Untersuchung des VCD: Autos machen Schulwege unsicher
Gefahrlos zur Schule zu kommen, das ist für viele Kinder noch immer schwierig. Wo die größten Gefahren lauern – und wie die Straßen sicherer würden.
In den meisten Fällen ging die Gefahr von motorisierten Fahrzeugen aus. Autos wurden an 85 Prozent der Stellen und so mit deutlichem Abstand als größte Bedrohung genannt. Mit 48 Prozent waren Lkws die zweitgrößten Gefährder. Besonders gefährdet wiederum waren Fahrradfahrer:innen und Zufußgehende.
Für die Untersuchung konnten Eltern, Kinder und andere interessierte Menschen dem VCD melden, auf welchen Schulwegen welche Gefahren lauern. Zwischen Juni und August trugen die Teilnehmer:innen 5.346-mal gefährliche Orte in eine Onlinekarte ein. Die flossen zusammen mit Meldungen, die schon in den letzten fünf Jahren auf der Plattform schulwege.de eingegangen waren, in die Auswertung ein.
So kamen die Organisationen auf insgesamt 54.272 Meldungen, die sich auf 21.083 Gefahrenstellen bezogen – einige Orte kamen also in mehreren Meldungen vor. Die Teilnehmer:innen stammen aus allen 16 Bundesländern, die mit Abstand meisten Meldungen – 24.745 – wurden in Nordrhein-Westfalen gemacht.
Häufigste Todesursache im Verkehr: zu schnelles Fahren
Online konnten die Befragten auch angeben, welche Art der Gefahr sie wahrgenommen haben und wie genau die Gefahr zustande kam. In allen Kategorien waren Mehrfachnennungen möglich. Demnach wurde es am häufigsten dann gefährlich, wenn sich Fahrende fehlverhalten, etwa falsch parken. Oder dann, wenn die Verkehrsteilnehmer:innen keine gute Sicht hatten – an Kurven, Einmündungen, durch Büsche oder andere Hindernisse. Geschwindigkeitsüberschreibungen lösten in 23 Prozent der Fälle eine Gefahrensituation aus.
Kinder zählen im Straßenverkehr zu den Gruppen, die besonders gefährdet sind. Autos wachsen im Durchschnitt, ihre Motorhauben werden immer höher – Kinder werden mit immer höherer Wahrscheinlichkeit übersehen. Außerdem gilt: Je höher die Motorhaube, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder lebensbedrohlich verletzt werden, wenn ein Auto sie mit der Motorhaube erfasst.
Empfohlener externer Inhalt
Die häufigste Todesursache im Straßenverkehr ist zu schnelles Fahren, wie die Verkehrsunfallstatistik der Versicherung Allianz Direct für das Jahr 2023 zeigt. Auf Schulwegen ereigneten sich 2024 laut der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung mehr als 87.000 Unfälle. So bringen immer mehr Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule, wie aus Umfragen des ADAC hervorgeht. Ein Teufelskreis: Sie wollen ihren Nachwuchs vor Gefahren im Verkehr schützen – und schaffen selbst mehr Verkehr, der potenziell gefährlich werden kann.
„Wir brauchen Tempo 30 innerorts, eine sichere, kinderfreundliche Infrastruktur und Schulstraßen, wenn wir die Vision Zero – also null Tote im Straßenverkehr – erreichen wollen“, fordert deshalb Anika Meenken, VCD-Sprecherin für Radverkehr und Mobilitätsbildung. Sogenannte Schulstraßen sind morgens zu Schulbeginn und nachmittags, wenn die Schule endet, für Kraftfahrzeuge gesperrt.
Berlin dreht Tempo 30 zurück
Kommunen können zum Beispiel vor Schulen, Kitas oder Spielplätzen einfacher Tempo 30 einführen, seit 2024 die Reform des Straßenverkehrsrechts in Kraft getreten ist. Dennoch geht der Berliner Senat derweil einen anderen Weg. Auf 22 Hauptstraßen galt seit einigen Jahren Tempo 30, nun aber will die Stadt dort zurück zu Tempo 50. Die Luft dort war so schadstoffbelastet, dass 2019 das schärfere Tempolimit Abhilfe schaffen sollte.
Tatsächlich wurde die Luft besser – Tempo 30 sei deshalb nicht mehr nötig, sagt der Senat. Dabei zeigt eine Auswertung des Fußverkehrsvereins FUSS, dass die Straßen dort mit Tempo 30 auch deutlich sicherer wurden. 2018 gab es demnach auf den 22 Straßen 157 Verkehrsunfälle mit Verletzten. 2024 waren es 100. Die Gesamtzahl der Unfälle in Berlin ging deutlich weniger zurück. Laut FUSS soll sich die Hauptstadt an Metropolen wie Paris oder Helsinki halten, wo kaum noch Tempo 50 gilt. In Helsinki starb dadurch 2024 keine einzige Person im Straßenverkehr.
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