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Agrarbranche kritisiert UmweltbundesamtBauern reden Zahl der Pestizide klein

Landwirte und Chemieindustrie klagen, wegen Bedenken des Umweltbundesamts seien zu wenige Wirkstoffe erlaubt. Wie sehen die Zahlen wirklich aus?

Deutsche Bauern dürfen auf ihren Feldern spritzen wie sie wollen Foto: imago

Berlin taz | Anders als Agrar- und Chemielobby suggerieren, sind hierzulande nicht weniger, sondern sogar mehr Pestizidwirkstoffe erlaubt als in mehreren Nachbarländern. „Nach Angaben der EU-Kommission waren 2024 in Deutschland Pflanzenschutzmittel mit 281 Wirkstoffen regulär zugelassen, in den Niederlanden 266, in Österreich 248 und in Polen 277“, teilte ein Sprecher des Umweltbundesamts (UBA) der taz mit.

Hinzu kämen Mittel mit Wirkstoffen, die eigentlich von der EU verboten sind, die ein Staat aber wegen einer nicht anders abwendbaren Gefahr für Agrarpflanzen ausnahmsweise erlauben darf. „In Deutschland ist die Zahl der Notfallzulassungen mit insgesamt 64 Fällen im Jahr 2024 besonders hoch, was die Zahl der de facto verfügbaren Wirkstoffe, auch im Vergleich zum Ausland, noch weiter erhöht“, so das UBA, das die Umweltrisiken von Pestiziden vor der Genehmigung prüft.

Bundesagrarminister Alois Rainer (CSU) arbeitet gerade nach eigenen Angaben daran, dass „die Zulassungssituation von Pflanzenschutzmitteln verbessert“ und für „schnelle“ Verfahren durch „Verschlankung der behördlichen Zusammenarbeit“ gesorgt wird. In diesem Zusammenhang setzte er am Wochenende den bisherigen Leiter des federführenden Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ab.

Der Deutsche Bauernverband und der Industrieverband Agrar der Pestizidhersteller klagen seit Jahren, dass es zu schwierig sei, in Deutschland Pestizide auf den Markt zu bringen – und dass die Landwirte zu wenige Wirkstoffe anwenden dürften. Das sei ein Nachteil im Wettbewerb mit anderen Staaten. Die Lobby fordert deshalb, das Vetorecht des UBA abzuschaffen. Bisher kann die Behörde eine Zulassung verhindern, wenn das Mittel nicht vertretbare Risiken für die Umwelt verursacht. Pestizide tragen dazu bei, dass Pflanzen- und Tierarten aussterben. Zudem gibt es immer wieder Gesundheitsrisiken.

EU-Mitgliedsstaaten entscheiden selbst über Genehmigungen

Das UBA widersprach nun auch der Kritik, dass heute weniger Pestizidwirkstoffe in Deutschland erlaubt seien als früher. „Die Zahl der in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe ist in den letzten zehn Jahren nicht gesunken, sondern sogar leicht angestiegen“, so der UBA-Sprecher. 2013 seien nach BVL-Angaben 269 Wirkstoffe zugelassen gewesen, 2023 seien es 9 mehr gewesen. „2024 ist die Zahl nochmals gestiegen.“

Die Wirkstoffe genehmigt die EU zentral, über die kompletten Produkte mit diesen Substanzen allerdings entscheidet jeder Mitgliedstaat selbst. Das UBA bestätigt, dass die EU in den vergangenen Jahren „einzelne Wirkstoffe“ nach einer turnusmäßigen Überprüfung nicht noch einmal erlaubt habe. Das habe aber nicht an Umweltbedenken gelegen. „Die Gründe dafür lagen ausschließlich im Bereich menschliche Gesundheit und Verbraucherschutz. Unseres Wissens gibt es keinen Wirkstoff, der zuletzt allein wegen der Umweltrisiken nicht wieder genehmigt wurde“, schreibt das UBA.

Im Detail verursacht es aber offenbar tatsächlich Probleme, dass die Mitgliedsländer ihre Pestizide zulassen dürfen. Polen hat laut UBA den Unkrautvernichter 450 Gold EC zugelassen, obwohl dieses den Wirkstoff 2,4-D in der chemischen Form eines Esters enthält. „Auf EU-Ebene ist nur die Säure-Form genehmigt“, so das UBA. Dennoch hätten zwei deutsche Gerichte nach einer Klage eines Unternehmens geurteilt, dass auch die Bundesrepublik das Mittel zulassen müsse, da es ja nun in Polen erlaubt sei. Das BVL hat dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Das UBA kritisiert schon lange, dass die Umweltauswirkungen von Pestiziden nicht ausreichend berücksichtigt würden bei der Zulassung. So werde zum Beispiel nicht geprüft, ob sie Amphibien und Reptilien schädigen.

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16 Kommentare

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  • Unser (ehemaliger) Hof liegt in Alleinlage ( 300 m in jede Richtung zu den Nachbarn) in einem nur Konventionell Bewirtschafteten Gebiet, trotzdem haben wir jedes Jahr Feldlerchen und Rebhühner, Fasanen die hier brüten. Nur ist dann, wenn die Jungvögel das Nest verlassen, das große Fressen angesagt. Dann kreisen eine zweistellige Anzahl von Raubvögeln über den Brutplätzen, dazu die üblichen Nesträuber Krähen und Elstern, Füchse und so weiter.



    Hier währe es viel klüger, bevor man die Landwirte mobbt, die natürlichen Fressfeinde der Lärchen und Rebhühner, Fasane, usw. zu regulieren.

    • @Günter Witte:

      Das Argmuent ist in etwa so gut wie: "es hat doch gestern hier bei mir geregnet, also gibt es keinen Klimawandel."

      "Hier gibts doch Rebhühner, also alles gut"

      Ich kenne Leute die zu dem Thema forschen u.a. am Forschungszentrum Jülich, die auch teilweise selber aus landwirtschaftlichen Bereichen kommen oder in dem Bereich studiert haben, die wochenlang auf Veruchsfeldern verbringen, in dunklen Löchern unter der Erde Wurzel und Bodenproben nehmen, tagelang trockene Zahlen und Daten auswerten, da ist keine Arbeit die Spaß macht, aber sie ist wichtig. NIEMAND hat ein Interesse daran Landwirte zu mobben. Wenn gewisse Aussagen getroffen werden dann beruhen diese auf Zahlen und Daten, also auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Und wenn die Wissenschaft da zu dem Ergebnis kommt, dass konventionelle landwirtschaft oder einzelne Pestizide eben schlecht für gewisse Lebewesen sind, dann können sie sich noch so gemobbt fühlen, es ändert nichts an der Tatsache. Es hat auch niemand behauptet, dass in Gebieten mit konventioneller Landwirtschaft GARKEINE Rebhühner, Lärchen, Insekten oder was auch immer leben können. Es wirkt sich aber eben negativ auf diese Lebewesen aus.

      • @PartyChampignons:

        Nur muss man dann ALLE Möglichkeiten in Betracht ziehen. Wie schaut es dann auf Biologisch bearbeiteten Flächen mit Feldlerchen, Rebhühnern, usw. aus ? Nach der Logik das nur die konventionelle Bewirtschaftung schuld ist müsste es auf den Bio-Flächen diese Tiere in rauen Mengen geben. Nur wenn es dort auch wenige gibt, MUSS einfach ein anderer Grund als die Art der Bewirtschaftung schuld sein (siehe oben).

  • Interessant und eine Überprüfung wert, dass der Versuch dieser Link zu teilen egal was man tut... misslingt bzw einen völlig anderen Link (mit dem Kanzler Merz) gezeilt wird

  • Es ist nicht entscheidend wie viele Pflanzenschutzmittel es gibt, entscheidend ist die Menge die ausgebracht wird und die ist auf dem tiefsten Punkt seit 20 Jahren. Außerdem wird hier die Ausbringungstechnik immer weiter verbessert, so das die Menge der eingesetzten Mittel immer weiter sinken wird.



    Notfallzulassungen sind auf 120 Tage und auf bestimmte Gebiete beschränkt. Hier können Mittel für ein Bundesland gelten, dürfen aber sonst nirgends in Deutschland eingesetzt werden.

    • @Günter Witte:

      Wenn ich mir die Daten des UBA anschaue , dann hat sich die Absatzmenge in den letzten Jahren bzw. Hajrzehnten kaum geändert. Müsste nicht der Absatz gesunken sein, wenn weniger ausgebracht wird?

  • Ich würde die Zahlen gerne überprüfen, aber leider finde ich online keine Daten zu neu zugelassenen Pflanzenschutzmitteln.



    In einem Artikel vom BR24 zur Sendung "Unser Land" vom 09.05.2025 finde ich folgendes Zitat: "Seit 2019 ist in Europa kein Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff mehr zugelassen worden. Und 76 sind vom Markt verschwunden." Das würde so gar nicht zur Aussage des UBA passen, aber

    • @Thomas2023:

      Das UBA wahr noch nie, wie es für eine Staatliche Stelle gehören würde, neutral. Unter den Präsidenten Jochen Flasbarth und Maria Krautzberger wurde eine ideologische Politik gegen Konventionelle Landwirtschaft betrieben die heute noch bestand hat.

    • @Thomas2023:

      Man kann sich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherhweit eine PDF herunterladen, diese enthält alle aktuell zugelassenen Pflanzenschutzmittel (Stand April 2025). Man sieht auch Wann die Zulassung erteilt wurde und wann diese Endet. Und man sieht, dass nach 2019 definitiv neue Zulassungen erteilt wurden.

      www.bvl.bund.de/Sh...net961?nn=11010472

      • @PartyChampignons:

        Bei den sogenannten „Neuzulassungen“ handelt es sich häufig lediglich um neue Handelsnamen, geänderte Formulierungen oder Zulassungsverlängerungen bereits bestehender Produkte. In diesen Fällen wurde kein neuer Wirkstoff zugelassen.

        Ein Beispiel ist der Wirkstoff Mesotrione, der im Maisanbau gegen zweikeimblättrige Unkräuter eingesetzt wird. Dieser wurde in diesem Jahr im Produkt Barracuda SC neu zugelassen, ist jedoch bereits seit 2012 im Mittel Elumis enthalten.

        Dies verdeutlicht, dass tatsächliche Neuzulassungen mit neuen Wirkstoffen eher die Ausnahme darstellen. Die Aussage des BR-Berichts erscheint somit nachvollziehbar.

        • @Malte Lüdemann:

          Danke für die Ergänzung

  • Brunnenvergiftende Subventionsritter, viel mehr fällt mir zu diesen „Landwirten“ nicht ein.

    • @Flix:

      @Flix: Herzlichen Dank für Ihren ausgewogenen und sachlichen Beitrag!

  • In Zeiten, in denen Bauern live vom Trecker ihre noch nicht geerntete Ware auf den Commodity Blrsen der Welt nach Tagesbestpreis verkaufen, Zeiten in denen wir als Gemeinschaft unfassbare Summen an Subventionen für die Landwirtschaft ausgeben, die Agrarkonzerne, professionelle Tierquäler und von Umweltgiften abhängige Monokulturen fördern...wird es nun Zeit für Veränderung.



    Kreative Köpfe könnten neuw Geschäftsmodelle für Landwirte erarbeiten, die auch einen Bio-Betrieb ohne Felder bis zum Horizont oder in Rumänien gepachtete Ackerflächen tragen.



    Bzw. Höfe mit einer Tierwirtschaft, die das Label Tierwohl tatsächlich verdienen.



    Monokulturen, Umweltgifte, Tierquälerei und Agrarkonzerne gehören verboten.



    Dieses Geschäftsgebaren des vertuchens, lügen und vergiften, Lobbyarbeit in den Landtagen und dem BT für mehr Gift in einer dadurch zunehmend Artenarmen Landschaft schadet uns, ganz wie fossile Energie, über Jahrhunderte. Zerstört unsere Lebensgrundlage und die der nachfolgenden Generationen.

  • "...nicht geprüft, ob sie Amphibien und Reptilien schädigen..." Wassn das? Das ist doch vollkommen wurscht - solange der Profit für die Agrarindustrie stimmt, ist alles in kontaminierter Butter. Diese spinnerten links-grün versifften Folkloreideen nerven nur. Unser Kanzler hat es doch laut und deutlich formuliert: Klimaschutz (und ebenso Umweltschutz) ist eine prima Sache - solange es der Wirtschaft nicht schadet. Ob es der Volksgesundheit schadet oder der Artenvielfalt oder gar der Zukunft ganz allgemein - was und wen interessiert das heute??