Urwahl bei den Grünen: Künasts Überlebenskampf

Für Renate Künast geht es in der Urwahl um ihre politische Zukunft. Sie tingelt durch Kreisverbände, um ihr Wahldesaster vergessen zu machen.

Besinnt sich auf ihre Wurzeln: Renate Künast im Wahlkampf. Bild: reuters

HANNOVER taz | Renate Künast freut sich auf die Antwort, die sie in wenigen Sekunden geben darf. Sie zieht leicht die Mundwinkel nach oben. Ein kaum wahrnehmbares Schmunzeln im grellen Licht der Kamerascheinwerfer.

Ob die Grünen nicht eine Luxuspartei seien, die teures Bio-Fleisch propagiere, während die breite Masse das billige Schnitzel brauche, fragt ein Journalist. Eine ideale Vorlage. Genüsslich referiert Künast über die volkswirtschaftlichen Schäden, die die industrielle Landwirtschaft anrichtet. Und dass sich eine Familie auch mit durchschnittlichem Einkommen gesundes Essen leisten könne, fügt sie lässig hinzu, nun ja, das hätten die Grünen doch nun wirklich schon zehn Mal vorgerechnet.

Künast, 56 Jahre, die ehemalige Verbraucherschutzministerin, ist in ihrem Element. Landwirtschaft, das ist ihr Revier. Künast steht glücklich in einem Saal im Alten Rathaus, einem ehrwürdigen Klinkerbau in der Innenstadt Hannovers. Die Grünen-Fraktion tagt hier bis Freitag auf ihrer Herbstklausur, die Chefin gibt eine Pressekonferenz.

Neuigkeiten werden auf Klausurtagungen selten beschlossen, dafür sind sie nicht da. Sie dienen den Parteien dazu, kurz vor dem Wahljahr 2013 Themen zu setzen. Außerdem sind sie wie ein Klassentreffen, bei denen die Parlamentarier zwischen Gruppenfoto vor der Marktkirche und Experten-Referat über interne Machtkämpfe tratschen.

„Das hat Renate schlau gemacht“

Die Tatsache, dass die Fraktion eigens einen vierseitigen Beschluss zur Agrarwende fasste, wird bei den Grünen aufmerksam registriert. Und als Auftakt von Künasts Schaulaufen eingeordnet. „Das hat Renate schlau gemacht“, sagt ein Abgeordneter. „Ihre Erfolge als Ministerin haben die Leute in der Republik eher im Kopf als ihr Versagen bei der Abgeordnetenhauswahl.“

Genau darum geht es für Renate Künast, wenn die Grünen-Basis demnächst per Urwahl über das Spitzenduo entscheidet: Sie ringt um ihr politisches Überleben. Renate kämpft. Darum, das Desaster der Berlinwahl 2011 vergessen zu machen. Darum, weiter vorne mitzuspielen. Und darum, vielleicht noch mal Ministerin zu werden.

Insofern passt die Renaissance der Agrarwende perfekt zu der nun anstehenden Roadshow. Wenn Künast Katrin Göring-Eckardt übertrumpft, behält sie ihre Führungsrolle im Realo-Lager. Wenn sie gar Claudia Roth übertrumpft, hätte sie die Berliner Schmach ausgelöscht. Wenn ihr beides nicht gelingt, ist sie erledigt.

Das Abendessen ist der Informationsbasar auf der Klausurtagung. Die Abgeordneten plaudern bei Weißburgunder und gegrillten Auberginenscheiben offener als sonst. Künast nippt noch um halb zehn am Mineralwasser. Besteht ein Zusammenhang zwischen dem neuen Schwerpunkt und ihrer Kandidatur? Künast legt los. Das Thema sei nie verschwunden gewesen, der Schwerpunkt lang geplant, die AGs und Arbeitskreise hätten immer intensiv gearbeitet.

Aber dann sagt sie auch: „Ich räume ein: Es fügt sich jetzt natürlich ganz gut.“ Es fügt sich tatsächlich ganz gut. Künasts Strategie ist klug. In ihrem Berliner Landesverband hat sie in den vergangenen Monaten jeden Kreisverband persönlich besucht, berichtet ein Berliner Grüner. „Und: Sie erreicht die Leute wieder.“

Eine gute Basis für Künast

Ihre Agar-Agenda zielt aufs überregionale Publikum. Denn im Kampf gegen Schweine-Mastanlagen haben die Grünen eine ähnlich hohe Glaubwürdigkeit wie bei der Atomenergie, die Wähler schreiben ihnen hohe Kompetenz zu. Ein Alleinstellungsmerkmal. Parteistrategen lieben das. Keine schlechte Basis für Künasts Überlebenskampf.

Zumal es anderswo schlechter aussieht: In der Europapolitik wirken die Grünen wie Streber, die es immer besser wissen, am Ende aber der Kanzlerin folgen. In der Sozialpolitik bietet die Linkspartei den höheren Mindestlohn. Und bei der Rente kapert die CDU-Ministerin gerade derart fulminant eine grüne Idee, dass redegewandte Parlamentarier verstummen, wenn man danach fragt.

Künasts Strategie fokussiert zudem Niedersachsen. Im Januar steht dort die Landtagswahl an, sie soll endgültig den Abschied von Schwarz-Gelb einläuten. In dem Bundesland mit knapp 8 Millionen Einwohnern zählten die Behörden 2010 rund 8 Millionen Schweine, 31,6 Millionen Masthühner, 5,3 Millionen Mastputen. Nirgends in Deutschland leben mehr Tiere auf so engem Raum.

Bei der Spitzenkandidatenkür, sinniert Künast dann noch im Scheinwerferlicht, laufe es letztlich wie im Eiskunstlauf. Es gebe eine A-Note dafür, wie hoch man springt. Die Pflicht. Und eine B-Note für die Eleganz. Die Kür.

Die richtige Musik für beides hat sich Künast schon besorgt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.