Umverteilung bei Fußballvereinen: Die Krümel am Ende der Kette

Mit dem Solidaritätsbeitrag sollen kleine Vereine von ihrer Jugendarbeit profitieren. Was bewirkt das Geld? Und was machen die Klubs damit?

Ein Fußballer macht einen Sprung, um einen Fußball zu köpfen

Antonio Rüdiger, jetzt beim FC Chelsea, hat nicht nur dem AS Rom einen Geldsegen beschert Foto: reuters

Als am 9. Juli der deutsche Verteidiger Antonio Rüdiger offiziell vom AS Rom zum FC Chelsea wechselt und Chelsea eine so mittelhohe Ablöse von rund 38 Millionen Euro lockermacht, ist das ein guter Tag für den Berliner Neuntligisten NSF Gro­pius­stadt. Es ist außerdem ein guter Tag für den Sechstligisten SV Tasmania und für den Oberligisten Hertha Zehlendorf und für den VfB Stuttgart, der an der Spitze einer zaghaft wartenden Nahrungskette steht.

Die großen Zeitungen werden die Kette mit vielleicht einem Satz erwähnen, „auch kassiert bei dem Wechsel haben die Vereine x,y und z“, so in etwa. Versehen mit der Erklärung: Solidaritätsbeitrag. Ja, tatsächlich. Weil ein englischer und ein italienischer Klub Geschäfte machen, bekommt ein Berliner Neuntligist Geld. Antonio Rüdiger hat mal bei Gropiusstadt gespielt, als er noch der Toni war und nicht der Rüdiger aus dem Panini-Album. Der Lohn sind 87.500 Euro.

Dennis Hopp ist glücklich. Der erste Vorsitzende des NSF Gropiusstadt will nicht klagen, dass 87.500 Euro vielleicht wenig sind im Vergleich zu 38 Millionen, ein winziger Kuchenkrümel. Für den NSF Gropiusstadt ist der Krümel ein Geschenk. „Bei Vereinen mit anderen Verhältnissen mag der Blick anders sein“, sagt er, „aber für uns war es viel Geld.“ Es passiert nicht oft, dass es jemand aus Gropiusstadt in den Profifußball schafft. Jetzt soll die Fifa-Regelung namens Solidaritätsbeitrag die Jugendarbeit belohnen.

Sie besagt: Wenn ein Spieler ab der D-Jugend bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres mindestens ein Jahr im Verein aktiv war, erhält der Klub bei einem internatio­nalen Transfer 0,25 Prozent der Ablöse. Spielte er anschließend noch im Verein, gibt es 0,5 Prozent. Ganz unten in der Nahrungskette, in den Tiefen des Provinzfußballs, bringt das Dankbarkeit. Und auch ein wenig Überforderung.

So viel Geld ist eine Herausforderung

Dennis Hopp weiß, dass so jemand wie Antonio Rüdiger nicht unbedingt wegen der tollen Nachwuchsarbeit des NSF Gropiusstadt Nationalspieler wurde. „Es gehört auch Glück dazu, dass man so einen talentierten Spieler bekommt.“ Und: „Man kann nicht davon ausgehen, dass jetzt ständig Profis bei uns wachsen.“ Im Idealfall soll der Solidaritätsbeitrag einen Kreis schließen: Kleine Vereine investieren zurück in die Jugend. Der NSF Gropiusstadt aber hat im Moment gar keine Jugendabteilung.

„In der Vergangenheit ist vieles im Verein schiefgelaufen“, sagt Hopp. Jetzt wollen sie die 87.500 Euro in eine neue Jugend investieren, in ausgebildete Trainer, Material. 87.500 Euro. Für einen Neuntligisten nicht leicht. „Es ist schon eine gewisse Herausforderung, plötzlich so viel Geld zu haben. Die Mitglieder sagen: Ist ja toll, dann könnt ihr auch mal was in unsere Mannschaft stecken. Dafür ist es aber nicht gedacht. Die große Frage ist: Wie investiere ich sinnvoll, ohne dass es verpufft und verbrannt wird?“

Ob die Amateurklubs sinnvoll investieren, verfolgt niemand. Laut der ECA (European Club Association) wurden in Europa von 2011 bis 2013 60 Millionen Euro an Solidaritätsbeitrag gezahlt. In Deutschland profitierten vom Solidaritätsbeitrag etwa Provinzklubs wie der Ludwigshafener SC von André Schürrle, der TSV 1860 Rosenheim von Bastian Schweinsteiger, der SV Unlingen von Mario Gomez oder der Greifswalder SV von Toni Kroos. Was tut das Geld? Die teils sechsstelligen Summen haben Auswirkungen im unterklassigen Fußball, und nicht nur gute: „Wir merken schon Neid von anderen Vereinen“, sagt Hopp.

„Wenn wir jetzt mit anderen Klubs über einen Spieler reden, werden plötzlich ganz andere Summen gefordert. Statt 300 sind es dann 500 Euro. Und es heißt: Ihr habt doch Geld.“ Die Gehälter und Ablösen steigen im Amateurfußball; der Solidaritätsbeitrag soll helfen, die Lücke zu den Profis zu verkleinern. Aber ganz unten, bei den Hobbykickern, findet dieses Geld gar nicht mal jeder gut.

Nachwuchs oder Grillfest?

„Es ist skurril, dass man sich im Amateursport, wo eigentlich jeder alles zum Spaß macht, mittlerweile ständig mit Ablösesummen auseinandersetzen muss“, sagt Dirk Hellmann, Trainer des kommerzkritischen Hamburger Siebtligisten HFC Falke. „Es ist eine Unsitte.“ Auch Hopp hat Sorge davor, dass irgendwann die Jungs bei ihm anfangen, Forderungen zu stellen, kostenlose Monatstickets oder so. „Das macht viel kaputt.“ Hellmann findet die Idee des Solidaritätsbeitrags und der Ausbildungsentschädigung, die für Spieler bis 23 Jahre anfällt, prinzipiell gut. Ob sie bei Acht- und Neuntligisten wirklich in der Jugendarbeit landet, bezweifelt er.

Fast alle glücklichen Empfängervereine beteuern das zwar pflichtschuldig. „In 99 Prozent der Fälle geht das Geld in die erste Mannschaft und in Herrenspieler“, sagt Dirk Hellmann. „Es ist eine Heuchelei im Amateurfußball. Das Geld fließt fast nie in Jugendarbeit.“ Hopp sagt: „Viele Vereine nutzen die Jugend, um ihre erste Herrenmannschaft zu finanzieren. Man will möglichst viele Jugendmannschaften haben und schielt auf Masse.“

Im Grunde ist das völlig legitim: Niemand schreibt einem Verein vor, ob er das Geld in den Nachwuchs oder ins nächste Grillfest investiert. Und für einen Provinzklub ist so ein Fall eher ein Lottogewinn und kaum wiederholbar. Hopp wünscht sich Hilfe vom DFB. „Von Verbandsseite müsste man die Vereine besser betreuen und fragen: Was habt ihr mit dem Geld vor?“ Aber vor allem sind sie erst mal froh, das Geld zu haben.

Eine Etage weiter oben in der Kette ist das Leben anders. Oberligist Hertha Zehlendorf hat eine Reihe illustrer Namen ausgebildet und lebt auch von seiner renommierten Nachwuchsabteilung. Antonio Rüdiger ist einer von ihnen. Rund 200.000 Euro gab es für ihn. „Als Einzelfall ist das in Ordnung“, sagt Präsident Kamyar Niroumand. Aber insgesamt zu wenig. „Ein John Anthony Brooks hat jahrelang bei uns gespielt. Wir bekommen 20.000 Euro von Hertha, und die verkaufen ihn später für angeblich 17 Millionen Euro. Das steht in keinem Verhältnis.“ Niroumands Nachwuchsarbeit leidet unter dem Missverhältnis: Die Großklubs holen jetzt nicht mehr seine 16-Jährigen, sondern schon die 12-Jährigen. Damit bleiben für ambitionierte Amateurklubs wie Zehlendorf noch weniger Zahlungen übrig. „Ich fühle mich vom Verband vergessen.“

Beliebtes Geschäft für Anwälte

Niroumand wünscht sich mehr finanzielle Unterstützung, etwa bei der Trainerausbildung oder bei Fahrten. „Jeder Amateurverein kämpft.“ Und beim Solidaritätsbeitrag, sagt er, fühlten sich viele überfordert. „Das Thema ist so komplex.“ Amateurvereine müssen in aller Regel selbst auf ihr Recht pochen. Und tun es oft nicht: Nach Zahlen der ECA hätten von 2011 bis 2013 eigentlich nicht 60, sondern 260 Millionen Euro an Solidaritätsbeitrag ausgeschüttet werden sollen.

Aber nicht jeder Amateurverein kennt seine Möglichkeiten. Der DFB bietet unter der Mail-Adresse transfer@dfb.de Hilfe an. Niroumand lacht. Da bekomme man zwei bis drei Wochen keine Antwort, und dann teilweise Fehlinfos. „Diese Adresse können Sie vergessen.“

Die Lücke, die der DFB lässt, hat sich mittlerweile gefüllt: Der Beitrag ist offenbar zu einem beliebten Geschäft für Anwälte geworden. „Was meinen Sie, wie viele Anwälte uns nach dem Rüdiger-Transfer Mails geschickt haben?“, fragt Niroumand.

„Es gibt Anwälte, die sagen: Ich weiß einen Spieler, für den ihr Geld bekommen könnt. Gebt mir 20 bis 30 Prozent Provision, dann sage ich euch, welcher Spieler es ist. So läuft das Geschäft.“ Gerade für kleinere Klubs sei das Risiko der Abzocke hoch. Auch der NSF Gro­pius­stadt wurde von Anwälten überrannt. Und selbst ganz oben spüren sie das Geschäft mit dem Solidaritätsbeitrag.

Özil-Transfer gut für Nachwuchs

„Es ist unglaublich, wie viele vermeintlich selbstlose Anwälte ihre Dienste anbieten“, sagt Michael Welling. Er ist erster Vorsitzender von Rot-Weiss Essen, einem Verein an der Schwelle zwischen Amateur- und Profiwelt, ziemlich weit oben in der Nahrungskette. RWE freut sich über jährliche Einnahmen durch Nachwuchsspieler; am prominentesten Mesut Özil, für den es etwa beim Wechsel zu Arsenal 639.000 Euro gab.

Der Verein ist in der luxuriösen Position, auf die Hilfe von DFB oder Anwälten verzichten zu können. Mit einer Datenbank verfolgt RWE die Karrieren seiner Spieler und kümmert sich selbst darum, wenn Zahlungen fällig werden. Welling schätzt den Solidaritätsbeitrag. „Es ist eine späte Belohnung und ein Anreiz für Nachwuchsarbeit.“

Mit dem Geld aus dem Özil-Transfer habe man ein Nachwuchsleistungszentrum aufgebaut. Eine Investition aus dem Lehrbuch. Auch sein Eindruck bei anderen Vereinen sei sehr positiv. „Es hat nicht mit der Größe zu tun, sondern mit der Kultur im Verein“, glaubt Welling. Sollte es mehr Geld geben? „Man kann als Profitierender immer mehr fordern, aber ich bin zufrieden.“

Im Grunde, sagt er, brauche es vor allem mehr Aufklärungsarbeit für kleine Vereine durch den DFB. Und Schutz vor den Anwälten. Und mehr Mechanismen wie den Solidaritätsbeitrag. „Es wäre sinnvoll, wenn man die ausbildenden Vereine immer beteiligen würde, wenn Geld fließt.“ Passieren, das weiß er aber, wird das eher nicht. „Ich glaube nicht, dass die Vereine das freiwillig machen. Da hört die Solidarität auf.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.