Ukrainischer Athlet über IOC und Russland: „Sportler sollen keine Killer sein“

Das IOC will russische Athleten wieder zu Wettbewerben zulassen. Der ukrainische Skeletonfahrer Wladyslaw Heraskewytsch kann das nicht nachvollziehen.

Heraskewytsch auf seinem Schlitten im Eiskanal

Wladyslaw Heraskewytsch bei den Olympischen Spielen von Peking 2022 Foto: USA Today/imago

taz: Herr Heraskewytsch, was halten Sie von der Entscheidung des IOC, russische Athleten als neutrale Sportler wieder zu internationalen Wettbewerben zuzulassen?

Wladyslaw Heraskewytsch: Ich habe ganz grundsätzliche Probleme mit der Entscheidung. Zwar sind ein paar Bedingungen für den Status eines neutralen Athleten neu formuliert worden …

24, nahm als erster ukrainischer Skeletonfahrer an den Olympischen Winterspielen 2018 und 2022 teil. In Kyjiw hat er Physik studiert.

… dass Militärangehörige nicht darunterfallen zum Beispiel …

Das ist schon mal ganz gut. Und trotzdem kann so nicht verhindert werden, dass russische Sportler für die russische Propaganda eingespannt werden. Das oberste Ziel muss für mich sein, ukrainische Sportler vor der russischen Propaganda zu schützen. Ukrainer bezahlen mit Menschenleben für das, was mit russischer Propaganda angeheizt wird.

Die Regeln müssten also viel strikter sein?

Ja, wenn der Dienst beim Militär heute endet, kann er dann morgen schon wieder antreten? Und für welchen Zeitraum gelten die Regeln überhaupt? Nur so lange der Wettkampf läuft oder länger? Aber selbst wenn das geregelt ist, können russische Sportler immer noch für die Propaganda benutzt werden.

Wie, glauben Sie, ist die Entscheidung des IOC zustande gekommen?

Es war jedenfalls keine offene Diskussion, die da stattgefunden hat. Alle Treffen und Verhandlungen fanden hinter verschlossenen Türen statt. Niemand weiß, was da genau verhandelt worden ist. Und auch die Anhörung von Athleten aus aller Welt zu Beginn dieser Woche war nicht wirklich eine Diskussion.

Sie haben daran teilgenommen?

Ja, aber wir hatten kaum Zeit, Fragen zu stellen. Einige Sportler wurden unterbrochen. Ihre Mikros wurden stumm geschaltet, einige Fragen wurden einfach nicht beantwortet. Von den 214 Athleten, die bei dem Videomeeting zugeschaltet waren, sind vielleicht 15 zu Wort gekommen. Athletenvertreter aus Afrika und Asien haben fast wortgleiche Statements für die Rückkehr der Russen vorgetragen, statt Fragen zu stellen. Und dann hat sich das Ganze noch umgedreht, als Alexandra Xanthaki plötzlich angefangen hat, uns Fragen zu stellen.

Das ist die Sonderberichterstatterin der UN für Menschenrechte, die es für eine Diskriminierung hält, Sportler auszuschließen, nur weil sie eine bestimmte Staatsangehörigkeit haben.

Sie sollte als Fachfrau doch eigentlich unsere Frage beantworten. Überhaupt war einiges, was sie gesagt hat, ziemlich erschütternd. Sie hat zum Beispiel vorgeschlagen, man solle bei jedem Athleten dokumentieren, ob er wirklich an Kriegsverbrechen oder einem Genozid aktiv beteiligt war. Ein Sportler, der als Soldat an der Front war, trägt für sie erst mal keine Schuld. Für mich ergibt das keinen Sinn. Sportler sollen doch Idole sein und keine Killer. Ich will jedenfalls nicht, dass Killer zu Idolen für kommende Generationen werden. Das kann doch auch nicht im Sinne der olympischen Bewegung sein.

Xanthakis Rechtsgutachten scheint für das IOC große Bedeutung zu haben.

Man kann sich schon fragen, warum nur ihre Einschätzung zählen sollte, warum nicht die Einschätzung von Patricia Wiater zählt, die sie für den Deutschen Olympischen Sportbund erarbeitet hat.

Demnach wäre ein Ausschluss russischer Athleten nicht diskriminierend, wenn man die Menschenrechte der ukrainischen Sportler dagegen abwägt.

Warum orientiert man sich nicht daran? Der UN-Botschafter der Ukraine hat auch noch mal klargestellt, dass es sich beim Gutachten von Alexandra Xanthaki nicht um die Meinung der UN handelt, sondern um ihre persönliche Einschätzung.

Würden Sie denn an Wettkämpfen teilnehmen, zu denen auch Russen zugelassen sind?

Ganz grundsätzlich: ein Boykott kann nicht die Lösung sein. Das wäre eine schlechte Entscheidung für die Ukraine. Wer darunter am meisten zu leiden hätte, wären die ukrainischen Sportler. Aber die leiden ohnehin schon genug. Das kann nicht sein. Außerdem wären wir stumm. Wenn wir nicht an Wettbewerben teilnehmen, können wir nicht mit anderen Sportlern, mit der Welt, mit den Medien sprechen. Wir wären wie in einem Versteck, so als hätten wir aufgegeben.

Und Sie persönlich?

Ich will und kann daran nicht teilnehmen, weil ich auf keinen Fall Teil der russischen Propaganda werden will. Das wäre ein Boykott, ja. Aber wer weiß, vielleicht kommt es ja doch noch zu einem Ausschluss russischer Athleten. Und wenn nicht, kann es sein, dass wir anreisen, nicht starten und vor Ort Aktionen und Proteste organisieren.

Welche Erfahrungen haben Sie vor dem Überfall der Russen auf die Ukraine mit dem IOC gemacht?

Ich habe mich nicht sonderlich mit seiner Politik beschäftigt. Das ist schon lange her, 2016, bei den Olympischen Jugendspielen, habe ich Thomas Bach getroffen. Aber da war ich ja fast noch ein Kind und habe nur an Sport gedacht. Das ist alles.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und wie war das 2022 bei den Spielen in Peking, als Sie das Schild mit der Aufschrift „Kein Krieg in der Ukraine“ hochgehalten haben?

Da ist ein Typ am Eiskanal auf mich zugekommen und hat mich gefragt, was ich damit sagen will. Ich habe dann gesagt, dass das nur eine Botschaft für mein Land ist, für Frieden in der Ukraine. Russland habe ich ja nicht erwähnt. Also war es kein politisches Statement und ich wurde nicht bestraft.

Kurz darauf hat Russland die Ukraine angegriffen. Wo waren Sie am 24. Februar 2022?

Ich war in Kyjiw, meiner Heimatstadt. Ich war dann lange in der Ukraine. Und als ich meine Stiftung gegründet habe, war ich viel in der Ukraine unterwegs. Ich habe ein paar grausame Erfahrungen auf diesen Reisen gemacht. Ich habe diesen Albtraum nicht im Fernsehen, sondern mit meinen eigenen Augen gesehen, zerstörte Häuser und Fabriken. Freunde und Kollegen sind getötet worden. Auch einige Ihrer Kollegen, Journalisten, mit denen ich befreundet war, wurden getötet. Wenn man das sieht, fühlt man sich erst einmal ohnmächtig.

Sie sind dann aktiv geworden und haben die Herasketytsch Charity Foundation gegründet, für die Sie Spenden sammeln.

Der Sport ist für die Menschen da, die sich bei Wettkämpfen zeigen wollen. Er dient dem Image deines Landes. Aber vor allem ist er für die Leute da, für die einfachen Leute aus deinem Land, die dich unterstützen. Für mich ist das eine Möglichkeit, uns für ihre Unterstützung zu bedanken. Wir können Leben retten, wir können ihnen helfen. Wir helfen Leuten, die ihr Haus verloren haben, bei der Unterbringung, wir helfen denen, die es sich nicht leisten können, bei der Beschaffung von Materialien. Und natürlich ist das auch eine Möglichkeit, unsere Verteidiger und ihre Familien zu unterstützen. Das ist unsere Art, Danke zu sagen, dass sie uns ermöglichen, unseren Sport auszuüben.

Bleibt denn überhaupt genug Zeit für den Sport?

Ich bin vor allem als Chef der Stiftung im Einsatz und als Aktivist für die ukrainische Sache. Vor einem Wettkampf stehst du früh am Morgen auf und siehst die Nachrichten und du denkst: das ist doch einfach unfair, das ist doch alles eine große Ungerechtigkeit. Du kannst dich nicht voll auf den Wettkampf fokussieren, weil dir das irgendwie überflüssig vorkommt. Aber gehört zu werden, dazu beizutragen, dass es deinem Land wieder ein bisschen besser geht, das ist nicht überflüssig. Auch nicht, den Leuten, die nicht so genau verfolgen, was gerade in der Ukraine passiert, davon zu erzählen und um Unterstützung zu bitten. Denn auch wenn die Leute nur einen Dollar oder einen Euro spenden, dann kann das schon viel bedeuten.

Sie gehören zu den Sportlern, die selbst für sich sprechen. Immer mehr Athleten äußern sich unabhängig von den Verbänden. Ist das die Zukunft des Sport?

Alles sollte sich um die Sportler drehen. Verbände sollten nur ein Ziel haben: die Athleten zu stärken, es ihnen leichter zu machen. Aber so wie die Strukturen im IOC jetzt sind, wo alles im Verborgenen verhandelt wird, das macht alles nur komplizierter. Die Sportverbände helfen uns nicht, sie nehmen uns nicht wahr, sie hören uns nicht zu. Bei Olympischen Spielen geht es doch nicht um Funktionäre, es geht um Sportler und ihre Auftritte im Wettkampf. Dabei sollten die Sportler unterstützt werden. Und unser Hauptanliegen ist dann, so wie es die olympische Charta will: die Welt zu einem besseren Ort machen, zu einem friedlichen.

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