Urteil zu Bettelverbot in Genf: Es ist egal, wer Not leidet

Eine Haftstrafe wegen Bettelns gegen eine Frau in der Schweiz hat die Menschenrechte verletzt. Wichtiger war vielen Medien ihre Herkunft.

Schilder in der Innenstadt von Basel Foto: Manuel Geisser/imago

Eine Frau hat in Genf gebettelt und wurde dafür bestraft: Im Januar 2014 war sie zu einer Geldstrafe von 500 Franken verurteilt worden. Weil sie nicht bezahlt hatte, wurde sie fünf Tage lang inhaftiert.

Am Dienstag hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg geurteilt, dass die Strafe nicht angemessen sei, „weder hinsichtlich des Kampfes gegen die organisierte Kriminalität noch hinsichtlich des Schutzes der Rechte von Passanten, Anwohnern und Geschäftsbesitzern“.

Natürlich ist es erfreulich, dass der EGMR hier im Sinne der Betroffenen gegen ein Bettelverbot in der Stadt Genf geurteilt hat, und dass er dabei kritisierte, dass ein Bettelverbot das Betteln pauschal kriminalisiert.

Ja, es gibt Hoffnung, dass es noch nicht so weit ist, dass ­Menschen für ihre Armut eingesperrt werden. Aber man fragt sich schon, was der EGMR als „angemessene“ Strafe verstehen würde und ob er das Betteln nicht selbst wieder kriminalisiert, indem er im Zusammenhang dieses Falls von „organisierter Kriminalität“ spricht.Aber das ist ein Hinweis darauf, dass es hier um mehr geht.

Fleißige Bürger

Zu den Hinweisen gehört auch, dass die Nachrichtenagentur AFP schreibt, es handele sich bei der Frau um eine „rumänische Analphabetin aus der Roma-Gemeinschaft“, wie auch der epd gleich in der ersten Zeile seiner Meldung klarstellt, dass es eine „Roma-Frau“ sei, und diese Information der NZZ so wichtig ist, dass sie das Ganze so auf den Punkt bringt: „Schweiz wegen der Bestrafung einer Roma-Bettlerin verurteilt.“

Der Punkt: Die allgemeine Verachtung von Bettelnden hat etwas mit dem antiziganistischen Ressentiment zu tun. Unabhängig davon, ob sich die konkreten Personen, um die es geht, tatsächlich als Roma identifizieren: Die Menschen denken beides gerne zusammen, weil es ihrem Bedürfnis entspricht. Deshalb kommt es auch zu Fantasien über die Bettelmafia, die von Hintermännern gesteuert werde und sich bereichere.

Dann zeigt sich auch der Hass, den der anständige und fleißige Bürger gegenüber jenen empfindet, die in seiner Fantasie vermeintlich das bekommen, was ihm in der bürgerlichen Gesellschaft versagt bleibt: ein Auskommen ohne Lohnarbeit.

Deshalb ist es hier wichtig, den Fokus auf die Identität der Frau zu kritisieren.

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