Unerwünschte Nebenwirkungen : Grippe-Impfstoff unter Verdacht

Die finnische Gesundheitsbehörde hält einen Zusammenhang zwischen Narkolepsie und dem Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix für "wahrscheinlich".

Nur ein kleiner Pieks - wenn die Nebenwirkungen nicht wären. Bild: dpa

STOCKHOLM taz | "Wir bedauern das wirklich", erklärte Pekka Puska, Generaldirektor des finnischen Gesundheitsinstituts Terveyden ja hyvinvoinnin laitos (THL) am Dienstag vor der Presse. Vor 15 Monaten hatte THL den FinnInnen dringend die Teilnahme an der H1N1-Massenimpfung mit dem "Schweinegrippe"-Impfstoff Pandemrix empfohlen. Nun musste seine Behörde melden, dass diese Impfung offenbar schwere Nebenwirkungen haben kann.

Es gebe einen "wahrscheinlichen Zusammenhang" zwischen Pandemrix-Impfungen und einer unerwartet hohen Zahl von Narkolepsie-Neuerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zwischen 4 und 19 Jahren, konstatiert der Zwischenbericht einer von THL eingeleiteten Untersuchung.

Narkolepsie, auch "Schlafkrankheit" genannt, ist eine neurologische Erkrankung des Schlaf-Wach-Rhythmus. Häufigste Symptome sind eine starke Tagesschläfrigkeit bis hin zu Schlafzwang, Schlaflähmung, akustische und visuelle Halluzinationen und einem Kontrollverlust der Muskeln. Narkolepsie gilt bislang als nicht heilbar.

Im Schnitt der letzten Jahre hatte es in Finnland 27 Narkolepsie-Neuerkrankungen in der gesamten Bevölkerung und drei bei Kindern gegeben. Mit Beginn der Pandemrix-Massenimpfung im Winter 2009 schnellte diese Zahl allein in der Altersgruppe der 4- bis 19-Jährigen plötzlich auf 60 hoch. Immerhin 52 davon hatten eine Pandemriximpfung erhalten.

Der Krankheitsausbruch trat meist vier bis acht Wochen nach der Impfung ein. Worauf die finnische Gesundheitsbehörde schon im vergangenen Sommer alle Impfungen als "Vorsichtsmaßnahme" vorübergehend gestoppt hatte.

"Bereits die ersten Indikationen waren sehr beunruhigend", sagt die zuständige THL-Abteilungsleiterin Terhi Kilpi: "Nun ergibt sich ein Zusammenhang, der noch deutlicher ist, als wir glaubten." Ein neunfach höheres Narkolepsie-Erkrankungsrisiko habe man für die am schwersten betroffene Altersgruppe errechnet, erklärte Terhi Kilpi.

Man gehe derzeit aber davon aus, dass es zwar einen Zusammenhang mit Pandemrix, aber eben auch noch andere Kofaktoren geben müsse. Schließlich waren in Finnland 70 Prozent der fraglichen Altersgruppe, mehrere Hunderttausend Kinder und Jugendliche, mit Pandemrix geimpft worden.

Über die möglichen Kofaktoren - eine der Theorien ist: eine angehende Grippeerkrankung - wird noch gerätselt. Auffallend ist auch, dass die bisherigen Narkolepsie-Meldungen vor allem aus den skandinavischen Ländern kommen.

Neben Finnland ist das primär Schweden, wo die Arzneimittelbehörde Läkemedelsverket in insgesamt 60 Fällen einen Pandemrix-Narkolepsie-Zusammenhang vermutet. Laut Pandemrix-Hersteller GlaxoSmithKline traten 70 Prozent aller entsprechenden Verdachtsfälle in Skandinavien auf. In Großbritannien beispielsweise seien 300.000 Kinder geimpft, aber nur zwei Narkolepsiefälle gemeldet worden.

Da kein spezielles Gen bekannt ist, das SkandinavierInnen anfälliger für Narkolepsie machen könnte, gründet sich dieses Resultat womöglich auf die dortige, besonders hohe Impfrate mit Pandemrix im Zusammenhang mit den zentralen Krankheitsregistern der nordischen Länder. Man sei dadurch zuerst auf einen möglichen Zusammenhang aufmerksam geworden und nach ersten Pressemeldungen wären die ÄrztInnen dann wohl sensibilisiert worden, meint Kari Lankinen von der finnischen Medizinalüberwachungsbehörde Fimea.

Es gibt Spekulationen, dass der in Pandemrix enthaltene "Impfverstärker" (Adjuvans) die Ursache der Narkolepsie sein könnte. Mit Einsatz dieses Wirkverstärkers wird die Impfwirkung potenziert und eine geringere Menge Virus-Antigen pro Person benötigt.

Dies bedeutet, dass die Impfstoffproduktion für die Versorgung von viel mehr Menschen ausreicht. Der Impfstoff kann so "gestreckt" werden. Ein bedeutender Zeitfaktor, wenn - wie nach Verkündung der H1N1-Pandemie durch die WHO 2009 - dem Markt binnen kurzer Zeit große Mengen des Impfstoffes zur Verfügung gestellt werden sollen.

Bei Pandemrix war als Impfverstärker Squalen eingesetzt worden. Eine Substanz, die beispielsweise aus Haifischleberöl gewonnen werden kann und schon unter dem Verdacht stand, für das "Golfkriegssyndrom" verantwortlich gewesen zu sein.

Nach Impfungen gegen mögliche Biowaffen waren 1991 bei fast einem Drittel der geimpften US-Soldaten zeitweise Symptome wie chronische Müdigkeit und Gedächtnisstörungen aufgetreten. Offiziell wurde ein Squalen-Zusammenhang aber nie nachgewiesen.

In Deutschland hatten die Bundesländer für die "Schweinegrippe"-Impfung vorwiegend auf den Squalen enthaltenen Impfstoff Pandemrix gesetzt. Die Bundeswehr und beispielsweise auch Österreich wählten damals Celvapan, ein Impfstoff, der frei von Squalen und anderen Wirkstoffverstärkern ist.

Rund 30 Millionen Menschen sind in Europa mit Pandemrix geimpft worden. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hatte nach ersten Alarmmeldungen aus Finnland bereits im August letzten Jahres eine Untersuchung über einen möglichen Pandemrix-Narkolepsie-Zusammenhang in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden aller EU-Länder gestartet, in denen dieser Impfstoff Verwendung fand. Ein Resultat wird voraussichtlich aber erst im Jahr 2012 vorliegen.

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