn staatliche Organe rechte Gruppen als gesichert extremistisch einordnen. Auf der linken Seite kann der Umbau der Gesellschaft nicht schnell und radikal genug gehen, weil übermorgen die Welt untergeht.



    Im Kapitalismus sind die Leute vernünftig, weil sie ihr eigenes Geld verbrennen. Bei freier Staatsknete für jede NGO mit besten Absichten, setzt die Vernunft und jede Hemmung aus.

  • Zivilgesellschaft? Das bin auch ich. Ich bin natürlich auch interessiert daran, wer von meinen Steuergeldern unterstützt wird und in welchem Rahmen sich die NGO bewegt. Übrigens: NGO, die Steuergelder erhält - und nimmt? Was ist das, wenn kein Widerspruch? Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

    • @Manfred MIlde-Büttcher:

      Um tatsächlich von derartigen Unterstellungen, wie Sie sie schildern, frei zu bleiben, nehmen manche Organisationen ja keine vom Staat zugewendeten Steuergelder. Sondern finanzieren sich durch Spenden. Die Aufregung über derartige Anfragen finde ich weit her geholt. Wir wollen, dass auch AfD Organisationen überprüft werden, auch rechte, rechtsextreme Organisationen. Also gerne auch andere zivilgesellschaftliche Organisationen, die Steuergelder bekommen. Es wäre allerdings zu differenzieren, wer überprüft: In welchen Fällen muss es der Nachrichtendienst sein? Wie kann sonsnt noch überprüft werden? NGOen, die eine Verfasstheit haben, stehen im Vereinsregister. Da braucht es keine schematische nachrichtendienstliche Überprüfung :). Nochmals zur Erinnerung: "Der Staat" hat kein Geld. Er hat unser Geld, unser Steueraufkommen.

  • Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass Insitutionen die öffentliche Gelder erhalten, auf evtl. Verfassungsfeindlichkeit oder kriminelle Aktivitäten geprüft werden.



    Ob dazu standardmäßig der Geheimdienst eingeschlatet werden sollte, scheint hingegen fraglich.

  • Nur mal so gefragt, ganz pauschal...



    Sind mit Regierungsgeldern geförderte "zivilgesellschaftliche Initiativen" bzw. "Aktivitäten" noch ein zivilgesellschaftlicher Beitrag? Ab wann sind diese Aktivitäten als (bewilligende Regierungs-) Parteiorganisationen zu verstehen? Natürlich darf jede Partei für ihre Ziele werben, dafür gibt es sogar eine reichhaltige Parteienfinanzierung.



    Und ein zusätzlicher ca. 100 Mio. Euro schwerer Fördertopf für "gemeinnütziges" Engagement der damaligen Bewilligerparteien könnten schon ein Geschmäckle haben, sozusagen eine parteiische Auftragsarbeit?



    Wäre da eine Überprüfung nicht sinnvoll, also ein tatsächliches NGO-Gütesiegel zu erhalten? So eine Legitimisierung würde zumindest Vorwürfe von "parteiideologischer Übergriffigkeit und Bereicherung auf Kosten aller" aushebeln, eine Glaubwürdigkeit herstellen.

    Anyway, gesellschaftliches Engagement nicht ohne Steuermittel... ein eher dürftiger, zivilgesellschaftlicher Beitrag.

  • Grundsätzlich ist es ja richtig und sinnvoll, wenn der Staat diejenigen Organisationen überprüft, die er finanziell fördert👍

    Ebenso sinnvoll wäre es natürlich, diejenigen Parteien, gemäß GG, zu verbieten, die eben gegen diese verstoßen❗

    Was jedoch aktuell passiert ist folgendes:

    Eine offensichtlich rechtsextreme & Verfassungsfeindliche Partei wird nicht verboten (bzw dieses beim BVerfG geantragt), vor allem weil Politiker aus dem rechs-"konservativen" Bereich (Union) dagegen sind

    und

    Das gleiche Klientel, also rechte Unionspolitiker, üben Druck auf demokratische NGOs aus, überwachen & diskriminieren diese, welche in der Gesellschaft noch ein Gegengewicht gegen diese Rechtsextreme bilden❗

    Da "die" Medien dies auch nicht in der notwendigen Klarheit und Intensität, im Sinne der Demokratie & der FDGO, anprangern (s. mein letztes Posting dazu hier) ist politisch der Weg für die Rechtsextremisten frei, incl solcher, die in vermeintlich demokratischen Parteien nur darauf warten, mit diesen zu Koalieren☹️

    Damit sind Entwicklungen wie diese, ein AfD Ministerpräsident, unausweichlich😡

    tinyurl.com/ytm7vnaz

    "Umfrage: AfD bei 40 Prozent"

    Erst Sachsen-Anhalt, dann D, dann 🌎?

  • Ich frage mich, wie man das als Einschüchterung sehen kann.



    Dass der Staat prüft, wem er Geld gibt, sollte eine Selbstverständlichkeit sein - das ist er uns allen schuldig.



    Und wenn eine Organisation keine radikalen Strömungen verfolgt, wo ist das Problem?



    Der Aufschrei hingegen bringt mich zum Nachdenken - anscheinend ist doch der eine oder andere Verein an der richtigen Stelle getroffen.

  • Wieso sollten Organisationen und Personen, die sich um staatliche Förderung bewerben, nicht hinsichtlich ihrer Verfassungstreue untersucht werden? Wer keinen Dreck am Stecken hat, keine radikalen Ideen verfolgt und keine kriminellen Aktivisten unterstützt hat keine Nachteile zu erwarten und wird die angefragte Unterstützung erhalten. Wenn die demokratischen Anforderungen nicht erfüllt werden, dann gibt's halt kein Geld...gilt für linke wie rechte Personen/Organisationen.

  • Hat doch keiner was zu verbergen. Oder doch?

  • Wo ist den da das Problem - wenn ich als NGO Geld vom Staat haben will, was ja eigendlich bei einer NGO ein wiederspruch ist, sie müsten sich ja dan staatlich finanzierte Organisation nennen, für Organisation gibt es ja auch das Deutsche Spendensiegel, das festlegt wie die Organisationen arbeiten müsse.



    Aber laut nach Geld vom Steuerzahler schreien aber jede Kontrolle verweigern - das ist schon frech!

  • Der Staat hat NGOs überhaupt nicht zu finanzieren. Und NGOs sollten auch keine Alterspöstchen für ausrangierte Politiker anbieten.



    Wenn schon Zivilgesellschaft, dann richtig.

  • "Und auch bei Abgeordneten der Grünen – immerhin Teil der Ampelkoalition – regte sich am Donnerstag Unmut.": Ja, eben; so habe ich das auch in Erinnerung, daher auch der Begriff "Ampelregierung". Sie haben neben diversen Ministern auch den Vizekanzler gestellt. Das solche Aktionen komplett geräuschlos am Kabinett vorbeilaufen kann ich mir fast nicht vorstellen.

  • 1



    Shame on you - Nancy Faeser! Warum kapieren die beiden Altparteien eigentlich nicht, dass die Gefahr weniger von linken, sondern vielmehr von rechten Organisationen ausgeht.



    2



    Zivilgesellschaftliche Arbeit ist der Regierung wohl ein Dorn im Auge - wenn es um politisches Engagement geht. Gern gesehen sind nur Ehrenamtliche, die unbezahlte Arbeit in sozialen Einrichtungen verrichten und im übrigen "das Maul" halten.



    3



    Und dann gibt es auch noch die "aufdeckenden" Medien, die es den armen Regierungen sooo... schwer machen.

  • Liebe Grüne! Ihr wart in der Ampel dabei. Ihr habt die Überwachung mit angeordnet. Und jetzt tut ihr so scheinheilig. Ihr hattet mal meine Achtung, aber das ist jetzt schon zu wenig, und man muss es vorne um "Ver" ergänzen.

  • ...aber daß gerade CDU-Familienministerin Karin Prien, die ja jüdische Wurzeln hat und im Oktober 2025 erklärt hat, dass sie nach Israel auswandern wolle, wenn die AfD den Bundeskanzler stellen sollte, so etwas auch noch mitiniitiert hat, erschließt sich mir absolut nicht.

  • Zivilgesellschaftliche Initiativen, die indirekt vom Bund gefördert werden, sind keine zivilgesellschaftlichen Initiativen.

    Da muss man mal seine eigene Meinung fallen und klar und sachlich denken!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

  • Es ist unglaublich, wie inzwischen mit zivilgesellschaftlichen Initiativen umgegangen wird. Das hohle Geschwätz der Politiker an solche Organisationen, wie wichtig diese für die Demokratie wären ist einfach nur noch heuchlerisch. Frau Faeser ist rechte SPD, die ist leider nicht viel besser als rechte CDU. Wer meint, da noch einen großen Unterschied zu sehen, der schaue einmal nach Berlin oder jetzt auf die Bundesregierung... Die progressiveren Kräfte in der SPD sind seit Gerhard Schröders neoliberalen Boshaftigkeiten gegenüber Schwächeren systematisch an den Rand gedrängt worden oder habe die Partei frustriert verlassen, genau so wie die progressiveren Wähler... Von der unter dem Blackrock Millionär Friedrich Merz weiter nach rechts gerückten CDU habe ich sowieso nichts anderes erwartet und es zeigt leider, wie auch dort die progressiveren Mitglieder immer weiter an den Rand gedrängt werden. Von der CSU ganz zu schweigen...

    • @Irm mit Schirm. 100% Antifa:

      Es heißt doch NICHT(!!!)-Regierungsorganisation. In meiner unendlichen Naivität habe ich bis vor kurzem angenommen, dass diese Organisationen selbsttragend bzw. über Spenden finanziert werden. Habe aber mit Erstaunen festgestellt, dass dem nicht so ist. Mit Erstaunen musste ich leider auch feststellen, dass auf die 500 Fragen zur Finanzierung nicht geantwortet wurde und wird. Das ist alles sehr unangenehm und wirkt auf mich etwas "fishy".... progressiv zu sein muss nicht viel kosten, sollte man da nicht auf Finanzierung von Regierungsseite doch lieber verzichten?

  • Wieso werden eigentlich NGO als Zivilgesellschaften euphemisiert? Das sind letztendlich Lobby-Organisationen für bestimmte Interessengruppen. Warum bekommen NGO überhaupt Geld vom Staat? Wenn sich eine Organisation über den Staat finanziert, dann ist es keine NGO mehr. Wes Brot ich ess', des Lied ich sing'.

  • // Grüne, Linke und mutmaßlich betroffene NGOs sind entsetzt und sprechen von Misstrauen gegenüber einem unverzichtbaren Teil der Demokratie. //



    .



    Wenn die entsetzt sind, dann wurde alles richtig gemacht.



    Selbstverständlich sollte man das immer mal überprüfen ob die NGOs auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Es sind unsere Steuergelder die ggf. an die Falschen gehen.