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Fernbeziehungen sind wie KraftsportEine dicke Lippe, äh, Liebe

Blut auf dem Smartphonedisplay – und der Freund in einer anderen Stadt. Was ist passiert? Und wie soll man das aushalten?

Fernbeziehungen können romantisch sein, sind aber immer anstrengend Foto: J Studios/getty images

E ines Morgens öffne ich WhatsApp und starre in das blutige Gesicht meines Freundes. Unter der Nase klafft eine Wunde, von seinem Kinn tropft es dunkelrot. Er sieht erschrocken auf dem Selfie aus – und erschrocken bin ich jetzt auch. Denn mit so etwas habe ich nicht gerechnet. Schon gar nicht an diesem Sonntagmorgen, der sich so friedlich angefühlt hat.

„Oh Gott! Was ist dir denn passiert?“, schreibe ich. Oder ist es Theaterblut – ein schlechter Scherz? Ich wähle seine Nummer. Er hebt nicht ab. Ich probiere es noch mal. Irgendwann gebe ich auf. Nicht, dass er in der Zwischenzeit bewusstlos geworden ist. Ich rufe meine Schwester an. Sie versucht, mich zu beruhigen. Ich überlege, seinen Kumpel anzurufen. Mist! Dessen Nummer habe ich ja gar nicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit ein neues Lebens­zeichen. „Bin im Krankenhaus. Melde mich später.“

Wahrscheinlich haben sie gerade einen normalen Pärchensonntag. Den hätte ich auch gerne

Im Fitnessstudio kann ich mich kaum auf das Training konzentrieren. Als ich gerade auf die Beinpresse warte, sehe ich durch die Fensterscheibe, wie ein befreundetes Pärchen mit seinem Hund in die Tram einsteigt. Wahrscheinlich haben sie gerade einen ganz normalen Pärchensonntag. Den hätte ich auch gerne.

Aber mein Freund und ich führen eine Fernbeziehung. Wir wohnen Hunderte Kilometer voneinander entfernt. Fand ich es zu Beginn noch wahnsinnig romantisch, dass wir uns in unseren jeweiligen Städten besuchen, finde ich es langsam etwas kräftezehrend. Statt uns nach der Arbeit zu treffen, telefonieren wir per ­Video. Das ist zwar besser als nichts, führt aber dazu, dass wir noch mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen.

Wenn einer weinen muss

Manchmal kochen wir sogar so zusammen. Er steht dann in seiner Küche in Wien und ich in meiner in Berlin und zum Abschied küssen wir das Display. Noch absurder wird es, wenn einer weinen muss und das Handy gleichzeitig so hält, dass der andere weiter teilhat. Das fühlt sich dann schon ganz schön weit weg vom echten Leben an und tröstet auch nicht so gut wie eine echte Umarmung. Dabei braucht man die in diesen Momenten besonders dringend. Super wäre auch, wenn mal jemand anderes das Bett macht oder Kaffee kauft. Wenn öfter mal jemand da wäre, der sich um einen kümmert.

Natürlich treffen wir uns regel­mäßig, aber das ist jedes Mal mit viel Orga und langen Zugfahrten verbunden, die nicht immer nur schön sind. Man kennt es. Doch wenn wir uns auf dem Bahnsteig entgegenlaufen, prickelt mein Herz vor Glück. Vielleicht hält das Verliebtheitsgefühl deshalb auch besonders lange, meinte neulich mein Freund. Gleichzeitig haben wir bei fast jedem Wiedersehen einen kleinen Streit. Vermutlich weil unsere Erwartungen an die begrenzte Zeit hoch sind und wir uns erst mal wieder aneinander gewöhnen müssen. Am Ende wollen wir uns dann aber oft gar nicht wieder trennen.

Stück für Stück trudeln neue Informationen ein. Er sei mit dem E-Scooter gestürzt, schreibt mein Freund. Seine Lippe habe genäht werden müssen und er könne nur sehr schwer sprechen. Ich bin erleichtert, dass nicht noch Schlimmeres passiert ist. Er tut mir leid. Ich will ihm helfen. Gleichzeitig bin ich traurig, dass Knutschen bei unserem Wiedersehen wohl erst mal nicht drin sein wird.

Und als ob er es geahnt hätte, schreibt er: „Weiß nicht, ob du mich so sehen möchtest …“ Wie bitte? Natürlich will ich das – am liebsten sofort. So eine Fernbeziehung ist wie Kraftsport: Anstrengend, aber gut für den Liebesmuskel.

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Anna Fastabend
Redakteurin wochentaz
Hat mal Jura studiert und danach Kreatives Schreiben am Literaturinstitut in Hildesheim. Hat ein Volontariat bei der Märkischen Oderzeitung gemacht und Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Schreibt über feministische Themen, Alltagsphänomene, Theater und Popkultur.
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