Umstrittene Demenzforschung: Bundestag stimmt dafür

Arzneimitteltests dürfen an „nicht einwilligungsfähigen Personen“ durchgeführt werden – auch dann, wenn sie keinen direkten Nutzen davon haben.

Jemand blättert in einer Akte

Eine Altenpflegerin schaut in Patientenakten Foto: dpa

BERLIN epd | Künftig wird es in Deutschland erlaubt sein, dass auch schwer demenzkranke Patienten an Forschungs-Studien teilnehmen. Der Bundestag stimmte am Mittwoch in Berlin mehrheitlich für eine Aufhebung des bisherigen Verbots. In der entscheidenden Abstimmung votierten 330 Abgeordnete für den Antrag des SPD-Gesundheitspolitikers Karl Lauterbach und weiterer Abgeordneter aus allen Fraktionen. Es gab 243 Gegenstimmen und acht Enthaltungen. Endgültig soll der Gesetzentwurf an diesem Freitag verabschiedet werden.

In der vorangegangenen fast zweistündigen Debatte hatten beide Seiten eindringlich für ihre Positionen geworben. Gegner und Befürworter der Liberalisierung gibt es in allen Fraktionen. Die Abstimmung fand ohne Fraktionszwang statt. Die Gegner um die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatten die ausführlichen Beratungen über das heikle ethische Thema erst erzwungen. Die Abstimmung über den Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) musste mehrfach verschoben werden. Sie erhielten für ihren Antrag 254 Ja-Stimmen.

Bisher ist die Teilnahme nicht einwilligungsfähiger, also auch demenzkranker Patienten an klinischen Studien nur erlaubt, wenn sie eine Besserung erhoffen können, etwa durch neue Medikamente. Gröhe versicherte, der Schutz für die Studienteilnehmer sei auch nach der Gesetzesänderung in Deutschland höher als in allen anderen EU-Ländern. Der Mehrheits-Antrag, dem sich auch Gröhe angeschlossen hatte, sieht vor, dass Studienteilnehmer ihre Zustimmung in einer Voraus-Verfügung hinterlegen müssen, wenn sie noch gesund genug dazu sind. Dazu müssen sie sich von einem Arzt beraten lassen.

Gröhe sagte, ihn bedrücke der „forschungsfeindliche Ton“ in der Debatte. Zum Menschsein gehöre auch, sich dafür entscheiden zu können, zur Erforschung der Krankheit beizutragen. Die Koalition habe viel getan für eine bessere Pflege von Demenzkranken. Es sei aber genauso wichtig zu fragen, wie diese Krankheit besser erforscht werden könne.

Abstimmung quer durch die Parteien

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Kathrin Vogler, machte hingegen deutlich, dass die Verbotsbefürworter keine Forschungsgegner seien. Sie wendeten sich aber dagegen, den Schutz einer besonders verletzlichen Patientengruppe zu gefährden: „Der hohe Probandenschutz ist kein Hindernis, sondern ein Qualitätsmerkmal für den Forschungsstandort Deutschland“, argumentierte sie.

Vogler, die grüne Gesundheits-Expertin Kordula Schulz-Asche und Ulla Schmidt kritisierten, die Voraus-Verfügung biete keinen Schutz. Niemand könne lange vor der Teilnahme wissen, an welcher Art Studie er später teilnehmen werde, sagte Schmidt. Als Demenzkranker könne er dann aber Nutzen und Auswirkungen der Forschung nicht mehr einschätzen. Der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe warnte davor, im Umgang mit nicht einwilligungsfähigen Patienten eine Tür aufzumachen, die man nicht mehr schließen könne.

Demgegenüber betonten die Befürworter der Liberalisierung, es gehe um das Selbstbestimmungsrecht von Menschen, die bereit seien, sich an Studien zur Erforschung von Alzheimer und Demenz zu beteiligen. Gegenwärtig gebe es 700.000 Erkrankte in Deutschland, ihre Zahl werde sich verdoppeln, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion Petra Sitte. Der SPD-Vizefraktionsvorsitzende Karl Lauterbach erklärte, man könne fortgeschrittene Demenz nur an Kranken im fortgeschrittenen Stadium erforschen. Er sagte aber auch, es gebe gute Gründe für alle im Parlament vertretenen Positionen. Niemand könne der jeweils anderen ihre Ernsthaftigkeit absprechen.

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