piwik no script img

Ukrainisches KorruptionsgesetzOdessa protestiert gegen Selenskyj

Die ukrainische Regierung verabschiedet ein Gesetz, das zwei Antikorruptionsbehörden die Unabhängigkeit nimmt. Demonstrierende sehen Machtmissbrauch.

Nicht nur in Odessa, sondern in der ganzen Ukraine und wie hier in Kyjiw demonstrierten Menschen gegen die Maßnahmen Foto: Danylo Antoniuk/imago

Odessa taz | Knapp hundert Menschen, darunter auffallend viele Teenager, stehen am Dienstag schweigend in der Fußgängerzone von Odessa. Auf schnell selbst gemalten Plakaten protestieren sie gegen einen Gesetzentwurf, der zwei ukrainischen Institutionen zur Korruptionsbekämpfung ihre Unabhängigkeit nehmen soll. Betroffen von dem Gesetz sind das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (Nabu) und die Sonderantikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP). „Ich will keinen Rückschritt um 10 Jahre“, steht auf dem Plakat einer Teilnehmerin. Neben ihr fordert ein Jugendlicher: „Stoppt das Monopol der Macht!“ Eine andere fordert ein „Nein zu einem Gesetz im Januko­witsch-Stil!“ in Anspielung auf den Machtmissbrauch des früheren Präsidenten Wiktor Janukowitsch.

„Besonders wütend macht mich“, so ein jugendlicher Teilnehmer der Aktion zur taz, „dass hier gegen Institutionen vorgegangen wird, weil sie angeblich Kontakte zu Russland haben.“ Das suggeriere ja, dass die Demonstranten, die sich für diese Institutionen einsetzen, russlandfreundlich seien.

Aufmerksam liest sich ein Mann die Plakate durch. Doch mitmachen bei der Aktion will er nicht. „Letztlich sind die Demonstranten Leute, die die Macht von Selenskyj infrage stellen“, glaubt Sergi, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. „Die stehen den amerikanischen Demokraten nahe.“

Institutionen mithilfe von EU und USA gegründet

Krieg in der Ukraine

Mit dem Einmarsch im 24. Februar 2022 begann der groß angelegte russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Bereits im März 2014 erfolgte die Annexion der Krim, kurz darauf entbrannte der Konflikt in den ostukrainischen Gebieten.

➝ Mehr zum Thema Krieg in der Ukraine

Nicht nur in Odessa, auch landesweit waren Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die geplante Entmachtung der beiden Institutionen zur Bekämpfung der Korruption zu protestieren. Allein in Kyjiw protestierten 1.500 Menschen. Unter ihnen auch die beiden ehemaligen Box-Weltmeister Wladimir und Vitali Klitschko, Letzterer ist seit 2014 Bürgermeister von Kyjiw. Auch in Lwiw mischte sich Bürgermeister Andrij Sadowyj unter die Protestierenden.

Die betroffenen Institutionen Nabu und SAP waren 2015 auf Druck der Zivilgesellschaft und internationaler Partner wie der EU und den USA zur systematischen Bekämpfung der Korruption gegründet worden. Seit Anfang der Woche ist es mit ihrer Unabhängigkeit vorbei. Landesweit durchsuchte der ukrainische Geheimdienst am Montag über 70 Wohnungen bei mindestens 15 Mitarbeitern des Nabu und verhaftete den ranghohen Nabu-Ermittler Ruslan Magamedrasulow. Dieser soll dem Vorwurf zufolge dem russischen Geheimdienst FSB zugearbeitet haben. Gegen andere Nabu-Mitarbeiter wurden auf einmal alte Verkehrsunfälle neu aufgerollt. Ein „Maulwurf“ bei der Nabu soll 60-mal Informationen an den FSB weitergegeben haben. Auch gegen den SAP wird wegen ähnlicher Vorwürfe ermittelt.

Die Proteste zeigten keine Wirkung: Noch am Dienstag passierte das Gesetz Nummer 12414 das Parlament. Noch am selben Abend unterzeichnete Präsident Selenskyj das umstrittene Gesetz, das diese beiden Institutio­nen nun dem Generalstaatsanwalt unterstellt. Da dieser vom Präsidenten ernannt wird, sind nun auch Nabu und SAP dem Präsidenten untergeordnet.

Auch Vertraute von Selenskyj waren Ziel von Ermittlungen

In seiner abendlichen Video-Ansprache versuchte Selenskyj Kritik abzuwiegeln. Er habe sich bereits zu einem Gespräch mit den Chefs von Nabu und SAP getroffen. Die Institutionen gegen die Korruptionsbekämpfung werden weiterarbeiten, versicherte er, „aber ohne russischen Einfluss“.

Kritiker sehen in dem Vorgehen den Versuch, Ermittlungen der Institutionen zur Bekämpfung von Korruption gegen das Umfeld des Präsidenten im Keim zu ersticken. Nabu und SAP hatten gegen Ex-Minister Olexi Tschernyschow und Timur Minditsch von Selenskyjs früherer Spaßtruppe „Kwartal 95“ ermittelt – und damit gegen zwei Personen aus dem engen Umfeld des Präsidenten. Diese sollen ihn zu bewogen haben, Nabu und SAP zu entmachten, meint der Abgeordnete Yaroslav Yurchyshyn von der Holos-Fraktion gegenüber der New Voice. Nach der Anklage der Nabu gegen Ex-Minister Oleksij Tschernyschow soll es zwischen Nabu-Chef Semen Krywonos und einem Vertreter des Präsidialamts eine „unangenehme Unterredung“ gegeben haben, so die New Voice.

„Die Unterschrift des Präsidenten unter dieses Gesetz untergräbt das Vertrauen der westlichen Partner und gefährdet die Integration der Ukraine in die EU“, kritisiert der Kolumnist Sergi Fursa auf dem Portal der New Voice. Es erfreue korrupte Zeitgenossen und lasse im Kreml die Sektkorken knallen.

Enttäuscht über dieses Gesetz ist auch Mustafa Nayyem. Nayyem war eine Schlüsselfigur bei den Protesten der Maidan-Bewegung 2014. Nun, so fürchtet Nayyem, können Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss zur Normalität werden. Das neue Gesetz sei ein Rückschritt im EU-Beitrittsprozess. Doch solange junge Menschen wie in diesen Tagen auf die Straße gehen, solange einige Abgeordnete nicht bereit sind, mit der Mehrheit zu stimmen, sei noch nicht alles verloren, so Nayyem.

Mittelfristig könnten die Proteste auch Selenskyjs weitere politische Position gefährden, mutmaßt das Portal strana.news. Das wäre dann der Fall, wenn sich die Proteste auch auf andere Themen ausweiten und der Westen zu den Vorgängen nicht schweigen wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Walle, walle manche Strecke, dass zum Zwecke ...

    Heute so aktuell wie damals.

  • Die EU alleine bringt etwa 40% der Finanzmittel des ukrainischen Budgets auf. Die Regierung verwaltet diese Mittel. Die UA ist auf Platz 102 des Korruptionsindexes. Transparenz bei der Verwendung der europäischen Finanzmittel bzw eine unabhängjige europäische Kontrolle scheint es nicht zu geben, die EU vertraut da wohl völlig auf die Anti-Korruptionsbehörde der UA . Wenn man 1 + 1 + 1 usw zusammezählt dann kommt raus dass sehr wahrscheinllich größere Summen des EU-Bargeldes in den Taschen von Regierungsmitarbeitern und deren Freunden landen. Das scheint aber in der EU niemanden zu interessieren.

    Weiter könnte man annehmen dass mit der Verschlechterung der Frontlage die Mittelumverwendung zunimmt, weil man für den Tag X vorbereitet sein muss. Selenski pokert hier sehr hoch, aber die EU wird ihn und seine Kumpels wohl weiter unterstützen. Westliche Werte und so. Und das Geld ist ja nicht weg, es hat halt nur jemand anders.

  • Toll, dass die Menschen in der Ukraine Ihrem Unmut endlich Luft machen!



    Es bleibt zu hoffen, dass auch im Westen sich mehr Menschen fragen, ob man wirklich weiterhin die korrupte Elite verteidigen und unterstützen möchte.



    Es besteht ein großer Unterschied zwischen den Menschen in der Regierung und der "Elite" - das sollte man sich deutlich vor Augen halten!

    • @Alexander Schulz:

      Tja, warum wählen dann Wähler so, wie sie wählen ?



      Das die Mächtigen , Demokratie anders für sich definieren als die Wähler, ist doch mehr als deutlich zusehen.

    • @Alexander Schulz:

      👍👍

    • @Alexander Schulz:

      " Es bleibt zu hoffen, dass auch im Westen sich mehr Menschen fragen, ob man wirklich weiterhin die korrupte Elite verteidigen und unterstützen möchte." Man kann das ukrainische Volk unterstützen dann muss man Waffen und Geld liefern, oder man tritt in den Krieg ein und die NATO beendet den Spuk.

      Das ukrainische Volk hat die Wahl zwischen einer weniger korrupten Elite und einem Leben in Würde und Krieg oder einer massiv korrupten Elite, Ausbeutung, Auslöschung der eigenen Identität, Unterdrückung, Mord und Folter.

      Es gibt keinen dritten Weg.

      • @Machiavelli:

        Ich halte Ihre Schlussfolgerung für grundlegend falsch und sehe es auch kritisch eine Elite zu unterstützen nur weil sie etwas weniger korrput ist. Echte Loyalität gegenüber der Ukraine würde bedeuten hier klare Kante zu zeigen.

      • @Machiavelli:

        Die Ukrainer sollten sich eher einmal Fragen was für einen skrupellosen Regierenden sie da in ihrem Land haben und vorübergehend die Ukraine verlassen. Kriege zu unterstützen ist ja wohl echt nicht, und schonmal gerade nicht die Aufgabe Deutschlands. So Geschichtsvergessen kann ja nicht mal ein Hinterwäldler sein.

        • @Alex_der_Wunderer:

          Würde man so handeln wie Sie wollen, dann belohnte man Russlands Angriffskrieg und seine unzähligen Verbrechen und ermuntert es zu neuen Angriffen. IHRE Haltung unterstützt also Krieg.

          • @Suryo:

            Das ist doch abwegig. Wer hingegen jedoch Korruption unterstützt oder verteidigt der hingegen verlängert nur unnötig den Krieg.

            • @Alexander Schulz:

              Wie immer auf Seiten Russlands.

              Russland und nur Russland ist der Aggressor, und der Krieg wäre sofort vorbei, wenn Russland dies wollte

          • @Suryo:

            Es ist nicht zu vermuten, die Ukrainer haben ihren Präsidenten gewählt, damit er sie durch seine Politik gegenüber Russlands Machtelieten in einen Krieg führt.

    • @Alexander Schulz:

      👍👍

  • Interessanter Artikel!



    Bisher wurde ja jegliche Kritik am ukrainischen Präsidenten als "russlandnah" abgeurteilt. Ich bin gespannt, ob diesmal nur die Fakten sprechen.

  • Das riecht nicht gut. Hoffentlich gibt das kein Drama und die Sympathien für die Ukraine schwinden. Putin käme aus dem Lacehn nicht mehr raus....

  • Selbstverständlich steht Selenskyi den USA nahe - wie schlecht sind die Ukrainer da informiert.