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Umweltfreundliche AbfallwirtschaftDie Plastik-Patrouille

Im Biomüll landet zu viel Kunststoff – schlecht für Umwelt und Klima. Eine Fahrt mit denen, die das verhindern sollen.

Gilt das noch als Bio-Müll? Andreas Timm und Wolfgang Matzat fahren durch Magdeburg, um das zu entscheiden Foto: Birger Stepputis
Birger Stepputtis

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Birger Stepputtis aus Magdeburg

Es ist kurz vor sieben Uhr an einem Freitag in der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt Magdeburg. Auf dem Betriebshof des städtischen Abfallwirtschaftsbetriebs in der Sternstraße, mitten in der Altstadt, herrscht Gewusel in Orange. Die Mitarbeiter besteigen nach und nach ihre Müllautos, die in Doppelreihen eine Seite des Hofs dominieren.

In einem davon sitzen Andreas Timm und Wolfgang Matzat. Die beiden sind seit zwei Jahren zusammen unterwegs, immer auf ihrer Tour in einer kleineren Müllwagen-Ausführung, extra für enge Straßen. Heute entleeren sie Biotonnen – und kontrollieren sie.

Seit Mai gibt es strengere Regeln für Biomüll. Ein Prozent Plastik und insgesamt maximal drei Prozent Fremdstoffe, etwa auch Steine oder Glas, gelten als akzeptabel. Werden diese Werte überschritten, sollen die Tonnen bei mehrmaligen Verstößen stehen bleiben. Einige Kommunen verhängen sogar Bußgelder. Magdeburg gehört nicht dazu. Wer aber die Fremdstoffe nicht aus dem Biomüll entfernt, muss die Kosten für eine Entsorgung als Restmüll tragen.

Das erklärte Ziel ist: eine höhere Qualität der aus der Kompostierung des Biomülls gewonnenen Produkte, etwa Dünger oder Erde. Die leidet, wenn Plastiktüten und -verpackungen mit in der braunen Tonne entsorgt werden. Oder der organische Abfall wird wegen der Verunreinigung gleich mit dem Restmüll verbrannt statt in der Kompostierungs- oder Biogasanlage zu landen, wo er noch nützt.

Blickdiagnose für die Biotonne

Magdeburg ist Teil der #wirfuerbio-Kampagne, an der kommunale Entsorgungsunternehmen in elf Bundesländern beteiligt sind. Sie zielt darauf ab, die neuen Regeln bekannt zu machen und die Bürger für das Problem des Plastiks im Biomüll zu sensibilisieren.

Andreas Timm ist der Fahrer im Team. Er ist es also, der das Fahrzeug vom Betriebshof lenkt. Es geht ein kurzes Stück durch die Straßen Magdeburgs. Dann steigt Wolfgang Matzat das erste Mal aus. Mehrere parallele Sackgassen eines Wohngebiets werden hier nach und nach abgearbeitet. Timm bleibt sitzen, manövriert rückwärts in die erste Straße, fährt anschließend Tonne um Tonne ab.

Matzat entleert die Tonnen und kontrolliert sie vorher auf Fremdstoffe. Dabei zeigt sich schnell: Die Prozentanteile sind in der Praxis eher als Faustregel zu verstehen. Die Müllabfuhr kramt nicht in den Tonnen. „Ich darf gar nicht in die Tonne fassen, falls Glasscherben oder ähnliches dazwischen sind“, erklärt Matzat. Also wirft er einen Blick hinein und entscheidet so, ob der Müll mitkommt oder nicht.

Kein „Bio-Plastik“ für die Kompostieranlagen

Hier im Wohngebiet zwischen all den Einfamilienhäusern gibt es heute keine Beanstandungen. „Mit Einfamilienhäusern haben wir so gut wie keine Probleme.“ Anfangs hätte jedoch noch etwas Klärungsbedarf bestanden, gerade wegen des sogenannten „kompostierbaren Plastiks“.

Dieses wird zwar zu Teilen oder ganz aus nachwachsenden Stoffen statt aus Erdöl hergestellt, kann aber beim Verrotten dennoch Chemikalien emittieren und zersetzt sich zu langsam für die industrielle Kompostierungsanlage. Dort muss also auch das „Bio-Plastik“ aussortiert werden und wird damit zum Problem.

Hält seine Stadt gern sauber: Ur-Magdeburger Wolfgang Matzat Foto: Birger Stepputis

Mittlerweile hätten die Leute aber verstanden, dass diese Art von Kunststoffen keine Alternative zum Erdöl-Plastik sind. Stattdessen werden Papiertüten empfohlen, die verrotten nämlich mit dem restlichen Biomüll. Oder am besten gleich wiederverwendbare Behälter für die Küche.

Tonne um Tonne verschwindet in der Schüttung, aus der ein modriger Geruch kommt. Ein Blick hinein zeigt doch ein paar wenige Plastiktüten. Bei Matzats Blickdiagnose rutscht eben zwangsläufig auch mal Kunststoff durch, der in der Tonne vom echten Biomüll verdeckt war.

Probleme durch „Anonymität von Großanlagen“

Schwieriger als in der Siedlung mit den Einfamilienhäusern sei die Situation mit verunreinigtem Bio-Abfall in Mehrfamilienhäusern. Wolfgang Matzat, Timm nennt ihn gelegentlich „Wolle“, führt das auf die „Anonymität von Großanlagen“ zurück.

Nach einer Runde durch die Stadt, einem Abstecher östlich der Elbe und einigen wenigen Tonnen entlang des Weges führt ihre Tour die beiden nach Buckau. Der Stadtteil ist als Magdeburgs Künstlerviertel bekannt. Hier haben sie eine Straße, in der es häufiger Probleme gebe, erzählen

Auf der linken Seite der Straße, Betonplatten auf dem Boden versprühen eine Ost-Romantik, liegen die Hinterhöfe von Mietshäusern. Rechts ist Gesträuch, irgendwann deutet Matzat auf ein Gebäude. „Hier bin ich zur Schule gegangen.“

Auch Andreas Timm ist Ur-Magdeburger. Früher arbeitete er auf dem Bau, seit 14 Jahren ist er Teil der Abfallwirtschaft. Matzat ist erst vor zwei Jahren dazugestoßen, war vorher lange beim Baumarkt. „Die Arbeitszeiten hier sind besser.“ Beiden gefällt es, ihre Stadt sauber zu halten.

Ein Prozent – mehr oder weniger

Matzat steigt aus, Timm bleibt im Fahrzeug, alles wie gehabt. In der ersten Tonne der Straße, sie ist prall gefüllt, liegen direkt Plastiktüten oben auf, eine grünlich, die andere weiß. Entsorgt wird der Inhalt der Tonne trotzdem. Man dürfe nicht zu streng sein. Der sichtbare Teil des Abfalls ist allerdings zu deutlich mehr als einem Prozent bedeckt.

Bei einer weiteren Tonne ist es ähnlich, auch ihr Inhalt verschwindet in der Schüttung. Eine andere steht zwei Treppenstufen höher im Hof. „Die muss runtergestellt werden, die nehmen wir so nicht mit.“ Bei der nächsten Tonne ist die Oberfläche mit zwei Papiertüten einschlägiger Kleidungsgeschäfte bedeckt. Papier, verrottet, kommt mit.

Sachsen-Anhalt liegt im Vergleich der deutschen Bundesländer beim Biomüll im Mittelfeld, nämlich auf Platz 7. Im Jahr 2023 wurden hier laut einer Aufstellung des Naturschutzbunds Nabu pro Kopf 62 Kilo des organischen Abfalls gesammelt. Die Menge hat allerdings über die Jahre abgenommen.

Spitzenreiter beim Biomüllsammeln sind laut Nabu Schleswig-Holstein und Hessen mit rund 90 Kilo pro Einwohner*in. Schlusslichter sind Brandenburg, Thüringen und die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg mit Werten unter 40 Kilo pro Person.

Das war echt zu viel: Manche Tonnen bekommen einen mahnenden Sticker – und werden nicht entleert Foto: Birger Stepputis

Weil die Mülltrennung noch nicht überall gut klappt, landen deutschlandweit jedes Jahr etwa vier Millionen Tonnen Bioabfälle in der Restmülltonne. „Der wertvolle Biomüll wird dann zusammen mit dem Restmüll verbrannt – eine enorme Ressourcenverschwendung und Klimabelastung“, sagt Michael Jedelhauser, Nabu-Experte für Kreislaufwirtschaft.

Zurück in Magdeburg: Die letzte Tonne der Straße schließlich enthält einigen Unrat und im Grunde gar keinen Biomüll. „Also das ist wirklich zu viel“, vermeldet Wolfgang Matzat, holt einen roten runden Sticker heraus und beklebt das braune Hartplastik des Behälters: „Tonne falsch befüllt! Bitte nachsortieren.“ Die Tonne bleibt, wo sie ist.

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4 Kommentare

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  • "Schwieriger als in der Siedlung mit den Einfamilienhäusern sei die Situation mit verunreinigtem Bio-Abfall in Mehrfamilienhäusern. Wolfgang Matzat, Timm nennt ihn gelegentlich „Wolle“, führt das auf die „Anonymität von Großanlagen“ zurück."



    Es kann aber auch vorkommen, dass man gutgläubig abends die Tonne im halbleeren Zustand an die Straße stellt, an nächsten Tag vor der Leerung noch einen Nachschlag aus der Wohnung hat und...



    Oh Wunder, die Bio-Tonne ist jetzt pickepacke voll mit anderem (fremdem) Krams, vielleicht sogar ganz klar Restmüll oder Problemmüll.



    Das könnte man in Analogie das Werk von Müllnomaden nennen.



    Es trifft nicht nur Privathaushalte:



    "Dass auch weiterhin Hausmüll in öffentlichen Papierkörben gelangt, ist ein weiteres Problem mit dem sich der Bauhof immer wieder auseinandersetzen muss. Doch auch in diesem Fall gilt: „Wer erwischt wird, muss die Zeche zahlen. Die Strafen sind empfindlich“, weiß er zu berichten."



    www.gemeindebriese...n-ihr-Unwesen.html

  • Warum haben die denn keinen gelben Sticker? Tonneninhalt grenzwertig, bitte besser sortieren.



    So kann man sehen, bei wem man beim nächsten Mal strenger sein sollte.

  • Wie doof kann man sein, um Plastiktüten oder Pflanzen samt Übertopf im Biomüll zu entsorgen? Ich ziehe auch regelmässig solchen Schrott aus der Biotonne.....

  • Das Problem in Mehrfamilienhäusern sind die Ignoranten. Die schmeißen einfach alles überall rein. Manche Städte haben sich wegen dieser Mischpoke schon geweigert überhaupt Biotonnen in bestimmten Wohngegenden anzubieten.