Umgang mit Rechtsextremismus: Don Otto und die AfD
Natürlich möchte man am liebsten die AfD mit einem Verbot loswerden. Wären da nicht Konsequenzen, die möglicherweise alles noch schlimmer machen.
I m nordzentralen Chile kursiert im 19. Jahrhundert eine Art Legende über zwei Brüder deutscher Herkunft: Otto und Fritz Scheuch. Über sie werden unzählige wundersame Anekdoten erzählt, von denen eine besonders hervorsticht: die vom „Sillón de Don Otto“ – dem Sessel von Herrn Otto. Sie geht ungefähr so: Eines Tages berichtet Don Otto seinem Bruder Fritz, er habe seine Frau mit einem Liebhaber auf dem Sofa überrascht. Zornig erklärt er, dass er das nicht hinnehmen werde und eine drastische Lösung brauche.
Einige Tage später treffen sich die Brüder wieder. Neugierig fragt Fritz: „Na, Otto, wie hast du das Problem gelöst?“ Don Otto grinst: „Problem gelöst: Ich habe das Sofa verkauft!“ Das Interessante an dieser Geschichte – einer Art ländlicher Parabel – ist, dass sie uns nicht nur dazu anregt, über unsere eigenen Reaktionen auf alltägliche Konflikte nachzudenken, sondern auch über die institutionellen Antworten, mit denen Gesellschaften versuchen, ihre inneren Spannungen zu bewältigen.
In vielen Bereichen handeln wir noch immer wie Don Otto: Wir tauschen das Möbelstück aus, statt das eigentliche Problem anzugehen, und verkaufen kosmetische Korrekturen als tiefgreifende Reformen. Einer der Fälle, die diese Parabel aus soziopolitischer Perspektive besonders treffend verkörpern, ist der Umgang des politischen Systems mit der AfD. Die Geschichte von Don Otto eröffnet einen hilfreichen metaphorischen Zugang zur aktuellen Debatte über ein mögliches Verbot dieser Partei.
Zwar ist das Problem der AfD kein moralischer Fehltritt oder bloßer Vertrauensverlust wie im Fall eines untreuen Partners; die Lage ist erheblich ernster: Ihre offene Konfrontation mit demokratischen Werten und den Grundlagen des Rechtsstaats macht sie zu einer Bedrohung für genau jene Menschen, die dieser schützen soll. Wenn AfD-Funktionäre die NS-Vergangenheit verharmlosen, Minderheiten angreifen und ein ausschließendes nationales Selbstverständnis propagieren, bleibt das nicht bei bloßer Rhetorik.
Ein Verbot löst das Problem nicht
All dies stellt eine Herausforderung dar, die keine Demokratie ignorieren darf. Wenn der Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft, dann verlässt das Problem den Bereich bloßer subjektiver Meinungen und zeigt seine strukturelle Verankerung. Letztlich herrscht in der Partei ein ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis vor, das mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist.
Insofern scheint dies auf den ersten Blick ein hinreichendes Argument für ein Parteiverbot zu liefern. Dennoch gibt es einen Aspekt, der im öffentlichen Schlagabtausch oft übersehen wird. Ungeachtet der objektiven Argumente, die ein mögliches Verbot der AfD stützen, darf man nicht ignorieren, dass eine solche Entscheidung Züge annehmen könnte, die uns wieder an Don Ottos alten Sessel erinnern.
Denn so sehr sich die Demokratie vor jenen schützen muss, die sie gefährden, so illusorisch wäre es zu glauben, ein Parteiverbot würde automatisch beziehungsweise „per Dekret“ solche Einstellungen und Praktiken auflösen, die diese Partei prägen – seien es historischer Relativismus, Diskriminierung, kulturelle Ausgrenzung oder ethnisch definierter Nationalismus.
Wie im Fall von Don Otto liegt das Problem auch hier nicht allein in der trügerischen Komfortzone dessen, der glaubt, eine unerwünschte Situation durch sein Handeln zu lösen, sondern vielmehr darin, dass gerade dadurch die eigentlichen, tiefer liegenden Probleme überdeckt bleiben. Obwohl man glaubt, das Problem an der Wurzel gepackt zu haben, ist es in Wahrheit nur oberflächlich übertüncht.
Riskantes Terrain
Das führt letztlich zu einer Verschiebung der Problemlösung und könnte das zugrunde liegende Szenario sogar weiter verschärfen. Ein anschauliches Beispiel für diese Dynamik zeigt sich bereits im Versperren des demokratischen Wegs für dieses politische Lager. Als Frage formuliert: Welche Lehre würden AfD-Wähler daraus ziehen, wenn sie feststellen, dass ihnen die Möglichkeit genommen wird, ihre Vorstellungen demokratisch einzubringen?
Die Paradoxie eines Verbots liegt darin, dass man im Namen der Demokratie jene Anreize schwächen könnte, die ideologische Konflikte im institutionellen Rahmen halten. Dadurch drohen diese Konflikte in ein unvorhersehbares und riskantes Terrain abzurutschen. Episoden wie die Putschpläne der Reichsbürger deuten schon an, in welche außerinstitutionelle Richtung sich Bewegungen entwickeln können, wird ihnen der politische Weg versperrt.
Gewiss könnte eine Entscheidung, die AfD zu verbieten, und dabei im Verfahren zu scheitern, noch größeren Schaden anrichten. Ein solcher Fehlschlag würde der Partei womöglich einen Märtyrerstatus verleihen, sie zur Opferfigur stilisieren und ihr damit sogar zusätzlichen Aufschwung liefern. Doch schon diese knappe Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Verbots lädt dazu ein, über ein Problem nachzudenken, das die deutsche Gesellschaft insgesamt durchzieht und weder mit der AfD beginnt noch mit ihr endet.
Gemeint ist das Beharren jener kollektiven Milieus, in denen Geschichte umgeschrieben wird, Diskriminierung zum Alltag gehört, der Wert der Menschenrechte erodiert und die Institutionen, die für ihren Schutz zuständig sind, infrage gestellt werden. Natürlich kann es verlockend sein, sich wie Don Otto des Sessels zu entledigen – der Fahne, der plakativen Propaganda. Klar ist das einfacher und billiger, als sich dem strukturellen Problem zu stellen. Am Ende kommt aber das Billige teuer zu stehen.
Der Punkt besteht nicht darin, ein Verbot der AfD pauschal abzulehnen, sondern zu verstehen, dass es das Problem nicht löst und die Notwendigkeit nicht ersetzt, dem entgegenzutreten, was aus Bequemlichkeit ausgeblendet wird. Letztlich geht es darum, die Ideologie der Intoleranz konsequent zu bekämpfen – im Bewusstsein, dass es wenig nützt, den Sessel hinauszuwerfen, wenn der Verlauf jener „Beziehung“ nicht thematisiert wird, nämlich: die Erzählungen, Vorurteile und kollektive Trägheit, die ihm zugrunde liegen.
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