Ukraine-Krieg und Öffentlichkeit: Fortschreitende Apathie

Der Krieg eskaliert weiter, aber die Aufmerksamkeit schwindet. Das ist eine bedenkliche und gefährliche Entwicklung.

Ein Mann mit seinem Boot in einer überfluteten Straße

Cherson, Ukraine am 9. Juni: überflutete Straßen nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Foto: Vladyslav Musiienko/reuters

Dass „die Angaben sich nicht unabhängig überprüfen lassen“, ist wahrscheinlich einer der meistwiederholten Sätze seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Der Krieg vernichtet Menschenleben, Wohnraum, öffentliche Einrichtungen und, wie die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der südukrainischen Region Cherson gezeigt hat, auch die Natur.

Aber es ist auch ein Krieg um die Narrative – sowohl Russland als auch die Ukraine nutzen ihre Informationskanäle, um ihre Sicht auf das Kriegsgeschehen in der eigenen Bevölkerung und in der Welt zu verbreiten. Und das ist auf Dauer gefährlich, denn wenn die Öffentlichkeit keinen direkten Bezug zu diesem Krieg hat, verliert sie, mehr als ein Jahr nach Beginn, das Interesse und die Empathie für das angegriffene Land.

Das ist kein gutes Zeugnis für die Medien. Die fortschreitende Apathie, Gleichgültigkeit und das mangelnde Interesse am Nachrichtengeschehen sind auch eine Folge dieses Krieges, und das in europäischen Gesellschaften, die zunehmend von rechts regiert werden.

Politik hat ein Ablaufdatum, und die herrschende einvernehmliche Solidarität mit der Ukraine und die Meinung, dass nur Kyjiw zum Verhandlungstisch rufen darf, könnten nach der US-Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr deutlich wackeln.

Auch die russisch besetzten Gebiete leiden

Die Zerstörung des Staudamms ist in erster Linie eine Umwelt- und eine humanitäre Katastrophe. Jedoch gucken wir weg – europaweit. Viele schalten sofort aus, sobald sie das Wort „Ukraine“ hören: „Ja, Krieg, ich weiß …“, fügen sie hinzu. Das ist gefährlich. Wir haben uns an die „Kriegsnormalität“, ja an eine „Zerstörungsnormalität“ mitten in Europa gewöhnt. Kriegs- und Informationsmüdigkeit ist mittlerweile die Regel in allen europäischen Ländern. Die aufgeheizten Diskussionen und Proteste, die vor einem Jahr ihren Höhepunkt gehabt haben, sind vorbei. Währenddessen leiden und sterben unschuldige Zivillisten.

Sowohl die Ukraine als auch Russland haben die Genfer Konvention unterschrieben. Wer hinter der Kachowka-Katastrophe steckt, der muss zur Rechenschaft gezogen werden. Wie bei allen anderen Kriegsverbrechen des Ukraine-Krieges.

Als Folge der Dammzerstörung könnte die russische Armee eventuell leichter die angekündigte ukrainische Gegenoffensive stoppen. Jedoch leiden besonders die von Russland besetzten Gebiete auf dem linken Ufer des Dnipro unter Überschwemmungen, und auch die Wasserversorgung der 2014 von Moskau völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim steht auf dem Spiel. Argumente für die jeweiligen Schuldzuweisungen findet man auf beiden Seiten.

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Jahrgang 1982, ist Leiterin der taz Panter Stiftung. Zuvor war sie stellvertretende Auslandsressortleiterin und taz-Europa-Redakteurin. Bei der taz hat sie im Mai 2022 als Themen- und Nachrichtenchefin angefangen. Sie berichtet seit 2005 als freie Korrespondentin für Tageszeitungen, Fernseh- und Radiosender über Deutschland, Zentral- und Osteuropa. Ihre Karriere als Journalistin hat sie in Spanien gestartet und an der FU Berlin hat sie sich auf Osteuropa und Russland spezialisiert. Mehrere multimediale Projekte hat sie initiiert und durchgeführt, um Mehrsprachigkeit, Vielfalt und Toleranz in der Gesellschaft zu fördern.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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