Urteil in München: Russischer „Wegwerfagent“ verurteilt
Dieter Sch. will immer nur so getan haben. Doch jetzt wurde der Deutschrusse wegen Terror und Spionage zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
 
taz | Es könnte ein Urteil mit Signalwirkung für ähnliche Fälle sein. Das Oberlandesgericht München hat am Donnerstag den Deutschrussen Dieter Sch. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten sowie geheimdienstlicher Agententätigkeit zu Sabotagezwecken in Deutschland für schuldig erklärt und zu einer Haftstrafe von sechs Jahren Haft verurteilt.
Damit folgte die Strafkammer im Wesentlichen der Argumentation des Generalbundesanwalts, blieb nur im Strafmaß unter den von der Anklage geforderten acht Jahren und acht Monaten. Zwei Mitangeklagte wurden zu einem beziehungsweise einem halben Jahr auf Bewährung verurteilt.
Im Mittelpunkt des Verfahrens, so der Vorsitzende Richter Jochen Bösl, habe die Frage gestanden, ob Dieter Sch. vor rund zehn Jahren Mitglied einer paramilitärischen russischen Einheit im Donbass gewesen sei, die dort gegen die ukrainischen Truppen gekämpft habe. Konkret handelte es sich um die Pjatnaschka-Brigade, eine Einheit der sogenannten Volksrepublik Donezk, die mit Unterstützung Russlands seit April 2014 eine von ihr beanspruchte Region im Osten der Ukraine kontrollierte.
Sch. kam im Dezember 2014 in das Gebiet und blieb dort mindestens bis August 2016. Für das Gericht steht auch außer Zweifel, dass er dort im Jahr 2015 mindestens zweimal an Kampfeinsätzen gegen die ukrainischen Streitkräfte teilgenommen und dabei auch eine Schusswaffe mit sich geführt hat.
Der Angeklagte Sch., schwarzer Rauschebart, Baseballkäppi, sitzt während der Urteilsbegründung tief in seinem Stuhl, scheint das Urteil recht gelassen aufzunehmen. Der 41-Jährige, ein ehemaliger Messebauer, der sich zuletzt mit Gelegenheitsjobs und Sozialhilfe über Wasser gehalten hat, ist eine schillernde Gestalt. Im Alter von 14 Jahren kam er mit seiner Familie als Spätaussiedler aus Russland nach Deutschland, lebte in Bayreuth, wo er auch im April 2024 festgenommen wurde.
In Uniform im Fernsehen
Neben seiner Mitgliedschaft bei der Pjatnaschka-Brigade wird ihm zur Last gelegt, dass er zuletzt für Russland in Deutschland als Agent tätig sowie Sabotageakte geplant haben soll, unterstützt von den beiden Mitangeklagten Alexander J. und Alex D.
Das Material, das die Ermittler zusammengetragen haben, ist umfangreich, die Fülle der Indizien in den Augen des Gerichts erdrückend. „Wirklich, es kommt so viel zusammen“, sagt Bösl, es gebe nicht den leisesten Zweifel, an der Richtigkeit der Vorwürfe – auch wenn der Angeklagte, wie der Richter zugibt, auf jeden Vorwurf eine Antwort gehabt habe. Dies führte denn auch dazu, dass die Verteidiger für Freispruch für ihren Mandanten plädierten.
Die Ausführungen Sch.s waren zumeist irgendwas zwischen amüsant, albern und hanebüchen. So sei er in den Donbass nur wegen einer Frau gegangen, die er im Internet kennengelernt habe und die aus der Region kam. Er habe zwar Kontakt zu Mitgliedern der Pjatnaschka-Brigade gehabt, sei aber selbst kein Mitglied gewesen.
In einem Beitrag des ZDF-„Auslandsjournals“, der im Jahr 2015 unter dem Titel „Ein Russlanddeutscher zieht in den Krieg“ lief, hörte sich das freilich ganz anders an. Dort gab er sich als Mitglied der Truppe aus, ließ sich in Uniform und mit Waffe filmen. Da habe er doch nur so getan, argumentierte Sch., der Kommandeur der Brigade, Akhra Avidzba, habe ihn darum gebeten.
„Ein genialer Plan“
Dafür habe er von Avidzba und dem ZDF-Team jeweils 200 Euro bekommen. Und dass er sich auch später öfter mal als Donbass-Veteran ausgegeben habe, dürfe man auch nicht so ernstnehmen, das habe er nur getan, um „Frauen flachzulegen“. Als der Richter das Zitat vorträgt, nickt Sch. zustimmend.
Dass er sich dann im Jahr 2023 wieder mit dem Kommandeur Avidzba, der wohl auch für den russischen Geheimdienst GRU arbeitet, in Verbindung gesetzt hat und ihm Informationen über eine Bahnstrecke, eine Ölraffinerie, einen Werkzeughersteller, der auch militärische Produkte herstellt, und den US-Truppenübungsplatz Grafenwöhr lieferte und sich mit ihm via Messengerdienste über mögliche Sabotageakte austauschte, sei auch nur geschauspielert gewesen, er habe ihn „verarschen“ wollen.
Als „Low-Level-Agenten“ oder „Wegwerfagenten“ werden nicht ausgebildete Sympathisanten genannt, die der russische Geheimdienst neuerdings immer öfter im Westen für kleinere Spionage-Tätigkeiten oder Sabotageakte rekrutiert – oft nur gegen ein Taschengeld.
Sch. allerdings will immer angenommen haben, den anderen einen Schritt voraus zu sein. Schnell will er auch gemerkt haben, dass er observiert worden sei, deshalb habe er die Rolle weitergespielt, um sich schließlich den deutschen Behörden als Doppelagent anzudienen. Was jedoch nicht ganz geklappt habe. „Ein genialer Plan“, kommentiert Richter Bösl nur.
Das vermeintliche Schauspielern ziehe sich durch die gesamte Argumentation des Angeklagten, stellt der Richter fest und fragt, warum Sch. nicht gleich eine entsprechende Karriere angestrebt habe. „Vielleicht hätten Sie’s mal versuchen sollen, das hätte Ihnen zumindest einige Jahre Haft erspart.“ Der Angesprochene zuckt die Achseln und macht ein Gesicht, als wolle er sagen: Hätte doch nur jemand mein Talent entdeckt!
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