Unbezahlte Unterkünfte in Bremen: Tricks mit der Barmherzigkeit

Im Streit mit der Inneren Mission Bremen: Die Künstlerin Alexandra Bremer sieht sich mit ihren Mini-Häuschen für Wohnungslose hintergangen.

Seit April hat Alexandra Bremer durchweg an den mobilen Häuschen gebaut Foto: privat

BREMEN taz | Alexandra Bremer fühlt sich betrogen: Fünf mobile Mini-Häuser hat die Künstlerin als Übergangsunterkunft für Obdachlose in Bremen gebaut – im Auftrag des Vereins für Innere Mission, wie sie sagt. Zwei davon sind seit einigen Monaten bewohnt. Beglichen hat dier christliche Verein jedoch nur eine Rechnung für das erste Häuschen in Höhe von 2.000 Euro. Nun bestreitet er, dass es ein Geschäft über vier weitere der kleinen Schlafwagen mit Bremer gab. Jetzt sind die Häuser fast fertig – und die Innere Mission will nicht zahlen.

„Ich brauche das Geld zum Leben“, sagt Bremer. Um die weiteren Häuschen zu finanzieren, habe sie sogar Schulden aufgenommen: „Bei einem Freund musste ich mir 400 Euro leihen, um Reifen zu kaufen.“ Seit April habe sie durchweg an den Unterkünften gebaut. „Ich mache das doch nicht zum Spaß“, sagt Bremer. Bei der Polizei hat die Künstlerin gegen die Innere Mission Anzeige erstattet.

Als Kunstprojekt gestartet, fanden die Mini-Häuser breiten Anklang. Der NDR, Radio Bremen, Sat.1 und die Bild-Zeitung berichteten über die Schlafstätten für Obdachlose – immer auch mit lobenden Worten von Bertold Reetz, Leiter der Wohnungslosenhilfe bei der Inneren Mission. Sie sind kaum größer als drei Quadratmeter, stehen auf Rädern und beinhalten die wichtigsten Alltagsgegenstände – etwa ein Bett, eine Lampe und Geschirr.

Den Auftrag für die Wagen soll ihr der Streetworker Jonas Pot d’or erteilt haben. Der Mitarbeiter der Inneren Mission habe ihr sogar die potenziellen Bewohner für die im Bau befindlichen Mini-Häuschen vorgestellt. Bremer sollte auf die persönlichen Wünsche der Obdachlosen eingehen.

Zweifel an Lebensgeschichte

Einer von ihnen ist Harald B. Er hätte seit 25 Jahren „auf der Platte“ gelebt, seine Familie bei einem tragischen Unglück verloren und leide an Leukämie. So war es Bremer erzählt worden. Weil Harald B. viel lese, sollte sein „Strandkorb Wolke 7“ viele Bücherregale und eine Solarlampe beinhalten. „Beim Medikamentenschrank habe ich mir noch besonders viel Mühe gegeben“, erzählt Bremer.

Harald B. bekam das zweite Häuschen. Es steht vor dem Jakobushaus, das von der Inneren Mission genutzt wird. Ob er immer noch in der kleinen Unterkunft wohnt, wisse Bremer nicht. Zu groß sei ihre Angst, um nachzuschauen.

Mittlerweile hat sie allerdings erhebliche Zweifel, ob seine bewegende Lebensgeschichte wahr ist: Tatsächlich hatte der angeblich 63-Jährige Vollbartträger mit Rauschemähne noch 2010 beim „Allmende-Netzwerk“ einen festen Job. Das ist das soziale Möbellager der Projob Bremen gGmbH – eine 100-prozentige Tochter der Inneren Mission.

Ein anderer der potenziellen Bewohner war Raphael S. Der 25-Jährige soll sogar beim Bau seines Häuschens geholfen haben. „Ich habe ihn mit Essen und Trinken versorgt“, sagt Bremer. Der junge Pole sollte in den Wagen mit blauem Anstrich einziehen. Sogar einen Sessel hatte er sich bereits ausgesucht. Seit zwei Wochen habe sie Raphael S. allerdings nicht mehr gesehen und ihn bei der Polizei als vermisst gemeldet.

Kein Vertrag

Zum aktuellen Stand des Häuserbaus hat die Künstlerin fast täglich Rundmails verschickt. In der Verteilerliste waren Spender, interessierte Bürger, aber auch die Innere Mission. Bremer ist sicher: „Alle müssen davon gewusst haben.“

Die Innere Mission will von einer Geschäftsbeziehung mit Alexandra Bremer aber gar nichts wissen: „Fakt ist: Wir haben nie einen Auftrag erteilt“, behauptet Bertold Reetz, „weder schriftlich, noch mündlich“. Und Bremer sei nur im Recht, wenn sich ein Vertrag finden ließe.

Stattdessen sei es die Künstlerin gewesen, die die Mini-Häuschen in Eigeninitiative bauen wollte. Warum Reetz dennoch 2.000 Euro überwies, erklärt er so: „Wir wollten Frau Bremer bei den Materialkosten unterstützen.“ Dafür habe er eine konkrete Auflistung der verbauten Teile gebraucht. Nur dafür wurde Bremer aufgefordert, eine Rechnung zu schreiben.

„Er war so nett“

Für ihn sei schon immer klar gewesen, dass die Innere Mission langfristig auf Wohnungen für Obdachlose setze, so Reetz. Die mobilen Häuschen seien lediglich ein schönes Projekt. Noch im Mai hatte er nach der Fertigstellung des ersten Wagens in einem „buten un binnen“-Beitrag angekündigt, die Innere Mission werde „nicht unendlich viele Häuser kaufen wollen“.

Reetz bekam die täglichen Mails von Bremer. Er habe sie mal mehr, mal weniger zur Kenntnis genommen, sagt er. „Ich bekomme am Tag so viele Mails“, so Reetz. „Im Nachhinein wäre ich froh gewesen, nicht im Verteiler zu sein.“

Und dass sein Mitarbeiter Pot d’or auch schon vier Löschdecken für die vier weiteren Häuschen gekauft haben soll, führt Reetz auf dessen guten Willen zurück: „Er war so nett und hat die besorgt.“ In genau passender Stückzahl.

Seit 17 Jahren arbeitet Jonas Pot d’or als Streetworker in Bremen. Die Zukunft seiner Stelle war seitdem jedoch immer wieder ungewiss. Jährlich musste die Innere Mission neue Zuschüsse bei der Stadt Bremen beantragen. Anfang August sagte Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) zu, die Arbeit des Streetworkers dauerhaft zu finanzieren.

Nur wenige Tage zuvor fand eine Protestaktion auf dem Bremer Marktplatz für mehr bezahlbaren Wohnraum statt – organisiert vom Bündnis „Menschenrecht auf Wohnen“, an dem die Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission mitwirkt. Neben Reetz und Pot d’or stellte auch Alexandra Bremer die zwei bis dahin fertigen Häuschen aus. Ihr Kunstprojekt sollte auf die Not von Obdachlosen hinweisen. „Es ging einzig und allein um die Rettung der Stelle von Jonas Pot d’or“, ist sich Bremer sicher. Zurückgegeben worden ist ihr das unbezahlte Häuschen nicht.

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