Umgang mit Plagiatsvorwürfen: Externe Kritik unerwünscht

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft will nicht, dass Plagiatsvorwürfe öffentlich gemacht werden. Tippgeber mögen sich erst an Universitäten wenden.

Die Qualitätssicherung muss schon vor der Verleihung der Doktorwürde ansetzen. Bild: dpa

BERLIN taz | Karl-Theodor zu Guttenberg, Silvana Koch-Mehrin oder Annette Schavan – die Liste der Politiker, die in den vergangenen Jahren ihren Doktortitel verloren haben, ist lang. Ihre Fälle lösten eine Debatte darüber aus, was gute wissenschaftliche Praxis ist.

Dabei waren es Plagiatsjäger, die den nachlässigen Umgang dieser Politiker mit dem geistigen Eigentum anderer mit aufgedeckt und auf Webseiten wie „Vroniplag“ publik gemacht haben. Erst durch ihre Recherchen und Analysen entstand ein derart hoher medialer Druck, dass sich die Universitäten gezwungen sahen, Kommissionen einzusetzen, um die Arbeiten zu überprüfen.

Die Aberkennung der Doktortitel führte nicht nur zu einer Reihe spektakulärer Rücktritte und einem Prestigeverlust für die betroffenen Politiker. Auch die Universitäten mussten sich die Frage gefallen lassen, inwieweit sie und die Doktorväter versagt hätten.

Diese öffentliche Kritik scheint der akademischen Welt nicht gefallen zu haben. So zumindest liest sich eine Empfehlung der 14. Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zur „guten wissenschaftlichen Praxis an deutschen Hochschulen“ aus dem Mai 2013.

HRK und DFG halten Whistleblowen für Fehlverhalten

Danach soll das „Whistleblowen“ selbst ein wissenschaftliches Fehlverhalten darstellen, wenn der Hinweisgeber das Aufspüren von Plagiaten vorzeitig öffentlich macht und sich nicht zuerst vertraulich an den Ombudsmann der jeweiligen Universität wendet. Die „Stimme der Hochschulen gegenüber Politik und Öffentlichkeit“, wie sich die HRK nennt, ist gewichtig. 267 deutsche Universitäten und Hochschulen sind in ihr zusammengeschlossen.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat diese Sichtweise im Juli in ihre eigenen „Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ (PDF) übernommen. Diese basieren auf den 1998 erschienenen Empfehlungen, die die ebenso machtvolle „Organisation zur Förderung der Forschung an Hochschulen und öffentlich finanzierten Forschungsinstituten“ ergänzt und jetzt neu veröffentlicht hat.

Neben den Whistleblowern behandeln die Empfehlungen die Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses, die Stärkung des Ombudswesens sowie die zeitliche Begrenzung von Untersuchungsverfahren.

„Es ist nicht hinzunehmen, dass die frühzeitige Herstellung der Öffentlichkeit durch die informierende Person einen Reputationsverlust des Betroffenen zur Folge hat“, steht in der Empfehlung der DFG. Die Forderung, Kritik nicht öffentlich zu üben, sondern sich vertraulich – nicht anonym – an die Universität zu wenden, wirft die Frage auf: Geht es wirklich in erster Linie darum, den Hinweisgeber und „den des Fehlverhaltens Bezichtigten“ zu schützen, wie behauptet wird?

Angst vor allzu viel Öffentlichkeit

„Es herrscht offensichtlich Angst davor, dass erneut Dissertationen unter die öffentliche Lupe genommen werden“, sagt die Politikwissenschaftlerin und Germanistin Sabine Volk. Ihrer Meinung nach soll die Empfehlung rückwirkend vor allem die wissenschaftlichen Arbeiten schützen, die vor längerer Zeit geschrieben worden sind.

„Dabei geraten auch immer die betreffenden Prüfer und Universitäten in den Fokus der Öffentlichkeit. Deren ’guter Ruf‘ könnte beschädigt werden“, sagt die Mitbegründerin und Sprecherin der Bildungsbewegung „Intelligenzija Moving“. Ihre Initiative setzt sich für eine Verbesserung der rechtlichen, finanziellen und wissenschaftlichen Situation von Nachwuchsforschern ein.

„Wenn die Dissertation sowieso veröffentlicht wird, dann hat die Öffentlichkeit auch ein Recht, die Arbeit zu lesen“, sagt Volk, die selbst Doktorandin an der Uni Potsdam ist. „Sie darf überprüfen, ob die wissenschaftlichen Standards eingehalten werden, die sich die Universitäten selbst setzen.“ Es sei der Sinn einer Dissertation, einen eigenen wissenschaftlichen Beitrag für die Gesellschaft zu erarbeiten.

In die gleiche Richtung zielt auch die Onlinepetition von Stefan Heßbrüggen-Walter von der Fernuniversität in Hagen, die bisher rund 1.800 Unterschriften bekommen hat. In Plagiatsfragen müsse es „Forscherinnen und Forschern unbenommen bleiben, den einem solchen Vorwurf zugrunde liegenden Sachverhalt öffentlich zur Diskussion zu stellen“, schreibt der Philosophie-Historiker und fordert die Streichung der entsprechenden DFG-Empfehlung. Der internationale Ruf der deutschen Wissenschaft stehe auf dem Spiel.

Der DFG-Präsident widerspricht sich selbst

Welche Unsicherheit und Widersprüchlichkeit derzeit beim DFG im Umgang mit nichtuniversitärer Kritik herrscht, machen auch Äußerungen ihres Präsidenten deutlich: „Whistleblower sind nur solche, die Vorwürfe erheben im Rahmen eines Ombudsverfahrens, sonst sind es Kritiker“, sagte Peter Strohschneider kürzlich in einem Interview mit Deutschlandradio.

Zugleich sagte er, dass der Vorwurf, die DFG wolle die Freiheit der Wissenschaft einschränken, „einfach ohne Grundlage“ sei. Die Vertraulichkeitsregel, auf die er pocht, setze alle anderen Formen wissenschaftlicher Urteilsbildung und Qualitätskontrolle – auch über das Internet – „selbstverständlich keineswegs außer Kraft“.

Widersprüchlich sind auch die Empfehlungen der DFG zur Stärkung des Ombudswesens. In Fragen vermuteten wissenschaftlichen Fehlverhaltens soll „ein neutraler und qualifizierter Ansprechpartner“ oder eine entsprechend besetzte Kommission die Vorwürfe entgegennehmen und im Bedarfsfall weiterleiten. Er oder sie sollte dabei aus dem Kreis der Wissenschaftler der jeweiligen Institution kommen.

Dass die Ombudsperson fachlich kompetent sein muss, ist unbestritten. Es stellt sich allerdings die Frage, wie neutral und unabhängig die Vertrauensperson sein kann, wenn sie aus der gleichen Einrichtung stammt, an die der Vorwurf schlechter wissenschaftlicher Praxis gerichtet ist.

Die Universitäten verkennen ihre Rolle

Wie problematisch die Selbstkontrolle an den Universitäten ist, darauf weist die DFG in ihren Ergänzungen selbst hin. „Wegen möglicher Besorgnis der Befangenheit“ sei immer eine Vertretung für eine Ombudsperson zu benennen. Außerdem soll „zur Vermeidung von Interessenkonflikten“ kein Prorektor, Dekan oder eine Person, die andere Leitungsfunktionen in der Einrichtung hat, Vertrauensmann werden. Die Sorge um die Befangenheit ist berechtigt. Sie schwächt aber die Ombudsleute in ihrer Position und stellt damit die universitäre Selbstkontrolle als Ganzes in Frage.

Die heftige Kritik an den Empfehlungen von HRK und DFG machen deutlich, dass die jüngsten Versuche des akademischen Betriebs, sich abzuschotten, ein Verkennen ihrer Rolle in der und darum ein falsches Signal an die Öffentlichkeit sind.

„Wenn die Wissenschaft frei ist, dann muss sie sich der öffentlichen Kritik stellen“, sagt Sabine Volk von „Intelligenzija Moving“. Die Universitäten, die von den Bürgern über Steuern finanziert werden, sollten externe Kritik als legitim akzeptieren und zugleich Rahmenbedingungen für wissenschaftliches Arbeiten schaffen, die wirklich verbindlich sind. Das sind sie nicht nur den rund 25.000 Nachwuchsforschern schuldig, die laut Statistischem Bundesamt jährlich in Deutschland promoviert werden.

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