Verbaute Landschaften: Böden, ade!

Flächenversiegelungen sind ein großes Umweltproblem. Mit „Was wäre, wenn ...“-Analysen sollen die Folgen von Gesetzesvorhaben nun geprüft werden.

Neubausiedlungen fressen sich immer tiefer in die Landschaft hinein. Bild: imago/Hans Blossey

MÜNCHEN taz | Wo man hinsieht, werden Wohnanlagen hochgezogen, Gewerbegebiete, Produktionshallen und Einkaufszentren gebaut, Straßen asphaltiert, Bahngleise verlegt, Golfplätze und Schwimmbäder angelegt – all das verschlingt täglich eine Fläche von 70 Hektar, das sind rund 100 Fußballfelder, so belegt es der kürzlich erschienene „Bodenatlas“, erstellt unter anderem von der Heinrich-Böll-Stiftung.

Es wird also immer mehr Wohnraum und die dazugehörige Infrastruktur geschaffen, obwohl die Bevölkerung schrumpft. Zwar belief sich dieser Flächenfraß schon einmal auf knapp 140 Hektar, doch das Ziel der Bundesregierung sind lediglich 30 Hektar bis 2020.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordert gar eine weitere Reduzierung der Flächenversiegelung auf null bis 2050. Man ist weit entfernt von solchen Zielsetzungen.

Derzeit werden 52 Prozent der deutschen Flächen landwirtschaftlich genutzt, 30 Prozent sind mit Wald bedeckt, 14 Prozent gehen auf das Konto von Siedlung und Verkehr, den Rest machen Binnengewässer aus. Dass sich Siedlungen auf Kosten anderer Flächen immer weiter ausdehnen, zählt zu den größten Umweltproblemen von Industrieländern. So wird etwa die Artenvielfalt geschmälert, weil Biotope zerstört oder zerschnitten werden.

Zudem sind versiegelte Böden auch von Nachteil für die Klimabilanz, weil Moore, Wälder aber auch Grünflächen Kohlendioxid (CO2) binden, und sie können den Regen nicht so gut aufnehmen, was Hochwasser begünstigt.

Ackerflächen schrumpfen

Flächenfraß ist auch deshalb unerwünscht, da Ackerflächen für Lebensmittel- oder Energieerzeugung verloren gehen – rund 40 Prozent der zubetonierten Flächen wären theoretisch für die Landwirtschaft nutzbar. Alle 10 Jahre geht eine komplette Getreideernte verloren. Und durch die Energiewende mit den neuen Stromtrassen und Windrädern werden den Bauern noch weitere Ackerflächen entzogen. Von 1992 bis 2013 hat die Landwirtschaft 891.900 Hektar Boden an Siedlung (817.700 Hektar), Wald (362.600 Hektar) und Wasser (83.400 Hektar) abgeben müssen.

„Angesichts global begrenzter Landwirtschaftsflächen und fruchtbarer Böden sowie der wachsenden Weltbevölkerung ist der anhaltende Flächenverbrauch mit all seinen negativen Folgen unverantwortlich“, schreibt das Umweltbundesamt (UBA) in einem Positionspapier aus dem Jahr 2014.

Und hier gilt es vorsorgend zu handeln, denn: Um nur zwei Zentimeter fruchtbaren Boden nach einer Versieglung – etwa durch Beton – wiederherzustellen, braucht es 500 Jahre. „Böden sind schließlich keine tote Masse, sondern eine gewaltige Mikrowelt“, sagte Klaus Töpfer gegenüber der Frankfurter Rundschau. Ganz abgesehen davon werden durch die Zersiedlung bäuerliche Kulturlandschaften zerstört. Zudem weichen Landwirte immer häufiger auf Grünland, also Weideland aus, um ihre Flächenverluste auszugleichen. Auch das ist wenig sinnvoll, da die Wiesen durch die extensive Bewirtschaftung sehr reich an Humus sind und damit viel CO2 speichern.

Noch mehr Straßen

Der Bau von Straßen, Flughäfen oder Bahnlinien hat noch weitere negative Nebenwirkungen, da dadurch mehr Lärm, mehr Luftschadstoffe und auch ästhetische Probleme entstehen. Deutschlands Straßennetz ist eines der dichtesten der Welt. Trotzdem gibt es Pläne, dieses noch weiter auszubauen.

Besonders rund um westdeutsche Großstädte und im Umland von Berlin wird viel gebaut, während vor allem in ländlichen Gebieten und im Osten Deutschlands immer mehr Gebäude leer stehen und Brachflächen zurückbleiben. Im Jahr 2011 waren 1,7 Millionen Wohnungen unbewohnt, im Jahr 2030 sollen es bis zu 4,6 Millionen sein, hat das BBSR ausgerechnet.

Schuld daran ist zum einen der wirtschaftliche Strukturwandel, der etwa dazu führt, dass immer mehr Einzelhändler ihre Betriebe aus der Stadt in Gewerbegebiete verlagern, Stichwort: Internethandel. Zudem werden Güter über immer weitere Strecken transportiert. Aber auch der Lebensstil hat sich gewaltig verändert. Auch der Mensch hierzulande braucht mehr Wohnraum, 2013 waren es 45 Quadratmeter, 1950 nur 15 Quadratmeter. Vor allem betagte Menschen bleiben dort wohnen, wo einst schon die ganze Familie gelebt hat.

Auf dem Land wird es teurer

Und der Nachwuchs zieht dann oft lieber in Ein- und Zweifamilienhäuser, die rund 450 Quadratmeter inklusive Garten und Garage in Anspruch nehmen, anstatt in Mehrfamilienhäuser. Je mehr die Menschen außerhalb von Städten siedeln, desto teurer wird es, da Siedlungen Infrastruktur wie Geschäfte, Straßen oder Kläranlagen benötigen. Auf dem Land brauchen zum Beispiel 100.000 Menschen 31 Klärwerke, in der Stadt sind es lediglich 4.

Dabei gäbe es in den Städten ein hohes Potenzial für Wohnungen und Gewerberäume in Baulücken und Brachflächen. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat bundesweit bis zu 165.000 Hektar solcher Flächen ausgemacht. Das Wort „Flächenrecycling“ ist daher in aller Munde, das heißt, dass Gebäude auf Brachflächen saniert oder neu errichtet werden. Für Bauträger sind solche Ruinen jedoch wenig attraktiv, da hier oft noch alte Gebäude mit maroden Fundamenten und Versorgungsleitungen stehen, möglicherweise gibt es auch noch Altlasten. Trotzdem sehen hier die Experten eine Chance, da das Leben in der Stadt wieder als attraktiv gilt.

Doch nicht nur die Städte müssen wieder belebt und begrünt werden. Unzählige andere Faktoren sind zu bedenken: So fordert das UBA unter anderem schädliche Subventionen wie die Pendlerpauschale abzubauen. Die BBSR-Wissenschaftler schlagen vor, den Bau von neuen Siedlungen und Gewerbegebieten durch höhere Auflagen zu erschweren. Ein weiterer Vorschlag ist die Grunderwerbssteuer abzuschaffen und dafür eine Flächenverbrauchssteuer für Bauvorhaben auf der grünen Wiese einzuführen.

Nicht bebaubare Zonen

Zudem könnte man bei Neubauten auf wasserdurchlässige Materialien setzen. In England gibt es rund um Städte sogenannte Vegetationsgürtel, die nicht bebaut werden dürfen. Grünbrücken über Autobahnen könnten der Zerschneidung von artenreichen Biotopen entgegenwirken.

Hilfreich um die Wirkung von auf dem Reißbrett entstandenen Projekten vorherzusagen, ist der sogenannte Land Use Scanner, der seit Kurzem vom BBSR eingesetzt wird. Ein Beispiel: Durch die Umsetzung der Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie würden deutlich mehr Gebiete entlang der Flüsse als bisher für den Hochwasserschutz vorgesehen. Dadurch verlagert sich die Nachfrage nach neuen Siedlungsflächen.

„Wir können nun untersuchen, wohin“, so Roland Goetzke vom BBSR. „Und können schauen, ob es beispielsweise Konflikte mit anderen Nutzungen gibt, etwa mit der Landwirtschaft oder dem Naturschutz.“

Nordrhein-Westfalen geht mit gutem Beispiel voran. Es hat sich als erstes Bundesland verbindliche Ziele in ihrem Landesentwicklungsplan gesetzt. Ein Großteil der Deutschen unterstützt übrigens solche Pläne: 67 Prozent der Bundesbürger sprechen sich für einen gesetzlichen Schutz von Äckern und Grünland aus.

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