Urban über Hitzlspergers Coming-out: „Das löst eine Kettenreaktion aus“

Ex-Fußballer Marcus Urban engagiert sich für die Akzeptanz Homosexueller im Fußball. Das erste Profi-Coming-out sieht er als große Chance für mehr Akzeptanz.

Thomas Hitzlsperger, Träger des Julius-Hirsch-Ehrenpreises für sein Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus Bild: dpa

Herr Urban, sind Sie erleichtert, dass sich mit Thomas Hitzlsperger der erste Profi-Fußballer geoutet hat?

Marcus Urban: Es war mir klar, dass dieser Tag kommen wird. Ich gehörte zu den Ersten, die öffentlich gesagt haben, dass es keine zehn oder zwanzig Jahre dauern wird. So ist es jetzt gekommen und ehrlich gesagt, bin ich ziemlich gerührt. Ich freue mich riesig für den Thomas und im übrigen auch für die vielen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die jetzt ein echtes Vorbild haben.

Was bedeutet das Outing für die Diskussion um Homosexualität im Fußball?

Dass sich ein Ex-Nationalspieler geoutet hat, jemand den Millionen zum Vorbild haben, wird zur Folge haben, dass sich in den Bereichen Gender und der Freiheit der sexuellen Orientierung für viele etwas verändern wird. Für die nachwachsende Generation könnte das alles viel normaler werden. Seit Jahren haben wir versucht, die Freiheit für das Thema auszuweiten. Das ist jetzt ein großer Schub für den Tabubruch.

Warum ist das Thema Homosexualität besonders im Fußball bis jetzt so tabuisiert?

Das ist kein Fußballspezifikum. Punktuell scheint das Thema Homosexualität akzeptiert, aber was die Akzeptanz sexueller Orientierung angeht, ist gesamtgesellschaftlich noch ein gutes Stück zu gehen. Schauen sie sich das Militär an, die Kirche oder das Handwerk. Homophobes Mobbing ist mir auch von der Mailänder Modemesse bekannt oder aus dem Theater und den Medien. Eine Gemeinsamkeit der Diskriminierung in den verschiedenen Bereichen ist die Unfähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen. Das Bild des Fußballs ist es, Dominanz auszustrahlen, aggressiv zu sein, es geht um klassische, ursprünglich männliche Tugenden. Eben eine Männerdomäne, in der gekämpft und gerauft wird. All das wurde immer mit Heterosexualität verbunden, aber natürlich können das auch Schwule.

42, geboren in Erfurt, ehamliger DDR-Jugendnationalspieler und bis Anfang der 1990er Jahre Amateurspieler für den FC Rot-Weiß Erfurt. Beendete aufgrund seiner Homosexualität die Karriere als Fußballer. 2007 outete er sich offiziell in einem Interview, ein Jahr später erschien seine Biographie mit dem Titel „Versteckspieler. Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban“. Er arbeitet als Diversität-Berater und Personal Coach und ist Mitgründer des Netzwerks „Fußball gegen Homophobie“.

Ist es für Sie ein Wermutstropfen, dass sich Hitzlsperger nicht zu seiner Zeit als aktiver Profi sondern erst nach seinem Karriereende geoutet hat?

Nein, ist es nicht, weil wir, etwa mit dem Netzwerk „Fußball gegen Homophobie“, jahrelang daran gearbeitet haben, dass sich ein Profi outet. Egal ob vor, während oder nach der Karriere. Das ist jetzt der Fall. Es gibt jetzt einen Ex-Nationalspieler und das zählt. Sie werden sehen, dass das eine Kettenreaktion auslöst.

Sie rechnen mit weiteren Outings in nächster Zeit?

Es werden weitere Outings kommen. Natürlich kann man nicht in die Köpfe der Spieler schauen, aber es kann sein, dass sich morgen die nächsten drei outen. Weil sie sehen, dass es geht. Dann haben wir plötzlich eine völlig neue Situation. Für viele, die wir noch nicht erreicht haben, beispielsweise im ländlichen Raum, kann dann ein völlig neues Männerbild entstehen. Wenn Homosexualität kein Tabu mehr ist, ist es auch kein Anlass mehr für Mobbing.

Kann Thomas Hitzlsperger seine Homosexualität solange geheim gehalten haben oder war das internen Kreisen längst bekannt?

Das ist längst bekannt gewesen. Auch ich wusste über meine Informationsquellen von Thomas, ohne direkten Kontakt zu ihm zu haben. Ebenso ist es bei anderen National- und Bundesligaspielern.

Haben die öffentlichen Diskussionen, das Warten auf das erste Outing, diesen Schritt in die Öffentlichkeit einfacher oder schwieriger gemacht?

Einerseits sind die Betroffenen natürlich unter Druck gesetzt worden. Andererseits aber wäre ohne die intensive mediale Beschäftigung mit der Thematik gar nichts passiert. Die Sensibilisierung, wie wir sie jetzt haben, hätten wir dann nicht erreicht.

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