Umgang mit Klimaflucht: Der blinde Fleck des Flüchtlingsrechts
Menschen, die vor der Klimakrise fliehen, werden bald die wohl größte Gruppe Vertriebener sein. Die EU hat darauf keine Antwort. Das muss sich ändern.

D er Klimawandel ist zu einem der bestimmenden Themen des 21. Jahrhunderts geworden. Seine Auswirkungen reichen schon heute weit über die Umweltzerstörung hinaus. Gemeinschaften werden entwurzelt, Lebensgrundlagen gehen verloren und ganze Regionen werden aufgrund von Wüstenbildung, extremen Wetterereignissen, Dürren, steigendem Meeresspiegel und zunehmender Versalzung unbewohnbar.
Das geltende Recht aber ist auf diese Herausforderung unzureichend vorbereitet. Das Flüchtlingsrecht konzentriert sich weitgehend auf Verfolgung. Menschen, die durch Umweltkrisen vertrieben werden, genießen deshalb keinen angemessenen Schutz. Nationale, regionale und internationale Institutionen müssen sich verändern, um der Realität der durch den Klimawandel verursachten zunehmenden Migration Rechnung zu tragen.
Die Europäische Union hat durch ihr Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) Fortschritte bei der Vereinheitlichung der Asylverfahren erzielt. Doch sie muss sich noch mit klimabedingter Vertreibung als Asylgrund befassen.
Ein progressiver Ansatz dazu würde Umweltvertreibung als legitimen Grund für Schutzmaßnahmen anerkennen. Dies würde eine erhebliche Lücke im System schließen und das Engagement für Menschenrechte, Klimagerechtigkeit sowie globale Rechenschaftspflicht und Solidarität stärken.

In der Kolumne ankommen schreiben im zweiwöchentlichen Rhythmus Journalist:innen, die 2015 nach Deutschland geflüchtet sind, zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“. Begleitend zu den Kolumnen gibt es außerdem die Podcastreihe „Geschafft?! Zehn Jahre nach der Ankunft“ zu hören, die im Rahmen der Freie Rede Podcasts der taz Panter Stiftung erscheint.
Klimaschutzklausel im Aufenthaltsgesetz
Deutschland ist als wichtiger EU-Mitgliedstaat und anerkannter Vorreiter im humanitären Bereich gut positioniert, um fortschrittliche Maßnahmen dazu umzusetzen. Eine Möglichkeit wäre eine Klimaschutzklausel im Aufenthaltsgesetz.
Diese könnte ein Aufenthaltsrecht für Personen schaffen, die aufgrund von Umweltgefahren vertrieben wurden. Das würde die bestehenden humanitären Schutzmaßnahmen ergänzen und gleichzeitig im Einklang mit dem Artikel 16a des Grundgesetzes stehen, der sich auf politische Verfolgung konzentriert.
Stammt aus Bangladesh. Als prominenter Blogger wurde er dort von Islamisten mit dem Tode bedroht und kam 2015 auf Einladung der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte nach Hamburg. An der Central European University in Wien absolvierte er einen Master in Human Rights.
Zudem könnte Deutschland gezielte humanitäre Aufnahmeprogramme für Menschen aus Regionen starten, die stark von Umweltzerstörung betroffen sind. Infrage kämen etwa niedrig gelegene Pazifikinseln, dürregefährdete Gebiete in Subsahara-Afrika oder hochwassergefährdete Regionen in Süd- und Südostasien. In Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen könnten diese Programme Aufnahme, Unterbringung und Unterstützungsleistungen bieten.
Integrationsmaßnahmen sind für den Erfolg solcher Konzepte von entscheidender Bedeutung. Die Erfahrungen mit der Integration syrischer Flüchtlinge in Deutschland zeigen, dass der Zugang zu Sprachkursen, Berufsausbildung und Beschäftigungsmöglichkeiten die wirtschaftliche Situation verbessert und soziale Spannungen abbaut. Für Klimamigrant:innen müssten demnach Programme entwickelt werde, die frühzeitig ansetzen und in strukturierter Weise die soziale und wirtschaftliche Integration fördern.
Fairer Schutz für alle
Investitionen in gemeindebasierte Initiativen können dabei die Beziehungen zwischen der Bevölkerung des Aufnahmelandes und den Neuankömmlingen verbessern. Eine effektive Integration kommt sowohl den Migranten als auch den Aufnahmegesellschaften zugute.
Sie stärkt die allgemeine Akzeptanz der Aufnahme, verringert das Risiko öffentlicher Gegenreaktionen und trägt so dazu bei, die politische Unterstützung für eine fortschrittliche Migrationspolitik aufrechtzuerhalten.
Nicht zuletzt muss ein progressiver Ansatz auf Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit achten. Klimabedingte Vertreibung ist ein dringendes humanitäres Problem, sollte jedoch den Schutz von Menschen, die vor Konflikten, Verfolgung oder anderen Formen der Gewalt fliehen, nicht untergraben.
Die Politik muss ein Gleichgewicht zwischen der Anerkennung von Klimamigrant:innen und umfassenderen humanitären Verpflichtungen finden. Sie muss sicherstellen, dass der Schutz fair auf alle gefährdeten Bevölkerungsgruppen verteilt wird und dringende Fälle entsprechend ihrer Priorität behandelt werden.
Deutschland und die EU könnten Führungsrolle übernehmen
Eine spezifische Konvention oder ein Protokoll würden klare Richtlinien festlegen und die Zusammenarbeit der Staaten auf globaler Ebene fördern. Diese Ideale würden innerhalb der EU durch humanitäre Visa und eine klimaspezifische Schutzkategorie umgesetzt.
Gesetzesänderungen und gezielte Aufnahmeinitiativen in Deutschland würden echten Schutz bieten und die Integration erleichtern. Das würde sicherstellen, dass Klimamigrant:innen Respekt erfahren und die Möglichkeit haben, einen Beitrag zu ihren Aufnahmegemeinschaften zu leisten.
Die EU und Deutschland können eine Führungsrolle in der globalen Migrationssteuerung übernehmen, indem sie eine auf Rechten basierende, auf Klimagerechtigkeit ausgerichtete Strategie verfolgen, die den sozialen Zusammenhalt und die internationale Zusammenarbeit verbessert und gleichzeitig langfristige Lösungen für eine sich entwickelnde humanitäre Krise bietet.
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