Unter Vermittlung von Malaysia: Gespräche im Thailand-Kambodscha-Konflikt
Beide Länder wollen sich am Montag unter Vermittlung in Kuala Lumpur treffen. Am Wochenende waren die Kämpfe in der Grenzregion weiter eskaliert.

Auch am Sonntag lieferten sich die beiden Länder ungeachtet zahlreicher internationaler Appelle zur Zurückhaltung erneut schwere Gefechte. Die Kämpfe, die am Donnerstag in der umstrittenen Grenzregion „Smaragddreieck“ mit ihren alten Hindutempeln begannen – beide Länder beanspruchen sie als kulturelles Erbe –, haben sich auf weitere Teile Kambodschas ausgeweitet.
Die thailändische Luftwaffe bombardierte Pursat tief im Landesinneren, während die Marine im Süden vier Kriegsschiffe mobilisierte, um die Armee bei der „Operation Trat Strike 1“ zur „Verteidigung der Souveränität“ zu unterstützen. Auf der anderen Seite meldet Kambodscha fortlaufend Erfolge seiner Truppen gegen die „thailändische Invasion“ und die Rückeroberung besetzter Gebiete.
Unabhängig überprüfen lassen sich die gegenseitigen Beschuldigungen und Berichte über das Ausmaß der Militäreinsätze nicht. Beide Seiten beschuldigen einander jedoch schwerer Kriegsverbrechen. Thailand wirft Kambodscha vor, Landminen im Grenzgebiet verlegt zu haben. Kambodscha beschuldigt Thailand in einer Petition an den UN-Sicherheitsrat, international geächtete Streubomben eingesetzt zu haben.
Es geht um mehr als Tempelruinen
Am Samstag schrieb US-Präsident Donald Trump auf seiner Plattform Truth Social, er habe den Staatschefs beider Länder mitgeteilt, dass die USA keine Zollabkommen abschließen würden, solange die Feindseligkeiten andauerten.
Kambodscha reagierte mit grundsätzlicher Zustimmung „zu der Forderung nach einem sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand“. Thailands Antwort fiel bedeutend zurückhaltender aus: Man sei zu bilateralen Gesprächen bereit, aber nur, wenn Kambodscha „ernsthaft“ daran interessiert sei, erklärte Premierminister Phumtham Wechayachai.
Mittlerweile wird klar, dass es um mehr geht als Grenzstreitigkeiten und Tempelruinen. In Thailand schürt die konservative Elite seit einem Jahr Nationalismus, weil die Regierung der Pheu-Thai-Partei unter der Führung des Shinawatra-Clans mit Kambodscha über die gemeinsame Erkundung von Energieressourcen vor der Küste verhandelt. Thailand könnte dabei, so die Nationalisten, die Insel Koh Kood und damit Teile seines Territoriums verlieren.
Kambodscha sieht die von Thailands Regierung geplante Legalisierung von Casinos in Konkurrenz zu den eigenen Casinos für Thailands Spieler als Zielgruppe kritisch. Die vielen kambodschanischen Glücksspielpaläste, die in den letzten zwei Jahrzehnten nahe der Grenze entstanden, sind eine wichtige Einnahmequelle für die Regierung in Phnom Penh und die als korrupt geltenden Eliten des Landes.
Beide Regierungen stehen zudem innenpolitisch unter Druck. Über Thailand schreibt Matthew Wheeler von der Crisis Group in einer Analyse, die von Pheu Thai geführte Koalitionsregierung habe „schon vor dem Grenzkonflikt mit starkem politischen Gegenwind und schwindender Popularität zu kämpfen“ gehabt. Sie habe Wahlversprechen nicht erfüllt und die Wirtschaft nicht belebt.
Streit zwischen alten Regenten
Zudem sei die Koalition unpopulär, weil sie nach dem Wahlsieg der progressiven Partei Move Forward 2023 einen „faustischen Pakt“ mit dem konservativen Establishment eingegangen sei, um eine Machtübernahme zu verhindern. Pheu Thai habe sich mit der Elite verbündet, die der frühere Premier Thaksin Shinawatra seit seinem Sturz 2006 als Erzfeind betrachte. Die Risse in der Koalition traten offen zutage, als die Bhumjaithai-Partei, zweitgrößter Partner, nach einem durchgesickerten Telefongespräch zwischen der suspendierten Premierministerin Paetongtarn Shinawatra und Kambodschas früherem Machthaber Hun Sen die Koalition verließ.
In Kambodscha würden Hun Sen sowie sein Sohn und Premierminister Hun Manet den Nationalismus nutzen, so Wheeler, um von den schweren wirtschaftlichen Problemen abzulenken und eine Spaltung innerhalb der allein regierenden Kambodschanischen Volkspartei (CPP) zu unterdrücken.
Die Shinawatras und Hun Sen waren lange beste Freunde. In diesem Jahr äußerte Hun Sen immer häufiger Drohungen gegen Thaksin. Er könne beweisen, dass dieser Majestätsbeleidigung begangen habe. Zudem sei Thaksin nach seiner Rückkehr aus dem Exil 2023 als Teil des „faustischen Pakts“ einer Haftstrafe wegen einer früheren Verurteilung nur durch eine vorgetäuschte Krankheit entgangen.
Man kann „nur spekulieren“, so Wheeler, „warum Hun Sen gerade jetzt seine Brücken zu Thaksin abbricht“. Vielleicht könnte Hun Sen „angesichts zunehmender Beweise für die Beteiligung der kambodschanischen Elite an Cyberbetrugszentren“ ein Vorgehen der Pheu-Thai-Regierung gegen „die grenzüberschreitende Kriminalität befürchten“.
Bislang wurden bei den Kämpfen nach offiziellen Angaben mehr als 30 Menschen getötet. Mehr als 200.000 Menschen flohen aus ihren Dörfern, 138.000 auf der thailändischen und 80.000 auf der kambodschanischen Seite der Grenze. Thailands Regierung droht mit harten Strafen für Übergriffe auf die rund 1,2 Millionen Kambodschaner im Land. (mit Material von ap und afp)
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