Umkehr Niedersachsens Schulpolitik: Turbo-Abi bald Geschichte

Kultusministerin Frauke Heiligenstadt will Gymnasiasten „Zeit zum Leben geben“. Ab 2015 wird das Abi nach 13 Jahren wieder die Regel in Niedersachsen.

Der Protest hat sich gelohnt. Bild: dpa

HANNOVER taz | Niedersachsen macht ernst und kippt das umstrittene Turbo-Abi am Gymnasium als erstes Bundesland komplett. Ab 2015 soll das Abitur nach 13 Jahren wieder die Regel sein. Am Donnerstag stellte Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) die Details dieser Abi-Reform vor. Tags zuvor hatte eine eigens zur Frage der Zukunft des Abis am Gymnasium einberufene Expertenkommission abschließend getagt.

Seit vergangenem Sommer hat sich das Gremium aus Lehrern, Schülern, Eltern und Verbänden mit verschiedenen Möglichkeiten befasst, um den Abistress an Niedersachsens Gymnasien zu mildern: Ein abgespecktes G8, sprich acht Jahre bis zum Abi mit weniger Prüfungsfächern und Klausuren, die Rückkehr zu neun Jahren oder ein paralleles Angebot von G8 und G9.

Die Ergebnisse der Kommission sind nun Basis für Heiligenstadts Reformpläne. Ihren Grundsatzentscheid für die Rückkehr zum G9 hatte die Ministerin allerdings schon im Februar verkündet. Zuvor hatte Heiligenstadt über Monate stets darauf verwiesen, auf die Empfehlungen der Expertengruppe warten zu wollen.

Konkretes konnte Heiligenstadt im Februar noch nicht vorlegen. Wie genau ihre Abi-Reform aussehen soll, liefert sie jetzt nach: Ab dem Schuljahr 2015/16 soll das G9 wieder für alle GymnasiastInnen der fünften bis achten Klasse gelten. Der erste Jahrgang soll demnach 2020/21 wieder das Abi nach insgesamt 13 Schuljahren absolvieren. Und auf dem Weg dahin wolle man SchülerInnen „Zeit zum Lernen und zum Leben geben“, wie es Heiligenstadt formuliert.

Eine Reform des Turboabis am Gymnasium hatte Rot-Grün in Niedersachsen gleich zur Regierungsübernahme 2013 angekündigt.

Zunächst wurde eine Expertenkommission einberufen, die ergebnisoffen prüfen sollte, wie das Abi entstresst werden kann.

Die Rückkehr zum Abi nach 13 Jahren ist laut Kultusministerium besonders günstig und braucht etwa 130 zusätzliche Lehrer.

Das parallele Angebot von G8 und G9 (Y-Modell) hätte bis zu 830 Extralehrer benötigt.

Nur noch 32 statt 36 Kurse

Die Zahl der Pflichtwochenstunden soll von derzeit bis zu 34 auf maximal 30 pro Jahrgang gesenkt werden. Zugleich sollen in der Oberstufe sieben Klausuren weniger geschrieben und nur noch 32 statt 36 Kurse in die Qualifikation für das Abi eingebracht werden müssen. Auch individuelle Schwerpunkte sollen künftig besser gefördert werden: Grund-Prüfungsfächer sollen mit drei Stunden pro Woche, Hauptfächer mit fünf unterrichtet werden. Derzeit gibt es in Grund- wie Hauptfächern vier Stunden.

Besonders lernschnelle SchülerInnen sollen trotz der Reform durch das Überspringen einer Klasse das Gymnasium weiterhin nach zwölf Jahren abschließen können. In der Regel bietet sich das Heiligenstadt zufolge in Klasse elf an, die künftig auf die Oberstufe vorbereiten soll. Bis zu ein Viertel eines Jahrgangs könnte diese Möglichkeit nutzen, kalkuliert man im Kultusministerium. Um dabei je nach Lerntempo gezielt zu unterstützen, sollen den Schulen zwei Förderstunden zusätzlich pro Jahrgang zugewiesen werden, kündigt die Kultusministerin an.

Rechtsfest werden soll die Reform durch eine Novelle des Schulgesetzes. Im Herbst will Heiligenstadt die Novelle in den Landtag einbringen, ab August 2015 soll sie gelten. Forderungen, das G9 schon zum kommenden Schuljahr wieder einzuführen, erteilte sie gestern eine klare Absage: „Wir machen nicht die gleichen Fehler wie andere in der Vergangenheit“, sagte sie.

Denn grundsätzlich herrscht im Reformkurs Einigkeit zwischen Regierung, Opposition, Lehrer- und Elternverbänden. Einzig bei der Frage des Zeitpunkts gibt es Gegenwind. Mehr Tempo wollen nun ausgerechnet jene, die das Turbo-Abi noch vor zehn Jahren hastig eingeführt hatten: CDU und FDP, damals Regierung, heute Opposition, sowie der Philologenverband, der das G8 einst herzlich begrüßte. „Für die Verkürzung der Schulzeit wurden weniger pädagogische, sondern mehr wirtschaftliche Gründe ins Feld geführt“, betonte Heiligenstadt. „Die Erwartungen erfüllen sich aus heutiger Perspektive aber nicht.“ Vielmehr kämen Klagen über mangelnde Reife und Grundwissen der Turbo-AbiturientInnen von Wirtschaft wie Hochschulen.

Profitieren würden von der Reform aber auch die SchülerInnen, die das Abi noch nach zwölf Jahren ablegen müssen, verspricht Heiligenstadt. Die Entschlackung der Oberstufe mit mehr Förderstunden bei weniger Klausuren und Kursen gelte auch für sie.

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