Umgang mit zweiter Coronawelle: Nur Mut!

Albtraum­vokabeln können zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Was es braucht, sind aufbauende Worte und der Mut zur Differenzierung.

Eine Person mit Maske mit aufgedrucktem Lächeln.

Hilft auch, zumindest etwas: Eine ich-lächele-jetzt-mal-den-ganzen-Tag-Maske Foto: Ralph Peters/imago

Der Gesundheitsminister höchstpersönlich hat Corona. Der Bundespräsident ist in Quarantäne. Die täglichen Infektionszahlen in Deutschland sind auf einem neuen Höchststand. 11.287, wow. In Berlin brennt auch noch ein Lagerhaus voller Klopapier ab, das bald beim Hamstern fehlen könnte. Uff. Alles Probleme, um die uns die meisten anderen Länder aber noch beneiden, denn bei ihnen ist die Lage schon viel schlimmer. Kurzum: Die zweite Welle ist zweifellos da, in ganz Europa. Wer ruhig und locker bleiben will, muss gute Nerven haben, Corona leugnen – oder den Nachrichtenkonsum einstellen.

Was vielleicht helfen könnte, wären aufbauende Worte von patenten Regierungsmenschen, denen man Schutz und Tatkraft zutraut. Als besonders kräftig gilt weiter Markus Söder, doch was tut der zweifellos fleißige, aber auch besserwisserische Bayer, der gern das Berliner Feiervolk und andere Laschis belehrt?

Söder sagt, er wolle „keine Endzeitstimmung propagieren“ – und schürt sie genau mit solchen Worten erst, denn Albtraum­vokabeln bleiben natürlich in den Ohren und werden leicht zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung – wenn vor lauter Sorgen irgendwann der Mut ausgeht. Das darf nicht passieren.

Also Mut zur Ehrlichkeit: Ja, dieser Winter wird hart. Um ein gesundheitliches Desaster zu verhindern, müssen jetzt alle viel Disziplin aufbringen. Aber es ist nicht alles hoffnungslos. Im Gegenteil, die übergroße Mehrheit hat längst bewiesen, dass sie zu nötigen Einschränkungen bereit ist. Deshalb nur Mut: Denkt positiv – auch wenn sogar dieses schöne Wort gerade negativ besetzt ist.

Nichts wäre schädlicher, als nur noch panisch auf die nächsten Zahlen zu starren. Das lähmt. Dagegen hilft: Mut zur Differenzierung: Nicht alle steigenden Zahlen sind gleich schlimm. Exponentiell steigende Infektionen sind nicht automatisch gleichbedeutend mit ebenso stark steigenden Ernstfällen. Der Schutz für Risikogruppen und die Behandlungsmöglichkeiten haben sich seit dem Frühjahr verbessert.

Fantasie wäre nötig

Mut zur Fantasie: Statt Handel, Schulunterricht oder Sport wieder einfach komplett zu verbieten, sollten die Entscheidungsträger*innen kreativere Konzepte entwickeln als bei der ersten Welle. Damals wurden beispielsweise Bibliotheken einfach monatelang geschlossen, statt zu überlegen: Wie kann man online bestellen und Bücher geschützt abholen? Wie kann man Kinder motivieren, mit Vorsicht Sport zu treiben, statt sie sich selbst und ihren Smartphones zu überlassen?

Mut zum Eingeständnis: Niemand weiß genau, wie die Krise überwunden werden kann. Deshalb sollte, siehe Söder, auch niemand selbstherrlich so tun, als ob – und stattdessen Mut zur Gelassenheit aufbringen: Wer andere sieht, die sich regel­unkorrekt verhalten, sollte sie ruhig ansprechen. Aber mit der Betonung auf ruhig. Und ohne versteckte Kamera für den Social-Media-Pranger. Nichts spaltet mehr als Denunziantentum.

Und ja, es braucht auch in der schlimmsten Krise Mut, die Maßnahmen der Regierung in Frage zu stellen. Wenn sie zu locker, aber auch wenn sie sinnlos strikt erscheinen. Das muss diskutiert werden, nicht nur bei Bund-Länder-Treffen.

Und: Mut zum Humor! Über die Hinweise eines Hotels zur „Corona-Eindämmerung“ wie im letzten „Hohlspiegel“ zu lächeln, ist auf jeden Fall besser, als sich Söders Endzeitstimmung hinzugeben.

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