Ukraine greift Druschba-Pipeline an: Russisches Öl fließt wieder nach Europa
Die Ukraine greift Russlands Energieinfrastruktur an, um Treibstoffversorgung und Einnahmen zu stören. Jetzt hat es die Pipeline Druschba getroffen.

Nach zwei Tagen Unterbrechung fließt wieder russisches Öl nach Europa. Zuvor hatte die Ukraine in der Nacht zum Montag die Ölpumpstation Nikolskoje der Druschba-Pipeline mit Drohnen und „anderem Fluggerät“ angegriffen und erheblichen Schaden angerichtet. Einige Tage zuvor war das Tanklager und Pumpwerk Unetscha bei Brjansk attackiert worden. Die Ausfälle russischer Infrastruktur nach ukrainischen Luftschlägen werden immer länger. Zuletzt hatte dies zu Lieferausfällen in Ungarn, der Slowakei und Deutschland geführt.
Ungarn und die Slowakei beziehen immer noch gut 80 Prozent ihres Rohöls über die aus Sowjetzeiten stammende Druschba-Trasse. Darüber wird aber auch Erdöl aus dem zentralasiatischen Staat Kasachstan zur brandenburgischen PCK-Raffinerie Schwedt gepumpt. Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigte, dass es am Dienstag kurzfristig zu Lieferausfällen gekommen sei.
Noch die Ampel-Regierung hatte bei PCK die bisher vom russischen Staatsölkonzern Rosneft gehaltene 54-Prozent-Mehrheit übernommen, nach Russlands Vollinvasion in der Ukraine 2022 jedoch die Versorgung mit russischem Rohöl gestoppt. Kasachstan wurde für Öllieferungen gewonnen. Jetzt wird die „Freundschafts“-Route zum gefährdeten Nadelöhr.
„Das ist nicht unser Krieg. Ungarn muss da rausgehalten werden“, forderte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó auf X. Doch dazu dürfte es nicht kommen: Der Angriff auf die Energieinfrastruktur sei gerade vor den aktuell von Kremlchef Wladimir Putin und dem US-Präsidenten Donald Trump diskutierten „Gebietsaustauschen“ sinnvoll, sagt der Kyjiwer Polit-Analyst Igar Tyschkewitsch. Denn die Angriffe auf die Druschba sowie am Dienstag auf russische Raffinerien und einen Ölzug in den russisch besetzten Gebieten im Osten der Ukraine erschwerten russischen Truppen die Treibstoffversorgung und ein weiteres Vorrücken vor Friedensverhandlungen.
Zudem nehme die Ukraine dem Aggressor wichtige Einnahmequellen, da der stark unter Druck stehende Haushalt Russlands sich vor allem aus Öl- und Gaseinnahmen speist. Parallel werde es für Moskau, so Tyschkewitsch, immer schwieriger, die vor der Invasion aus dem Westen importierten Anlagen zu reparieren. „Und eine weitere Abhängigkeit von China, diesmal bei der Energieinfrastruktur, will der Kreml mit aller Macht verhindern“, meint er. Westliche Ersatzteile würden aber wegen der immer neuen Angriffe langsam knapp.
Russland nennt die ukrainischen Angriffe „unverschämt“
Dabei seien die angegriffenen Anlagen „essenziell“ für russische Ölexporte: In Nikolskoje im zentralrussischen Gebiet Tambow steht eine der wichtigsten Pumpstationen der Druschba-Pipeline, die auf 5.500 Kilometern sibirische Ölfelder mit europäischen Kunden verbindet. Die Pumpstation Unetscha in der Region Brjansk, die zuvor erheblich beschädigt wurde, ist ein Knotenpunkt: Sie pumpt das Öl westwärts ins belarussische Mozyr, wo russisches Öl an die belarussische Raffinerie verkauft wird und sich Druschba in einen Nord- und einen Südstrang aufteilt: gen Süden in die Slowakei und nach Ungarn, gen Norden nach Schwedt.
Bei Unetscha ist aber auch der Druschba-Abzweig BTS-2 nach Ust-Luga. Aus diesem Ostseehafen startet die russische „Schattenflotte“, die etwa 20 Prozent des russischen Rohöls zu Kunden verschifft, die es billig einkaufen und oft als Benzin und Diesel nach Europa liefern.
Russland verliert mit jeder Attacke also Export-Deviseneinnahmen. Und reagiert heftig: Der russische Inlandgeheimdienst FSB will am Mittwoch eine „Sabotage- und Aufklärungsgruppe“ in der Region Brjansk aufgedeckt haben. Bei einer Schießerei seien „drei Saboteure getötet und drei weitere festgenommen worden“. Die Gruppe habe laut FSB aus „Kadern“ des ukrainischen Militärgeheimdienstes „unter direkter Beteiligung von Mitarbeitern westlicher Geheimdienste in der Ukraine sowie in Litauen, Estland und Norwegen“ bestanden.
Die wiederholten ukrainischen Angriffe auf die Druschba-Linie seien „unverschämt“ und ein „empörender Schlag gegen unsere Energiesicherheit“, behauptete Szijjártó. Ungarn und die Slowakei haben im Gegensatz zu anderen EU-Ländern ihre Abhängigkeit von russischem Öl bisher nicht reduziert. Ja mehr noch: Budapest will sogar die Druschba-Trasse noch nach Serbien ausbauen.
Attacken könnten künftig öfter vorkommen
Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha erwiderte: „Es war Russland, nicht die Ukraine, das diesen Krieg begonnen hat und sich weigert, ihn zu beenden.“ Ungarn habe „alles getan, um seine Abhängigkeit von Russland aufrechtzuerhalten“, es solle sich bei Lieferunterbrechungen „nicht an Kyjiw, sondern an seine Freunde in Moskau“ wenden.
Dies könnte nun noch öfter vorkommen: Denn parallel zu den Pipeline-Attacken wurde in Kyjiw die Serienfertigung eines eigenen Marschflugkörpers bekannt: „Flamingo“ wird der offiziell FP-5 heißende Flugkörper des ukrainischen Raketenbauers FirePoint genannt. Er könne 3.000 Kilometer fliegen mit bis zu 950 km/h und einem 1.150 Kilogramm schweren Sprengkopf. Damit könnten „nun 90 Prozent aller russischen Rüstungsfabriken erreicht und Ziele zerstört werden, an die wir bisher nicht herankamen“, zitieren ukrainische Medien Vertreter des dortigen Generalstabs.
Die Marschflugkörperentwicklung soll Teil eines Programms in Höhe von 1,9 Milliarden Euro sein, das Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) der Ukraine auch für die Entwicklung von Langstreckenwaffen bei einem Besuch in Kyjiw im Juni zugesagt hatte.
Und die ukrainische Armee verspricht sich ähnliche Durchschlagskraft für den „Flamingo“ wie die des deutsch-schwedischen „Taurus“-Marschflugkörpers, den Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) trotz früherer Versprechen der Ukraine bisher nicht geliefert hat.
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