Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Baggern darf beklagt werden

RWE kann weiter Löcher in die Landschaft fräsen, um Braunkohle abzugraben. Der letzte Anwohner ist schwer enttäuscht vom Urteil des Verfassungsgerichts.

Als Nachbar unerträglich: Braunkohlebagger im Tagebau Garzweiler II. Bild: reuters

KÖLN/BERLIN taz | Stephan Pütz ist frustriert. „Es war eine lange Reise und das Ergebnis ist sehr enttäuschend“, sagt er. Mehr als ein Jahrzehnt hat der 50-jährige Polizist dafür gekämpft, dass er weiter dort leben kann, wo er leben möchte: in der kleinen Gemeinde Immerath. Jetzt hat der rheinische Don Quijote den Kampf vor dem Bundesverfassungsgericht verloren. Er hatte sich auf ein „Grundrecht auf Heimat“ berufen. In vier Jahr dürften die riesigen Schaufelradbagger des Energiekonzerns RWE sein rotes Backsteinhaus erreichen.

Schon heute wohnt außer Pütz und seiner Frau niemand mehr in der Straße. Einst lebten rund 1.200 Menschen in Immerath. Bald wird der Braunkohletageabbau die kleine Ortschaft, die zur Stadt Erkelenz gehört, verschlingen. Wie zahlreiche Dörfer zuvor in der niederrheinischen Bucht. Auch der Nachbarort, in dem Stephan Pütz aufgewachsen ist, wurde „durch Garzweiler vernichtet“, wie es der Erkelenzer Ratsherr der Grünen formuliert.

Damit geht der Tagebau im rheinischen Revier zwischen Aachen, Köln und Mönchengladbach ungebremst weiter. Es ist die größte Braunkohlenlagerstätte Europas, die vier Tagebaue Hambach, Inden, Garzweiler I und Garzweiler II sind wandernde Megalöcher, genehmigt und in Betrieb. Woanders dagegen schöpft man neue Hoffnung.

Denn neben Pütz hatte auch die Umweltschutzorganisation BUND gegen der Enteignung einer Obstwiese geklagt – und Recht bekommen. Die Wiese ist zwar längst weggebaggert, allerdings machten die Richter deutlich, dass künftig Bürgern weitreichendere Klagemöglichkeiten eingeräumt werden müssen.

Gestärkte Bürgerrechte

Das hat Auswirkungen auf das Lausitzer Revier. Dort kämpfen Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidtke (SPD) zusammen mit der Bergbaugewerkschaft IGBCE und dem schwedischem Konzern Vattenfall für eine Erweiterung des Braunkohletagebaus. Ihnen drohen nun neue Klagen, glaubt Christian von Hirschhausen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der Gutachten für Braunkohlegegner erstellt. „Das Urteil ist ein großer Erfolg“, sagt er, „in einer modernen Abwägung zwischen Energiewirtschaft und Bürgerrechten sind die Bürgerrechte gestärkt.“

Am Montag ging in Cottbus eine mehrtägige Erörterung zur Erweiterung des Tagebaus Welzow-Süd zu Ende. 120.000 Bürger hatten Einwendungen eingereicht. Eigentlich wollte die Landesregierung noch im Frühjahr 2014 einen „Braunkohleplan“ verabschieden. Erst ganz am Ende, „wenn die Bagger vor der Tür stehen“, hätten die Anwohner gegen mögliche Enteignungen klagen können, so Hirschhausen. Das wäre irgendwann ab 2020, 800 Bewohner müssten ihre Heimat verlassen, mit anderen Gebieten sind es laut Greenpeace 3.000 Menschen in der Lausitz.

Nun, so Hirschhausens Interpretation des Urteils, könnten die Anwohner bereits Jahre zuvor vor Gericht gehen – und den Braunkohleplan der Landesregierung bereits im Jahr 2014 anfechten. Ähnlich könnte es in Jänschwalde-Nord oder im sächsischen Nochten kommen. Vattenfall gab gestern noch keine Stellungnahme dazu ab.

Georg Erdmann ist Professor an der TU Berlin und Gutachter für das brandenburgische Wirtschaftsministerium, das eine Erweiterung der Tagebaue durchsetzen will. Auch er sieht das Urteil positiv. „Die Planer müssen jetzt die Belange der Anwohner stärker berücksichtigen“, sagt er. Grundsätzlich habe das Bundesverfassungsgericht aber festgestellt, dass es ein öffentliches Interesse am Tagebau gebe.

Noch bis 2045 soll gefördert werden

Erdmann und Hirschhausen lieferten sich erst in der vergangenen Woche einen mehrstündigen Schlagabtausch in Cottbus, um die Frage, ob weitere Braunkohlereviere in Zeiten der Energiewende nötig sind. „Die Energiewende macht die Braunkohle mittelfristig überflüssig. In den genehmigten Lausitzer Tagebauen liegt mehr als genug Kohle, um diese Zeit zu überbrücken“, meint Hirschhausen.

Im Ruhrgebiet will die RWE Power allein im Tagebau Garzweiler II nach bisherigen Planungen noch bis zum Jahre 2045 Kohle fördern – bis zu 45 Millionen Tonnen jährlich. Dann würde allein Erkelenz gut ein Drittel seines Stadtgebiets verloren haben, etwa 40 Quadratkilometer. Die im Jahr 2000 begonnene Umsiedlung der Ortschaften Borschemich, Lützerath, Pesch und Immerath ist fast abgeschlossen. Ab 2016 müssen die Bewohner von Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sowie Beverath weichen.

Im vergangenen Jahr erzeugte RWE fast die Hälfte seines in Deutschland produzierten Stroms mit Braunkohle – mit den entsprechenden klimaschädlichen Folgen. In Deutschland insgesamt liegt der Anteil bei 25 Prozent. Gerichte werden RWE nicht mehr hindern. Auch die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen wird keine Steine in den Weg legen, zu stark ist die SPD-Kohlelobby.

Aber, so die Hoffnung von Umweltschützern, vielleicht hilft die Energiewende: Seit Wochen halten sich Spekulationen, die Braunkohlegewinnung im rheinischen Revier könnte vorzeitig beendet werden, weil sich perspektivisch aus der bislang für die Kraftwerksbetreiber so lukrativen Kohleverstromung durch die Förderung für regenerative Energien nicht mehr genügend Profit schlagen lasse. RWE hat das jedoch immer wieder dementiert.

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