Umkämpfte Gebiete im Irak: Dschihadisten rücken weiter vor

Die Islamisten im Irak kündigen an, eine Schlacht um Bagdad zu führen. Die Regierung berät über einen möglichen Notstand. Und bittet Washington um Hilfe.

Schutt und Asche in Mossul – und die Islamisten kämpfen weiter. Bild: ap

TIKRIT/BAGDAD rtr/afp/dpa | Die Dschihadisten im Irak wollen nach ihrer Blitzoffensive im Norden des Landes nun auch auf die Hauptstadt Bagdad vorrücken. Wie das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Mittwoch mitteilte, kündigte ein Sprecher der Dschihadistengruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (Isis) an, dass es bald auch Kämpfe in Bagdad und Kerbela weiter südwestlich geben werde.

„Noch tobt die Schlacht nicht, aber sie wird in Bagdad und Kerbela toben“, sagte der Isis-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani den Angaben zufolge in einer Audiobotschaft, die über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet wurde. „Legt eure Gürtel an und macht euch bereit“, fügte er demnach hinzu.

Bei ihrer Blitzoffensive sind die Dschihadisten im Irak weiter nach Süden vorgerückt. Sie eroberten die Stadt Dhuluijah, nördlich von Bagdad, wie übereinstimmend ein Stadtrat, die Polizei und Augenzeugen berichteten. Die irakische Armee hat außerdem nach Kurden-Angaben die Ölstadt Kirkuk im Norden des Landes aufgegeben. Kurdische Sicherheitskräfte hätten die Stadt unter ihre Kontrolle gebracht, teilte einer ihrer Sprecher am Donnerstag mit.

Bereits am Dienstag und Mittwoch hatten sie die Millionenstadt Mossul unter ihre Kontrolle gebracht. Widersprüchliche Angaben gab es am Mittwochabend zu Baidschi und Tikrit. Das Staatsfernsehen berichtete von der Rückeroberung der strategisch wichtigen Städte durch Regierungstruppen. In anderen Medien hatte es zuvor geheißen, die Orte seien von den Aufständischen besetzt worden.

Nach Angaben aus Sicherheitskreisen rückten Isis-Kämpfer mit mehr als 60 Fahrzeugen in Tikrit ein, besetzten die örtlichen Regierungsgebäude und hissten ihre schwarze Fahne. Anschließend hielten etwa 100 von ihnen im Zentrum des Ortes ein Massengebet ab. Man habe die Islamisten in ihren Humvee-Geländefahrzeugen und Polizeiautos zunächst für reguläre Sicherheitskräfte gehalten, sagte ein hochrangiger Polizist, der nach Samarra floh. „Wir kämpfen gegen Teufel, nicht gegen normale Menschen.“

Die mehr als eine Million Mann starke irakische Armee, von den USA ausgebildet und ausgestattet mit Ausrüstung im Wert von fast 25 Milliarden Dollar, hat den Islamisten bislang kaum etwas entgegenzusetzen.

500.000 Menschen auf der Flucht

In Mossul flohen rund 500.000 Menschen vor den Extremisten. Sie hätten ihre Wohnhäuser aus Angst vor gewalttätigen Übergriffen verlassen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Genf mit. Durch Kämpfe habe es unter der Zivilbevölkerung „eine hohe Zahl von Opfern“ gegeben.

Angesichts des Vormarsches radikaler Islamisten berät das irakische Parlament am Donnerstag über die Verhängung des Notstandes. Ministerpräsident Nuri al-Maliki hat diesen Schritt eingefordert. Damit bekäme der umstrittene schiitische Regierungschef mehr Befugnisse, um in den Konflikt mit den radikalsunnitischen Aufständischen einzugreifen.

Zudem habe Bagdad Washington um Luftunterstützung bei der Bekämpfung der Extremisten gebeten, bestätigten US-Beamte dem Fernsehsender NBC News am Mittwoch. Die USA sagten der Regierung in Bagdad „jede angemessene Hilfe“ zu, ohne jedoch Einzelheiten zu nennen. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums erklärte, man sei über die sich verschlechternde Sicherheitslage im Irak sehr besorgt.

Dringlichkeitssitzung der Nato

Die Nato hat unter dem Eindruck der Blitzoffensive radikaler Islamisten im Irak eine Dringlichkeitssitzung abgehalten. Die Türkei habe das Treffen beantragt, sagte ein Vertreter des Bündnisses am Mittwoch in Brüssel. Die Regierung in Ankara habe die Verbündeten über die Lage im Nachbarland informiert, jedoch nicht um Hilfe im Rahmen der Allianz gebeten.

Der UN-Sicherheitsrat hat die Einnahme der irakischen Millionenmetropole Mossul durch radikale Islamisten verurteilt. Das Gremium forderte am Mittwoch zudem die sofortige Freilassung türkischer Geiseln im Irak. Die terroristischen Anschläge der Islamisten richteten sich gegen das irakische Volk, hieß es in einer Erklärung des Gremiums.

Die Isis ist eine der radikalsten islamistischen Gruppen im Nahen Osten. Als „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ kämpft die Gruppe für einen sunnitischen Großstaat zwischen Mittelmeer und Euphrat. Bereits jetzt kontrolliert sie inzwischen - ohne Berücksichtung der teilautonomen Kurdengebiete im Norden - zehn und 15 Prozent des Irak. Isis kämpft auch gegen die Regierung im benachbarten Syrien und will die eroberten Gebiete über die Grenze hinweg zu einem islamischen Staat verschmelzen.

Viele Sunniten fühlen sich benachteiligt durch die schiitisch dominierte Regierung. Schon nach dem Abzug der Amerikaner im Dezember 2011 hatte eine Welle der Gewalt zwischen Schiiten und Sunniten den Irak erschüttert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.