Verbotene Bücher: „Das Wort ‚kurdisch‘ reicht schon aus“

Kritische Bücher werden in der Türkei nicht nur verboten. Die türkische Justiz instrumentalisiert sie auch als Beweismittel für Terrorvorwürfe.

Der Journalist Fehim Taştekin.

Autor des verbotenen Buches „Rojava: Zeit der Kurden“: Der Journalist Fehim Taştekin Foto: Dilek Şen

Knapp zwei Wochen nach dem Referendum über die Unabhängigkeit der Kurdenregion im Nordirak, wurde das Buch „Rojava: Die Zeit der Kurden“ am 11. Oktober von einem türkischen Gericht verboten. Das im September 2016 im Istanbuler Verlag İletişim veröffentlichte Buch enthält Reportagen und Analysen aus und über die Lage der Kurden in der Region Rojava und wurde vom Journalisten Fehim Taştekin verfasst.

Exemplare, die sich bereits im Umlauf befinden, sollen beschlagnahmt werden. Die türkische Justiz macht dem Buch einen an Irrsinn kaum zu übertreffenden Vorwurf: Es soll „die Qualität einer terroristischen Organisation“ haben.

„Zum ersten Mal wird ein Buch als Terrororganisation qualifiziert. Dieser Vorwurf ist absurd“, sagt der Autor der taz. Er hat Recht. Dass ein Buch als „Terrorpropaganda“ klassifiziert wird, ist nichts Neues. Aber ein Buch, das mit einer Terrororganisation gleichgesetzt wird, schon.

Erschreckende Logik

Das Gericht in Adıyaman, einer Provinz im Südosten der Türkei, das über Taştekins Buch entschied, hat im selben Urteil auch noch zwei weitere Bücher, die sich mit der Geschichte der Kurden und ihren Konflikten befassen, mit der selben Begründung verboten: Das 1994 veröffentlichte Buch „Birakuji“ des Journalisten Faysal Dağlı und „Kurdische Geschichte“ von Journalist Aytekin Gezici aus dem Jahr 2013. Gezici war im September 2015 wegen „Beleidigung des Staatspräsidenten“ zu knapp neun Jahren Gefängnisstrafe verurteilt.

Alle Bücher, auch alle verkauften Bücher, sollen nach dem Gerichtsentscheid beschlagnahmt werden und nicht mehr vertrieben werden dürfen.Über das Verbot seines Buches sagte Taştekin der taz: „Es reicht schon aus, dass man die Begriffe ‚kurdisch‘ oder ‚Rojava‘ benutzt, um von Erdoğan kriminalisiert zu werden“. Die Logik, mit der gegenwärtig solche Entscheidungen getroffen würden, sei erschreckend.

In „Rojava: Zeit der Kurden“ erzählt Taştekin, der einer der prominentesten türkischen Analytiker des Nahen Ostens ist und auch auf dem englischsprachigen Online-Portal Al Monitor publiziert, die Geschichte der Kurden in Syrien und die für sie in den letzten Jahren geopolitisch relevanten Entwicklungen in der Region.

Informationsbedarf über Syrien

Der Journalist fragt darin, wie die nordsyrisch-kurdische Partei PYD entstand, mit wem sie sich verbündete und wie sie mit Rojava ein quasi-autonomes Gebiet im Norden Syriens erschaffen konnte. Außerdem untersucht Taştekin die ethnisch-konfessionelle Konstellation in der Region und die Repressalien, denen die kurdische Bevölkerung dort ausgesetzt war. Er habe das Buch geschrieben, weil ein historischer Blick unumgänglich sei, um die Lage vor Ort zu verstehen. So findet sich in diesem Buch auch die hundertjährige Geschichte der Kurden in Syrien, die der Autor mithilfe zahlreicher historischer Quellen skizziert.

In einem Interview mit Taştekin, das im September 2016 in der türkischen Zeitung Cumhuriyet erschien, sagte der Autor: „Lange Zeit waren die syrischen Kurden nur im Zusammenhang mit der PKK ein Thema in der Türkei. Dann sahen wir auf einmal, wie entlang der türkisch-syrischen Grenze ein großer Streifen in das Gelb der PYD gefärbt wurde. Statt sich mit der gesellschaftliche Organisation der PYD auseinanderzusetzen, haben wir uns bisher mit billigen Polemiken der türkischen Regierung aufgehalten.“

Das Buch sei entstanden, weil es einen Bedarf an objektiven Informationen über Syrien gebe, so Taştekin. Neben „Rojava: Zeit der Kurden“ veröffentlichte Taştekin zwei weitere Bücher: „Syrien: falle und gehe, widersetze dich und bleibe“ und „Wenn die Dunkelheit einbricht“. In „Syrien: falle und gehe, widersetze dich und bleibe“, erschienen im November 2015, liefert der Autor eine historische Analyse des syrischen Bürgerkriegs.

Erfundene Beweismittel

In „Wenn die Dunkelheit einbricht“ setzt er sich mit der Organisationsform des sogenannten Islamischen Staates, sowie den von der islamistischen Terrororganisation besetzten Gebieten, ihren historischen und ideologischen Wurzeln, Finanzquellen und Außenbeziehungen auseinander. Sein aktuelles Buch aber wird gerade zu seinem bekanntesten.

Es wird von den Behörden in mehreren Fällen angeklagter Personen als Hinweis auf deren vermeintliche „Terrorpropaganda“ verwendet. Unmittelbar nach dessen Erscheinen wurden der Anwalt des Menschenrechtsvereins IHD, Ali Bozan und Lehrer und Mitglieder der Bildungsgewerkschaft Eğitim-Sen, eine Organisation, die unter anderem mit der Unterzeichnung des Aufrufs der Akademiker für den Frieden ins Visier der Behörden gelangte, festgenommen.

In den Wohnungen der Festgenommen fanden die Behörden Taştekins Buch. Taştekin sagte der taz: „Das Buch wurde erst ein Jahr nach der Veröffentlichung verboten. Offenbar versuchen die Behörden jetzt belastendes Material gegen die festgenommenen Personen zu erfinden.“ Auch bei Aydın Engin, Kolumnist der Zeitung Cumhuriyet und deren ehemaliger Chefredakteur, der zur Zeit mit den 17 Mitarbeiter der Zeitung vor Gericht steht, wurde das Buch gefunden. Auch er wurde während seines Verhörs gefragt, warum er das Buch besitzt.

Nicht das erste Mal

Die Geschichte der Kriminalisierung derjenigen, die offen über die Geschichte, die Konflikte und den Kampf der Kurden schreiben, ist in der Türkei eine lange. Allein in den letzten Jahren wurden etliche Bücher verboten, darunter die beiden Bücher der Journalistin Arzu Demir „Im Krieg, im Frieden und in der Freiheit: Die Situation der Frau in den Bergen“, in dem das Leben von 11 Frauen bei der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK erzählt wird und „Revolution in Rojava“.

„Die Situation der Frau in den Bergen“ verkaufte sich zu diesem Zeitpunkt schon in der siebten Auflage. In dem Buch fragte die Autorin die Guerillakämpferinnen, weshalb sie in die Berge gegangen seien oder wie dort mit traditionellen Geschlechterrollen umgangen werde. Für „Revolution in Rojava“ wurde die Autorin wegen „Terrorpropaganda“ verurteilt.

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