Verantwortung beim Reisen: „Was brauche ich eigentlich?“

Fair Reisen ist nicht ganz so einfach wie faire Bananen zu kaufen. Aber der Bereich wächst. Christine Plüss hat Tipps für den Dschungel der Fairness-Labels.

Fair Trade, damit die profitieren, die besucht werden. Bild: dpa

taz: Frau Plüss, wenn wir jetzt beschließen: Wir wollen dieses Jahr fairen Urlaub machen – wie fangen wir das an?

Christine Plüss: Die erste Frage ist: Was brauche ich eigentlich, wie weit weg muss ich dafür fahren? Wenn es nur darum geht auszuspannen …

Ist dann die Devise: je weniger weit, desto besser?

Ja, und wenn Sie Zeit haben auch erdgebunden anfahren. Sich Zeit nehmen für die Reise selbst, für dieses Erlebnis. Der zweite Punkt: Beginnen Sie früh damit, sich diesen Urlaub vorzustellen, sich darauf zu freuen. Das verlängert ihn ungemein.

Und wenn wir ein Ziel ausgesucht haben?

Dann können Sie beim Buchen entscheidende Weichen stellen. Wir vom Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung sagen: Wählen Sie ganz bewusst verantwortlich gestaltete Angebote. Gehen Sie zu einem Anbieter, der Sie gut berät. Auch im Internet: Fragen Sie bei jedem Teil nach.

CHRISTINE PLÜSS ist Geschäftsführerin vom „arbeitskreis tourismus und entwicklung“, einer Schweizer Fachstelle, die sich für gerechten Tourismus engagiert und mit www.fairunterwegs.org ein Portal für nachhaltiges Reisen betreibt.

Gibt es dafür so was wie ein Nachhaltigkeits-Siegel?

Es gibt über 100 Siegel. Wir haben 20 davon in einem Label-Führer kommentiert. Das finden Sie auf unserem Reiseportal fairunterwegs.org. Wir haben die Labels analysiert und sagen, was welches Label abdeckt und was es glaubwürdig macht.

Gibt es faire Pauschalreisen?

Bislang gibt es ein komplett nach Fairhandels-Kriterien zertifiziertes Reiseangebot nur in Südafrika. Dorthin gibt es ganze Reisepakete, die nach Fairhandels-Kriterien gestaltet sind, in Deutschland bei SKR. Da lässt sich dann auch der Veranstalter überprüfen, ob er mit seinen Mitarbeitern fair umgeht und wie die Handelsbedingungen sind. Genau wie bei den fair gehandelten Bananen. Aber das hat gerade erst angefangen. Es gibt aber eine Vielzahl von verantwortlich gestalteten Reisen, die sowohl ökologische wie soziale Kriterien beachten. Auf unserer Website finden Sie ganz einfache Kriterien, woran man solche Angebote erkennen kann und was man beim Buchen nachfragen sollte: Was haben die Einheimischen davon? Wie wird die Umwelt genau geschützt? Was wird mit dem Abfall getan? Wie wird Wasser gespart? Wie sind die Arbeitsbedingungen? Das ist gar nicht kompliziert, lässt sich auf einem Taschentuchformat zusammenfassen.

Bei der Anreise kommt man um einen Flug häufig nicht herum. Haben Sie dafür Empfehlungen?

Tourismus ist dabei, zum Klimakiller Nummer eins zu werden, vor allem wegen der Flugreisen. Wenn sich eine Flugreise nicht vermeiden lässt, ist es gut, bei einem seriösen Anbieter wie Atmosfair, Myclimate oder der Klimakollekte den CO2-Ausstoß zu kompensieren. Der Betrag, den man für die Kompensation zahlt, entspricht aber noch in keinster Weise den gesamten Umweltschäden, welche die Mobilität verursacht. Wir empfehlen deswegen, alles zu vermeiden, was man vermeiden kann und stattdessen lieber Slow Mobility ganz auszuschöpfen: Zu Fuß gehen, Fahrrad fahren - das tut auch gut.

Abgesehen von den Flügen - sind faire Reiseangebote irrsinnig viel teurer als konventionelle?

Das ist überhaupt nicht zwingend so. Wenn Sie eine faire 5-Sterne-Reise buchen, was es ja auch gibt, sind Sie natürlich im hohen Preissegment und dann kostet das viel. Aber auf die bisher wenigen komplett als fair bezeichneten Reise-Packages wird nur eine Prämie von fünf Prozent erhoben. Die fünf Prozent auf den Reisepreis kommen in einen Entwicklungsfonds. Da kommt ganz schön was zusammen für lokale Entwicklung, die jene, die von fairen Reisen profitieren sollen, selbst bestimmen können. Das ist jetzt im Aufbau. Das kann in einem bestimmten Gebiet schon einen großen Unterschied machen, genau wie die Prämie auf fair gehandelte Bananen. Die sind ja auch nicht unermesslich teuer. Nur kommt bei Reisen schneller einiges an Geld zusammen, weil eine Reise nun mal ein kostspieligeres Produkt ist als eine Banane.

Haben Sie auch Tipps für Individualreisende?

Ja, an die wenden wir uns in erster Linie. Genau in diesem Segment, wo sich Leute individuelle Reisen aus Bausteinen zusammenbauen, ist es wichtig, sich schlau zu machen und zu prüfen, wo es möglich ist, diesem Wunsch zu entsprechen: auf die Umwelt zu achten und im Einklang mit der Bevölkerung zu reisen.

Was ist mit Volunteering auf Reisen - schadet es oder nützt es?

Wir stehen dem ganzen Boom sehr kritisch gegenüber: Eine Reise wird nicht automatisch gut, weil man Gutes zu tun beabsichtigt. Ich kann jeden gut verstehen, der von den ganzen vorfabrizierten Reiseangeboten mit ihren Attraktionen, wo Leute mit ihren Volkstänzen vorgeführt werden, die Nase voll hat, und in den Ferien etwas anderes machen möchte. Es gibt Projekte, die wir als No Go bezeichnen: Es dürfen keine Einsätze in Schulen oder Waisenhäusern mit Kindern und Jugendlichen stattfinden - und die sind ja wahnsinnig beliebt. Jeder kommt sich ja vor wie der Wohltäter schlechthin, den Kindern da ein paar Tage über die Köpfe zu streicheln. Und dann zieht die Karawane weiter. Es gibt in Kambodscha dutzende Waisenhäuser, die extra für diese Nachfrage gegründet wurden. Die Kinder dort sind hochgradig beziehungsgestört, weil sie ja keine Bindungen entwickeln können. Ein Problem ist auch, dass Reiseveranstalter sich ihre Kundschaft nicht aussuchen können - während Entwicklungsagenturen ihre Freiwilligen auf Herz und Nieren prüfen. Es wird wahrscheinlich nicht schaden, wenn Sie in Afrika ein paar Tage bei der Baumwollernte helfen - auch wenn die von Ihnen gepflückte Baumwolle dem Bauern vermutlich nicht viel Ertrag bringt.

Gibt es faire Reiseangebote in Europa?

Zum Beispiel beziehen die Schweizer Jugendherbergen alle ihre Produkte entweder aus lokaler Produktion oder aus fairen Handel. Das tun sehr viele Unterkünfte in Europa. Aber dann müssten sie auch noch faire Arbeitsbedingungen haben. Und da sieht es meist nicht gut aus. In manchen Skiorten zum Beispiel sind die Arbeitsbedingungen absolut lausig - vergleichsweise sogar schlechter in als in einer Drei-, Vier-oder Fünf-Sterne-Anlage in einer durschnittlichen Fernreise-Destination.

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