Unabhängiger Buchhandel: Die Welt hinter den Buchstaben

Kleine unabhängige Buchhandlungen dürfte es nach den Marktgesetzen nicht mehr geben. Doch es gibt Händler, die behaupten sich trotzdem.

Eine Frau steht zwischen Bücherregalen

„Eine Buchhandlung ist ein Gesamtkunstwerk“: Hildegard George aus Hannover Foto: Christian Wyrwa

BERLIN/CELLE/HANNOVER taz | Hildegard George setzt sich langsam auf einen Holzstuhl, schlägt das eine Bein über das andere, faltet ihre Hände ineinander, sucht den Blick ihres Gegenübers, jetzt ist sie so weit, um zu sagen: „Eine Buchhandlung ist ein Gesamtkunstwerk.“ George ist Buchhändlerin, bald feiert sie ihren siebzigsten Geburtstag. Die grauen Haare trägt sie millimeterkurz, den Rock lang und schwarz. „Litera“ heißt ihr kleines Eckgeschäft in der Oststadt von Hannover, in wuchtigen Holzregalen stehen Belletristik, geisteswissenschaftliche Schriften, Kunstbände. In diesen Tagen schließt der Laden.

Wenn sie spricht, neigt Hildegard George ihren Oberkörper weit nach vorne, als wollte sie, dass das Gesagte auch wirklich ankommt. „Früher definierte man sich über das, was man gelesen hat. Daraus bezog man seinen Selbstwert, das schuf Identität.“ Heute, glaubt George, ist Bildung inflationär geworden. Die Masse von Informationen führt weg von der ausführlichen Beschäftigung mit geisteswissenschaftlichen Themen. Die hatten es schon immer schwer in einer Technikstadt wie Hannover, selbst in den goldenen Jahren des Buchhandels – und heute sowieso.

Der Umsatz buchhändlerischer Betriebe in Deutschland hatte sich in den Jahren 1979 bis 1998 etwa verdreifacht: von knapp über drei auf neun Milliarden Euro. Dann begannen die Verkaufszahlen zu stagnieren, der Buchhandel durchlief einen Konzentrationsprozess. Heute machen rund zehn Prozent der Unternehmen mehr als zwei Drittel des Gesamtumsatzes, Ketten wie Thalia, Hugendubel, Osiander. Zuerst machten die Riesen es den kleinen Händlern wie Hildegard George schwer, dann rollten das Internet und Amazon den Markt neu auf, warfen die Frage auf: Wer will denn noch Bücher aus Papier?

Ein Ort für „Mackiges“

Die Geschichte von Hildegard George und ihren Büchern ist eine Geschichte über Liebe. 1983 begann sie zum ersten Mal, in einem Buchladen zu arbeiten, bei diesem linken Intellektuellen, der zunächst für seine Störrischkeit und später für seine Schwerhörigkeit bekannt war. Es war eine gute Liebe. Doch nach 1989 wurde links out, meint George, Bildung, Wissen als Statussymbol entwertet. Hildegard George und ihr intellektueller Freund trennten sich. Sie eröffnete Litera, nur einen Katzensprung von der alten Buchhandlung entfernt.

„Litera war ein Ort für Besonderes, ein Ort für Mackiges und Störendes“, sagt George. Er sollte eine Kampfansage sein, gegen neue Medien, die vielen Veränderungen, die auch diesen Laden irgendwann erreichten, als sie eine Website einrichtete. „Ich wollte immer den Mainstream vermeiden. Das habe ich geschafft.“ Hildegard George sucht nach einem Nachfolger, der den Laden übernimmt, seit fünf Jahren schon. „Es gab mehrfach Interessenten“, sagte sie. „Letztendlich wirkten die betriebswirtschaftlichen Zahlen aber abschreckend.“

Christian Dunker, Berlin

„Als Buchhändler kannst du nur mit eigener Meinung überzeugen“

Im Berliner Ortsteil Charlottenburg, in den S-Bahn-Bögen am Savignyplatz, donnern Züge über die darin eingelassenen Läden hinweg. Aus dem hinteren Raum der „autorenbuchhandlung“ dringen vereinzelt Gesprächsfetzen herüber. Das Zischen des Milchschäumers mischt sich rhythmisch ein. Ältere Herren in wie maßgeschneidert sitzenden Jacketts stöbern in kontemplativer Haltung auf Büchertischen und in Regalen.

Flucht nach vorn

Die Anfänge der autorenbuchhandlung reichen bis in die 1970er Jahre zurück; die Crème de la crème der BRD-Schriftsteller stritt hier über Politik, Literatur und Engagement und versuchte mit insgesamt drei Läden in Berlin und Westdeutschland, ein Zeichen gegen den Trend zu Großbuchhandlungen und Ramschstapeln zu setzen. Die Berliner Filiale gibt es, in anderer Besetzung, noch heute.

„Wenn du stehen bleibst, wirst du überholt“, sagt Christian Dunker überzeugt. Das Gesicht des kahlköpfigen Mannes in grasgrünem Pullover trägt kantige Züge. Es wahrt intellektuelle Distanz. Wenn er lacht, kommt ein kleines Stück Nähe zustande. Sorgt er sich infolge von Digitalisierung und Internethandel um die autorenbuchhandlung? – „Gar nicht.“

Der Neurologe David Lewis von der Universität Sussex hat untersucht, welche Tätigkeiten Stress am ehesten reduzieren helfen. Es ist das Lesen. Besser als Tee trinken, nützlicher als ein Spaziergang. Dabei ist es egal, welches Buch man liest. Klar, das macht die Ablenkung, könnte man entgegnen. Doch es ist mehr noch: Die aktive ­Ankurbelung der Imagination stimuliert die Kreativität und läutet eine Veränderung des Bewusstseins ein. Das wirkt auf den ­Körper. Die Herzfrequenz sinkt, die Muskeln erschlaffen.

Die Suche nach Entschleunigung

Wer in die autorenbuchhandlung kommt, glaubt Dunker, sucht Entschleunigung. Der Buchladen, die Antithese zu einer rasanten Welt. Ein Sehnsuchtsort. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. „Wir sind natürlich an das Tolino-System angeschlossen“, sagt Dunker. Die Tolino-Allianz wurde 2013 von der Buchhandelskette ­Thalia zusammen mit Hugendubel, Weltbild, Club Bertelsmann und der Deutschen Telekom ins Leben gerufen – gemeinsam vermarkten sie E-Books. Sie wollen sich damit dem Internethändler Amazon entgegenstellen, der ein eigenes E-Book-Format verkauft, das nur auf dem konzern­eigenen E-Reader Kindle läuft. Am Umsatz gemessen, hat Tolino den Kindle beim E-Book-Verkauf mittlerweile überholt. 2015 stand es erstmals 45 zu 39 Prozent. Ein kleiner Triumph über den Konkurrenten Amazon.

„Als Buchhändler kannst du nur mit eigener Meinung überzeugen“, sagt Dunker. Auf ihrer Website rezensiert die autorenbuchhandlung Bücher und schlägt Lieblingswerke vor. Die Expertise, sonst nur im Laden zu finden, überträgt sich in den virtuellen Raum. Dunker hofft, dass sie Kunden wiederum zurück ins Geschäft führt. Im Café der Buchhandlung klirren tagsüber die Porzellantassen, abends kommen Literaten und Kulturinteressierte zusammen. Die Veranstaltungen werden auf Facebook angekündigt. So halten sie Schritt mit der Schnelllebigkeit, der sie eigentlich entkommen wollten. Doch was passiert mit jenen, die entschieden haben, sich den technologischen Trends der Zeit zu verschließen?

Der persönliche Rückzug

Celle, eine historische Kleinstadt in Niedersachsen. Die Eingangstür der Buchhandlung Sternkopf & Hübel schiebt sich schwerfällig über den ausgelegten Teppichboden. Es läutet, eine Kundin kommt in kleinen Schritten in den Laden. „Haben Sie das Weihnachtsgeschäft gut überstanden?“, fragt sie. Dann erzählt sie von der Gans an Heiligabend, von der Enkelin, die jetzt vegetarisch isst und sich weigerte, mit am Tisch zu sitzen.

Grit Hübel hört zu, nickt, das ist der Grund für den Erfolg, seit Jahren. Sie und Renate Sternkopf sind schon einmal Opfer des Branchenwandels geworden. Sie arbeiteten in einer Buchhandlung, mehrere Jahre, die Geschäfte liefen immer schlechter, schließlich entließ das Unternehmen Mitarbeiter. Die zwei Frauen wagen das Wahnsinnige: Sie eröffnen ihr eigenes Geschäft.

Die alte Buchhandlung war zu groß, zu beliebig das Angebot, so sehen sie es. „Das Kleine hingegen kann man gut bespielen“, sagt Frau Hübel. Aus dem alten Laden haben sie viele Kunden mit in den neuen genommen, selbst Amazon machen sie auf ihre Weise Konkurrenz. „Manche Kunden kommen mit ausgedruckten Zetteln von Amazon zu uns und bestellen die Bücher hier“, sagt Grit Hübel.

Der Weihnachtsmann winkt

Einmal, ein paar Jahre ist es her, da hatte der Winter die Stadt weiß gemalt. Den Monat davor haben Sternkopf und Hübel Lose an ihre Kunden verteilt. An einem der Weihnachtstage stellen sie Säcke mit Geschenken vor die Buchhandlung. Nach und nach füllt sich der Platz. Kinder in Schneeanzügen springen im Schnee wie auf einem Trampolin. Eine Kutsche kommt um die Ecke gefahren. Darin sitzt der Weihnachtsmann. Wenn der in den Laden geht, dann folgen, noch Jahre danach, die Kinder. Unternehmerisches Kalkül? Im Gegenteil. „Buchhandlungen sind Orte der Begegnung. Die braucht man. Besonders in einer Zeit, in der die Familien immer kleiner und die Menschen immer älter werden.“, sagt Frau Hübel.

Für die ältere Kundschaft: Regale mit theologischen Werken. Bücher über Trauerverarbeitung und Neuanfänge. Ein kleiner Holzengel thront davor. Celle ist eine alte Stadt, und alt sind auch ihre Einwohner. Gerade für sie braucht es diese Läden. Es sind kleine Mulden, mit Versickerungspotenzial. Auffangnetze. Sie tragen Ausgeschlossene mit, Alte, Einsame, Zugezogene.

Neulich kam einer der Stammkunden in das Geschäft von Sternkopf und Hübel. Weihnachtszeit, Hauptumsatzzeit. Nicht abebbende Bestellungen. Gehetzte Kunden. Ein älterer Herr will nichts Geringeres als das: „Frau Sternkopf! Ich hätte gern das neuste Buch von meinem Lieblingsautor!“ Kratzt sich am Kopf. Ratlosigkeit. „Mir ist nur gerade der Name entfallen.“ Renate Sternkopf hievt ein Paket ins Regal. Sie dreht sich um zu ihm: „Sie meinen Max Goldt?“ Er war’s.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.