Urteil zu Anti-Terror-Gesetz: In großen Teilen verfassungswidrig

Regeln zur heimlichen Überwachung im BKA-Gesetz greifen laut Verfassungsgericht unverhältnismäßig in Bürgerrechte ein. Die Regierung will rasch nachbessern.

Richter in roten Roben setzen sich Mützen auf

Vieles ist unverhältnismäßig: Die Verfassungsrichter bei der Urteilsverkündung Foto: dpa

KARLSRUHE afp/dpa | Das Gesetz zur Terrorismusbekämpfung durch das Bundeskriminalamt (BKA) ist in weiten Teilen verfassungswidrig. Die Befugnisse der Behörde zur heimlichen Überwachung greifen in der Praxis unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger ein, wie das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch entschied. Das Gericht machte zahlreiche Vorgaben, damit die Regelung vorerst weiter angewandt werden kann. Der Gesetzgeber muss sie bis Ende Juni 2018 nachbessern. (Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09)

Die Bundesregierung will das Gesetz zügig überarbeiten. „Wir werden das Urteil natürlich jetzt mit der gebotenen Sorgfalt schnell auswerten und umsetzen“, sagte Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke am Mittwoch nach der Verkündung in Karlsruhe. Mit der Ausgestaltung der neuen Befugnisse zur Terrorabwehr sei Neuland betreten worden. Insofern sei es auch völlig in Ordnung, wenn es nun Korrekturbedarf gebe.

Engelke verwies auf die jüngsten Anschläge. „Paris und Brüssel haben uns zuletzt gezeigt, wie ernst die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zu nehmen ist.“ Die Sicherheitsbehörden seien aber gut aufgestellt. „Wir werden versuchen, den Schutz und die Freiheit der Bürger weiterhin zu gewährleisten.“

Die Verfassungshüter regelten in der Grundsatzentscheidung zum Datenschutz erstmals auch die Übermittlung von personenbezogen Daten an Staaten außerhalb der EU. Demnach muss das BKA dafür sorgen, dass eine ausländische Behörde die Daten „nicht zu menschenrechtswidrigen Zielen missbraucht“. Damit waren die Beschwerden des früheren Bundesinnenministers Gerhart Baum (FDP), Abgeordneter der Grünen und anderer Kläger weitgehend erfolgreich.

Mit Kameras und Mikrofonen verwanzt

Das BKA-Gesetz von 2008 umfasst dem Gericht zufolge 14 Paragrafen mit 49 Absätzen, die zahlreiche Befugnisse des BKA zur heimlichen Überwachung bei der Abwehr des internationalen Terrorismus regeln. Das BKA darf dazu etwa Wohnungen Verdächtiger mit Kameras und Mikrofonen verwanzen und sie auch im Bad und Schlafzimmer rund um die Uhr bespitzeln.

Zudem ist dem BKA die Bespitzelung von unbeteiligten Kontaktpersonen erlaubt. Die Behörde darf Telefonate mithören, Computer heimlich online durchsuchen, alle Kommunikation, die per Computer geführt wird, aufzeichnen sowie gewonnene Daten an in- und ausländische Dienste weitergeben.

Laut Urteil sind solche Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte zur Terrorabwehr zwar grundsätzlich zulässig – allerdings nur, wenn sie das Verhältnismäßigkeitsgebot „strikt einhalten“. Diesen Anforderungen werden allerdings viele der Ausführungsbestimmungen nicht gerecht. Das Gericht entschied, dass sie teils zu unbestimmt sind oder zu weit gehen, dass es an Transparenz oder richterlicher Kontrolle sowie der Pflicht fehlt, das Parlament und die Öffentlichkeit über Maßnahmen zu informieren.

Vor allem bei der Wohnraumüberwachung machte das Gericht strikte Vorgaben zur Datenerhebung und Datenauswertung, damit der „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ gewahrt bleibt. Demnach müssen dort gewonnene Daten zunächst von einer unabhängigen Stelle daraufhin geprüft werden, ob sie „höchstprivate Informationen“ enthalten, bevor sie das BKA verwerten darf.

Ausnahmen von solch einer Prüfpflicht sind bei „Gefahr im Verzug“ möglich. Ähnliche Regeln forderte des Gericht für die Onlinedurchsuchung von Computern. Auch hier müssen unabhängige Stellen zunächst die Daten auf den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung hin prüfen.

Überdies ist die Überwachung einer Person außerhalb ihrer Wohnung, etwa mit Richtmikrofonen, Peilsendern oder durch V-Leute nur zulässig, wenn eine „konkrete Wahrscheinlichkeit“ besteht, dass diese Person „in überschaubarer Zukunft terroristische Straftaten begeht“. Dass langfristige Observationen laut Gesetz ohne eine richterliche Genehmigung bis zu einem Monat lang möglich sein sollen, kritisierte Karlsruhe ebenfalls als „unzureichend“.

Datenübermittlung nur bei konkretem Verdacht

Das Gericht erklärte zudem die Übermittlung von Daten ohne einen konkreten Verdacht an andere inländische Behörden für verfassungswidrig. Der Grund: Die Regelung beschränke die Übermittlung von Daten aus einer Wohnraumüberwachung oder Onlinedurchsuchung nicht auf die Verfolgung „gewichtiger Straftaten“. Die Befugnisse des BKA zur Datenübermittlung an Verfassungsschutzämter, den Militärischen Abschirmdienst und den Bundesnachrichtendienst seien zudem „unverhältnismäßig weit“.

Das Urteil erging mit sechs zu zwei Stimmen. Den Richtern Michael Eichberger und Wilhelm Schluckebier gehen die Einschränkungen zu weit. Nach Ansicht von Richter Eichberger müssten die Kontaktpersonen von Verdächtigen ihre Überwachung „in staatsbürgerlicher Inpflichtnahme“ als „Sonderopfer für die öffentliche Gewährleistung von Sicherheit“ hinnehmen.

Die Bundesregierung will das vom Verfassungsgericht beanstandete BKA-Gesetz zügig nachbessern. „Wir werden das Urteil natürlich jetzt mit der gebotenen Sorgfalt schnell auswerten und umsetzen“, sagte Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke am Mittwoch nach der Verkündung in Karlsruhe. Mit der Ausgestaltung der neuen Befugnisse zur Terrorabwehr sei Neuland betreten worden. Insofern sei es auch völlig in Ordnung, wenn es nun Korrekturbedarf gebe.

Engelke verwies auf die jüngsten Anschläge. „Paris und Brüssel haben uns zuletzt gezeigt, wie ernst die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zu nehmen ist.“ Die Sicherheitsbehörden seien aber gut aufgestellt. „Wir werden versuchen, den Schutz und die Freiheit der Bürger weiterhin zu gewährleisten.“

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