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Ukraine, Weißes Haus, SteuernÜberall nur Baustellen

Milliarden für Regierungsbauten, Abriss der Erinnerungskultur: Wie wir klarkommen, indem wir wieder mehr bei uns selbst suchen.

Merz schien doch gerade souveräner zu werden und im Amt anzukommen Foto: Liesa Johannssen

t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Friedrich Merz schien gerade souveräner zu werden und im Amt anzukommen.

taz: Und was wird besser in dieser?

Küppersbusch: Auf Friedrich Merz ist Verlass.

taz: Donald Trump nimmt Veränderungen am Weißen Haus vor. Welchen Regierungsbau in Deutschland würden Sie gern umgestalten?

Küppersbusch: Nix mehr! Das Kanzleramt wird für geschätzte 777 Mio. Euro erweitert, das Bundespräsidialamt für gut 200 Mio. Euro saniert und beim Nazi-Bau des Finanzministeriums dräut ein 2-Milliarden-Umbau. Das summiert sich in Richtung der 3,5 Mrd. Euro, die im Bundeshaushalt für „Sozialen Wohnungsbau“ vorgesehen sind, wie die architekturfernen Zeltbewohner von der Linkspartei vorrechnen. Trump hingegen sammelt schon Schutzgelder ein für einen Triumphbogen aus eitel Tortenkitsch in Washington, und Loyalisten fordern, den Präsidenten in Mount Rushmore einmeißeln zu lassen. Seine Frisur allein ergäbe einen stattlichen Freibalkon, kein Vergleich zur Inselbegabung auf der Stirn von Friedrich Merz. Gegen all das waren Glaskuppel und Christo-Verhüllung des Reichstages liebenswürdige Spielereien.

taz: Beim EU-Gipfel in Brüssel gab es keinen Durchbruch zur Nutzung von russischem Vermögen zugunsten der Ukraine. Feigheit oder berechtigte Vorsicht?

Küppersbusch: In Brüssel liegt das meiste der rund 140 Mrd. russischen Geldes, mit dem die Ukraine künftig munitioniert werden soll. Oder jeder Belgier malt sich freiwillig ein Fadenkreuz auf Kyrillisch auf die Stirn. Deshalb soll ein einmütiger EU-Beschluss her, und dafür wird eine Konstruktion gesucht, den Diebstahl zur vorgezogenen Reparationszahlung Russlands umzubiegen. Sprich: Die Ukraine muss dann nur eben den Krieg gegen Russland gewinnen, andernfalls die Europäer zahlen. Womit sie auch künftig null Interesse an einem Friedensschluss haben dürften. So weit die mechanische Betrachtung; moralisch ist das Ausplündern fremder Konten kriminell. Und machiavellistisch: Wenn Putin noch ein Argument bräuchte, etwa den Brics-Ländern von Investments in Europa abzuraten: bitte schön.

taz: Michael Smuss ist gestorben. Er war der letzte bekannte Überlebende und Kämpfer des Aufstands im Warschauer Ghetto 1943. Wie können wir die Lehren aus Holocaust und Widerstand ohne Zeitzeugen wachhalten?

Küppersbusch: Dachten wir auch beim Abschied von Margot Friedländer im Mai. Und zugleich erleben wir, wie aus dem einen Jahrtausendverbrechen entgegengesetzte Lehren gezogen werden. Putin bekämpft in der Ukraine „den Faschismus“, der Westen unterstützt die Ukraine gegen den Kriegstyrannen Putin. Israel wehrt sich gegen Völkermord und steht unter Anklage wegen Völkermordes. Der Abschied von den Zeitzeugen bedeutet einen schmerzlichen Abriss der Wärmebrücke zur Vergangenheit, und viele wollen mit dem Panzer drüberrollen: Es muss doch auch mal Schluss sein mit dem ganzen alten Scheiß, hier ist toller neuer. Wir werden ohne die Überlebenden klarkommen müssen, indem wir sie in uns suchen.

taz: Die Steuereinnahmen steigen in den kommenden Jahren stärker als erwartet. Hätten Sie bei der allgemeinen Untergangsrhetorik damit gerechnet?

Küppersbusch: Es gibt keine Mehreinnahme, die neue Schätzung ist nur günstiger als die bisherige. Sie fußt auf der kühnen Behauptung eines Wirtschaftswachstums, das sich erst noch einstellen muss. Der Bund hat einen „Wachstumsbooster“ finanziert, der für Mehreinnahmen sorgen soll, die aber schon weg sind, weil der Bund einen „Wachstumsbooster“ finanziert hat. Also die Regierung gibt eine Lokalrunde auf ihren Deckel und hofft, dass das ansteckend ist. Kürzer kann man nicht VWL studieren, gern geschehen.

taz: Die Mediengruppe Pressedruck (u. a. „Augsburger Allgemeine“) hat angekündigt, bis zu 350 Stellen zu streichen. Journalismus als Beruf – raten Sie noch zu?

Küppersbusch: Unbedingt! Viele, die Journalismus machen, sollten den Beruf jetzt dringend lernen. Die gestern noch zahlenden Kundschaften sind geflutet mit Gratis-Aufregung, aggressive Stümperei wird als Journalismus mit höherem Unterhaltungswert konsumiert. Und zerstört die herkömmlichen Geschäftsmodelle: Pro7 streicht 430 Stellen, der RBB 250, bei RTL wird der Kauf von Sky „Synergien“ bringen und drumherum schrumpft vieles mehr. Den Rest besorgt dann die zweite Welle – der anbrechende Durchmarsch von KI. Wahrscheinlich wird es leichter, Influencer und Schwallhuber zu professionalisieren – als einen Journalismus zu lernen, für den es nur schwindendes Publikum gibt. Ihr seid nämlich schuld!

taz: Und was macht der RWE?

Küppersbusch: 31.500 Fans beim Derby RWE–MSV. Knapp überm Schnitt von Leverkusen, das Doppelte von Heidenheim. Nimm dies, Bundesliga. Fragen: Ambros Waibel

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Friedrich Küppersbusch
Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".
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