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Umstrittenes GesetzespaketRente mit Schmerzen

Nach langem Hickhack hat der Bundestag das Rentengesetz der Koalition sogar mit Kanzlermehrheit verabschiedet. Doch wie geht's jetzt weiter?

Friedrich Merz am Freitag Foto: Kay Nietfeld/dpa
Jasmin Kalarickal

Aus Berlin

Jasmin Kalarickal

Wie ging das Rentendrama aus?

Das umstrittene Paket wurde am Freitag im Bundestag wie geplant beschlossen. Die Linke hatte schon vorab angekündigt, sich zu enthalten. 319 Abgeordnete stimmten mit Ja, 225 mit Nein und 53 enthielten sich. Damit hat Kanzler Friedrich Merz (CDU) seine angestrebte „Kanzlermehrheit“ erreicht. Das Rentenniveau soll also bis zum Jahr 2031 bei 48 Prozent gehalten werden. Die sogenannte Mütterrente wird ausgeweitet. Diese teuren Vorhaben sollen über Bundeszuschüsse finanziert werden. Auch beschlossen, in jeweils eigenen Gesetzen, wurden eine Stärkung der Betriebsrenten, und die sogenannte Aktivrente, ein Steuergeschenk für Rentner:innen, die weiterarbeiten können.

Bis zuletzt blieb unklar, ob die Koalition eine Mehrheit für das Rentenpaket zusammenkriege. Junge Unionsabgeordnete wollten das Paket im Bundestag boykottieren, weil sie die Folgekosten nach 2031 durch die Stabilisierung des Rentenniveaus als zu hoch einschätzen. Das stellte die Regierung vor eine echte Belastungsprobe. Um tiefer greifende Reformen soll sich ab nächstem Jahr eine Rentenkommission kümmern. Im vergangenen Koalitionsausschuss hatte Schwarz-Rot Aufträge für die Kommission formuliert, dieses Papier sollte ursprünglich mit einem Entschließungsantrag gemeinsam mit dem Gesetz beschlossen werden. Das wurde zurückgezogen, das Papier bleibt aber inhaltlich weiterhin gültig.

In Sachen Rentenreform hatte man in den letzten Jahren den Eindruck der Stagnation. Was ist von der Kommission zu erwarten?

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In der Vergangenheit gab es einschneidende Reformen, etwa die Rente mit 67, die der damalige Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) unter Kanzlerin Merkel in einer Großen Koalition eingeführt hat. Die neu eingesetzte Kommission soll bis Mitte 2026 konkrete Reformvorschläge erarbeiten. Erklärtes Ziel ist, den Lebensstandard im Alter für kleinere und mittlere Einkommen zu sichern und eine nachhaltige Finanzierung zu gewährleisten.

Die Kommission soll dabei Wirkungen auf Frauen, Nor­mal­ver­die­ne­r:in­nen und Menschen mit wenig Einkommen berücksichtigen. Auf dem Tisch liegen sehr viele Fragestellungen: Ein späteres Renteneintrittsalter, mehr Kapitalmarkt bei privater Vorsorge oder auch Be­am­t:in­nen in die Rentenkasse einbezogen werden sollen. Offenbar durften sich bei dem Papier alle einmal austoben. Was am Ende dabei rauskommt, ist völlig offen.

Wer sitzt in der Kommission ?

Die Kommission soll ihre Arbeit bereits im Dezember beginnen und aus 13 Mitgliedern bestehen. Das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium und das Bundeskanzleramt werden gemeinsam zwei Vorsitzendende vorschlagen. Dazu kommt jeweils eine Person aus dem Bundestag von CDU, CSU und SPD sowie acht Wissenschaftler:innen. Vier werden von der Union, vier von der SPD vorgeschlagen. Das heißt: Die Union hat innerhalb der Kommission eine Stimme mehr als die SPD. Die Beschlüsse sollen zwar generell im Konsens entschieden werden – aber bei strittigen Fragen sollen Mehrheitsbeschlüsse möglich sein.

Beschäftigt sich die Kommission auch mit Fragen, die die Unionsrebellen besänftigen könnten?

Auf jeden Fall. Zum einem soll der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor bei der jährlichen Rentenanpassung nach 2031 weiterentwickelt werden. Dieser Faktor, eingeführt unter Rot-Grün im Jahr 2005, dämpft den Rentenanstieg, wenn die Zahl der Rent­ne­r*in­nen schneller steigt als die Zahl der Beitragszahlenden – er kann aber auch in die umgekehrte Richtung wirken. Zum anderen soll laut Papier ein „Nachholfaktor“ eingeführt werden, „zum Abbau des Ausgleichsbedarfs infolge der Haltelinie“.

Mit einem solchen Faktor soll das Rentenniveau schneller sinken – eigentlich genau das, was sich die jungen Unionsrebellen gewünscht haben. Nicht nur das: Derzeit sind die Renten an die allgemeine Lohnentwicklung gekoppelt. Die Rentenkommission soll nun auch darüber beraten, ob die Renten künftig an die Inflation gekoppelt werden. Diese Idee befürwortet unter anderem die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. Auch der Internationale Währungsfonds spricht sich dafür aus. Liegt die Inflation unter der Lohnentwicklung, was meist der Fall ist, würden die Renten langsamer steigen als bisher.

Was würde der SPD besonders Bauchschmerzen bereiten?

Eine eventuelle Anhebung des Renteneintrittsalters. „Viele erreichen aus gesundheitlichen Gründen bereits das jetzige Renteneintrittsalter nicht,“, sagte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas noch Anfang August. Für diese Menschen sei eine Anhebung „eine Rentenkürzung“. 2024 sind laut Deutscher Rentenversicherung 60 Prozent der Neurent­ne­r:in­nen frühzeitig in den Ruhestand gegangen. Die Regelaltersgrenze liegt für Jahrgänge ab 1964 in Deutschland derzeit bei 67 Jahren. Die Union fordert eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalter schon seit Langem. Menschen werden im Schnitt auch immer älter und beziehen länger Rente, argumentieren sie. Klingt logisch? Ja und nein. Das Problem ist: Ärmere Menschen sterben in der Regel früher und beziehen damit kürzer Rente. Zudem ist es in manchen Berufen schwer, die Arbeit bis ins hohe Alter durchzuhalten. Wer eine höhere Altersgrenze fordert, muss also Lösungen für besonders belastende Berufe finden.

Und was ist mit der „Rente mit 63?“

Das ist eine weitere bittere Pille für die Sozis: Auch die sogenannte „Rente mit 63“ kommt nochmal auf den Prüfstand. Es gibt zwei Altersrenten, die vor dem regulären Renteneintrittsalter bezogen werden können, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind: Eine „für besonders langjährig Versicherte“ nach 45 Beitragsjahren ohne Abschläge und eine „für langjährig Versicherte“ nach 35 Jahren mit Abschlägen. Umgangssprachlich wird bei der abschlagsfreien Variante oft von „Rente mit 63“ gesprochen, obwohl der Begriff irreführend ist. Denn mit welchem Alter Menschen frühzeitig in Rente gehen können, hängt vom Geburtsjahr ab. Die Kommission soll nun über eine Anpassung der Altersgrenze nachdenken und Zu- und Abschläge neu austarieren.

Ist bei den Prüfaufträgen auch eine sozialdemokratische Handschrift erkennbar?

Diskutiert werden soll auch, wie die „Grundrente zu einer armutsfesten Mindestrente für langjährige Beitragszahlende entwickelt werden kann“. Die Grundrente wurde 2021 auf Druck der SPD eingeführt. Menschen, die lange in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt haben, aber wenig verdient haben, bekommen seither einen individuellen Zuschlag. Wer mit seiner Rente aber unter dem gesetzlichen Existenzminimum liegt, bekommt zusätzlich die Grundsicherung im Alter – diese orientiert sich an den Regelsätzen des Bürgergeldes.

Zahlen denn künftig nun auch Beamt:innen, Bundestagsabgeordnete und Selbstständige in die Rentenkasse ein?

Möglich. Die „Einbeziehung weiterer Gruppen“ soll in der Kommission diskutiert werden. Allerdings wird keine konkrete Gruppe benannt. Im Koalitionsvertrag hatte sich Rot-Schwarz zumindest für die Integration von Selbstständigen ausgesprochen.

Wird der Beitragssatz zur Rente steigen ?

Das ist unklar. Formuliert wurde, dass der Beitragssatz die nächsten zehn Jahre stabil gehalten werden soll. Dafür soll auch die „Einbeziehung anderer Einkunftsarten in die Beitragsbemessung“ geprüft werden. Gemeint sind etwa Einkünfte aus Vermietung oder aus Dividenden.

Und jenseits der gesetzlichen Rentenversicherung?

Die offizielle Rentenpolitik fußt auf einem Drei-Säulen-Modell. Neben der gesetzlichen Rente oder anderen verpflichtenden Bezugssystemen, sollen Menschen im Idealfall eine Betriebsrente erhalten und dazu noch privat vorgesorgt haben. Auch damit soll sich die Kommission befassen und eine Verbesserung erreichen. Bei der privaten Altersvorsorge sollen verstärkt die „Vorteile des Kapitalmarktes“ genutzt werden. Mit den „Dividenden eines Aktienpakets aus Beteiligungen des Bundes im Wert von 10 Milliarden Euro“ soll die private Altersvorsorge der jungen Generation unterstützt werden.

Sind die Ergebnisse der Kommission bindend?

Nein. Aber nach dem ganzen Hickhack der Koalition ist der Druck zu einer Reform groß.

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