Unberechenbare Riesenwellen: Monsterwellen auf dem Radar

Die über 30 Meter hohen Riesenwellen entstehen mitten auf dem Ozean. Sie können selbst große Tankschiffe in Gefahr bringen.

Ob Sie es glauben oder nicht: Das hier ist eine riesige Welle, die einen Leuchtturm an der portugiesischen Küste einhüllt. Bild: dpa

Noch bis Mitte der 1990er Jahre galten sogenannte Monsterwellen oder Rogue Waves als Seemannsgarn. Über 30 Meter hohe Wellen, die mitten auf dem Ozean entstehen und mit gewaltigen Kräften jedes Schiff durchbrechen können. Inzwischen sehen Experten wie Friedwart Ziemer, Leiter der Abteilung Radarhydrographie am Helmholtz-Zentrum Geesthacht bei Hamburg, in diesen Riesenbrechern eine Hauptursache von Schiffsunglücken. Satellitenmessungen haben ergeben, dass im Schnitt zwei- bis dreimal in der Woche irgendwo auf den Weltmeeren eine solche Welle entsteht.

Dabei dürfte es diese Giganten gar nicht geben. Wissenschaftler schlossen ihre Existenz lange Zeit gar als physikalisch völlig unmöglich aus. Der lange als verbindlich geltenden linearen Wellentheorie zufolge werden Meereswellen auch bei schweren Stürmen nie höher als 15 Meter.

Entsprechend sind selbst Ozeanriesen lediglich für eine maximale Wellenhöhe von 16,5 Metern konzipiert. Vielen Schiffen aber wird genau das zum Verhängnis. Denn eine nichtlineare Wellentheorie dürfte eher der Realität entsprechen, wonach Wellen ihre Kraft aus anderen Wellen beziehen und sich zu einer Höhe auftürmen können, die weit größer sein kann als die Summe ihrer Ursprungshöhen.

Kein Kreuzfahrtschiff, kein Tanker, Frachter oder Containerriese, auch keine Öl- oder Gasplattform ist vor diesen Extremwellen sicher. Daher wird die Forderung nach einer zuverlässigen Wellenvorhersage immer lauter.

„Das ist allerdings noch ein Traum, und es ist fraglich, ob in absehbarer Zeit die technischen Vorbedingungen hierzu zu schaffen sind“, sagt Friedwart Ziemer. Bisher weiß man lediglich, welche Bedingungen zu Extremwellen führen können.

Besonders rätselhaft: Rogue Waves können nicht nur bei stürmischer See, sondern auch bei ruhigen Wetterverhältnissen wie aus dem Nichts entstehen. Bisher haben Meeresforscher drei verschiedene Modelle zur Entstehung entwickelt:

Das Huckepackmodell: Kurze, langsame Wellen werden von längeren, schnelleren Wellen eingeholt, überlagert und können sich zu einer Riesenwelle aufbauen.

Das Strömungsmodell: Wellen, die in eine entgegenkommende Strömung hineinlaufen, werden zusammengeschoben, werdeb dadurch höher und steiler und können sich zu gefährlichen Giganten auftürmen.

Das Kreuzseenmodell: Wellen können aus verschiedenen Richtungen etwa durch drehende Winde zusammenlaufen und selbst bei ruhiger See große Wasserberge entstehen lassen.

Günstige Bedingungen

So weit die Theorie. Bisher gibt es jedoch noch keine messtechnische Beobachtung, die den gesamten Zeitverlauf von der Entstehung bis zum Zerfall einer Monsterwelle zeigen würde. Anhand der Entstehungsmodelle und Satellitenbilder lassen sich jedoch Regionen zuordnen, wo günstige Bedingungen für Extremwellen herrschen.

Demnach kommen die Riesenbrecher im Nordatlantik und Nordpazifik am häufigsten vor. Zwei bis drei Wasserwände pro Woche erheben sich dort aus dem Meer. Als besonders gefährdet gilt die komplette Ost- und Südküste Südafrikas. Dort trifft der warme, aus dem Indischen Ozean kommende Agulhas-Strom frontal auf die nordwärts gerichteten Sturmwellen aus der Antarktis.

Auch die Cortes Bank knapp 200 Kilometer vor der südkalifornischen Küste gilt als Brutstätte von Riesenwellen. Hier kreuzen sich verschiedene Meeresströmungen. Amerikanische Forscher planen die Entstehungsmodelle mit realen Messdaten an der Cortes Bank zu prüfen. Ein weiteres Gefahrengebiet ist das Bermudadreieck.

Drei Arten von Monsterwellen

Aber Monsterwelle ist nicht gleich Monsterwelle. Experten unterscheiden drei grundlegende Arten:

Kaventsmänner sind gewaltige Einzelwellen unbestimmter Form, die die normale Wellenhöhe um ein Vielfaches überschreiten und vom vorherrschenden Seegang abweichen können.

Weiße Wände sind sehr hohe, fast senkrechte Einzellwellen, die über zehn Kilometer breit sein können. Vom Wellenkamm stürzt die Gischt nach vorn hinunter – daher der Name.

Besonders tückisch sind die „Drei Schwestern“: drei kurz aufeinander folgende Riesenwellen. In den schmalen Wellentälern hat ein Schiff kaum eine Chance, sein Bug wieder hochzubekommen, und wird, wenn nicht von der ersten, von der zweiten oder dritten Welle einfach überrollt.

Anders als Tsunamis türmen sich Rogue Waves im offenen Ozean auf und können bis zu 500 Kilometer weit wandern. Auch die Frage, wie sich diese Wellenberge eigentlich stabilisieren, ist noch nicht geklärt.

Bis an die Küste

Bisher ist man davon ausgegangen, dass die Riesen niemals das Land erreichen. Jedoch spätestens seit Surflegende Garrett McNamara Ende Januar 2013 direkt vor der portugiesischen Westküste über den Kamm einer rund 30 Meter hohen Welle schoss, dürfte diese Einschätzung widerlegt sein.

Was für den Surfer McNamara ein Adrenalinkick war, stellt für den Schiffsverkehr eine unberechenbare Gefahr dar. Denn anders als ein Tsunami lässt sich eine Monsterwelle kaum vorhersagen. Zwar sind mittlerweile viele Schiffe mit einem Wellenradar ausgestattet, dem sogenannten Wave Monitoring System (WaMoS). Allerdings erfasst das Radar nur Wellen in einem Radius von zwei Kilometern. Für einen trägen Supertanker reicht die Zeit dann gerade noch, in Deckung zu gehen.

Am Helmholtz-Zentrum Geesthacht, wo WaMoS in Zusammenenarbeit mit der TU-Berlin entwickelt wurde, wird derzeit ein Hochfrequenzradar erprobt. „Damit lässt sich eine elektromagnetische Welle erzeugen, die der Erdkrümmung folgt und so eine Überdeckung von bis zu 100 nautische Meilen (185,2 Kilometer) bietet“, erklärt Friedwart Ziemer.

Gefahr für Offshore-Arbeiten

Aber Extremwellen stellen nicht nur für den Schiffsverkehr eine Gefahr dar. Auch Offshore-Arbeiten benötigen eine zuverlässige Vorhersage. Seit Anfang Juni 2013 arbeiten Ingenieure und Wissenschaftler um den Leiter des Forschungsbereichs Meerestechnik an der Technischen Universität Berlin, Professor Günther Clauss, an einem Seegangsradar, das etwa 4 Minuten im Voraus das zu erwartende Wellenfeld ermitteln soll.

„Ziel des PrOWOO-Forschungsprojekts“ (Prognose Optimaler Wetterfenster für Offshore-Operationen) „ist die Ermittlung günstiger Zeitfenster beispielsweise für das Errichten von Windenergieanlagen, für die sichere Landung von Hubschraubern oder für Kranarbeiten“, so Professor Clauss.

Parallel dazu wird an der TU Berlin unter der Leitung von Clauss untersucht, wie Schiffe konstruiert sein müssen, damit sie der Wucht einer Extremwelle auch standhalten. Experimentiert wird in einem Wellenkanal mit Modellschiffen im Maßstab von 1 : 80.

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