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Urteil in der TürkeiOppositionsparteichef Özgür Özel bleibt im Amt

Ein türkisches Gericht sieht die Vorwürfe gegen den CHP-Chef als gegenstandslos an. Das verschafft der Oppositionspartei zumindest eine Atempause.

Vorsitzender der größten türkische Oppositionspartei CHP: Özgür Özel, in Ankara, am 24.10.2025 Foto: Efekan Akyuz/reuters
Jürgen Gottschlich

Von

Jürgen Gottschlich aus Istanbul

Mit einer faustdicken Überraschung endete am Freitagmittag ein monatelanger Prozess gegen die größte türkische Oppositionspartei CHP und ihren Vorsitzenden Özgür Özel: Das Gericht wies die Klage der Staatsanwaltschaft als gegenstandslos zurück. Özgür Özel und der gesamte Vorstand der Partei können im Amt bleiben.

Der Prozess war Teil einer größeren Repressionskampagne gegen die CHP, in deren Verlauf ihr populärster Politiker, der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu und 17 weitere CHP-Bürgermeister verhaftet und hunderte weitere Parteimitglieder festgenommen wurden.

In dem Prozess in Ankara ging es darum, dass Özgür Özel und der gesamte Parteivorstand angeblich unrechtmäßig im Amt seien. Einige Delegierte sollen auf dem Wahlparteitag im November 2023 bestochen worden sein, damit sie für Özel und damit gegen den damaligen Parteivorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu stimmen. Fast alle Beobachter hielten diese Behauptung schon immer für einen politischen Vorwand, um den sehr erfolgreichen Özel aus dem Weg zu räumen und die Partei ins Chaos zu stürzen.

Das Gericht hat sich jetzt mit einem salomonischen Spruch aus der Affäre gezogen. Die Klage sei gegenstandslos, weil Özgür Özel und auch die anderen Vorstandsmitglieder nach dem Parteitag im Herbst 2023 bei zwei weiteren späteren Sonderparteitagen erneut mit großer Mehrheit im Amt bestätigt wurden. Damit ist Özel vorerst vom größten Druck befreit, gegen das Urteil kann jedoch noch Berufung eingelegt werden.

Aus dem Amt entfernt

Außerdem wurde in einem ähnlichen Verfahren in Istanbul der CHP-Ortsvorsitzende Özgür Celik tatsächlich aus dem Amt entfernt und der Partei in Istanbul ein Zwangsverwalter vor die Nase gesetzt. Celik ist mittlerweile auch durch einen Bezirkssonderparteitag erneut wieder zum Vorsitzenden von Istanbul gewählt worden, dennoch ist der Zwangsverwalter weiter im Amt.

Der Versuch, die CHP durch die Justiz zu spalten und lahmzulegen ist deshalb noch nicht beendet. Dennoch verschafft das heutige Urteil in Ankara der Partei zunächst einmal Luft. Özgür Özel hat seit der Verhaftung von İmamoğlu die Proteste für dessen Freilassung so erfolgreich organisiert, dass bis heute zweimal in der Woche Kundgebungen für den Präsidentschaftskandidaten stattfinden.

Wie sehr die Regierung darauf erpicht ist, İmamoğlu als Gegenkandidaten von Präsident Recep Tayyip Erdogan auszuschalten, zeigte sich auch am Freitag wieder. Während in Ankara das Gericht die Klage gegen die CHP vom Tisch wischte, wurde in Istanbul erneut eine Reihe von Leuten aus dem Umfeld von İmamoğlu festgenommen. Der Vorwurf dieses Mal: Spionage.

Die Festgenommen gehörten angeblich zu einer kriminellen Organisation, die İmamoğlu gegründet habe. Sie soll mit ausländischen Geheimdiensten zusammenarbeitet und illegal Mittel für einen Präsidentschaftswahlkampf İmamoğlus besorgt haben.

İmamoğlu steht derzeit beinah täglich vor Gericht: Er soll sein akademisches Diplom gefälscht und angeblich einen Staatsanwalt sowie einen öffentlichen Gutachter beleidigt haben. Dabei ist gegen ihn wegen der Korruptionsvorwürfe, wegen derer er angeblich festgenommen wurde, noch nicht einmal eine Anklage vorgelegt worden.

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