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Verdi und Klima-Allianz zu ÖPNVVerkehrswende wird nichts ohne gute Arbeitsbedingungen

Soll der Nahverkehr ausgebaut werden, muss man neues Personal mit attraktiven Konditionen locken. Das sei nicht teuer, so das Ergebnis einer Studie.

„ÖPNV geht nicht ohne die Menschen, die ihn fahren“ Foto: Uwe Anspach/dpa
Marco Fründt

Aus Berlin

Marco Fründt

26 Millionen Menschen in Deutschland nutzen täglich den ÖPNV. Für die Verkehrswende und den Klimaschutz ist der Nahverkehr deshalb eine der wichtigsten Stellschrauben. Aber die Verkehrswende benötigt Personal, und dieses Personal braucht vernünftige Arbeitsbedingungen. Um diese zu schaffen, müsse man in erster Linie mehr Menschen einstellen, zeigt eine Studie von Ver.di und der Klima-Allianz Deutschland. Die Mehrkosten dafür lägen nur bei 7 Prozent.

Immer mehr Menschen nutzen den öffentlichen Personennahverkehr. „Doch der ÖPNV ist so gefährdet wie noch nie“, sagte Stefanie Langkamp, Geschäftsleiterin Politik der Klima-Allianz, bei der Vorstellung der Studie in Berlin. „In ganz Deutschland werden Strecken gestrichen oder ausgedünnt.“

Dazu komme, dass laut der Studie jährlich etwa 10.000 Beschäftigte den ÖPNV verlassen. Etwa die Hälfte von ihnen geht in Rente, der Rest wechsle aus anderen Gründen den Job.

Und junge Leute kämen kaum nach. „Der Fahrdienst ist wenig attraktiv. Auch im Vergleich zu anderen Branchen“, sagte Christoph Schaaffkamp von der Verkehrsberatung KCW. Neben dem Schichtsystem und schlechter Planbarkeit störe viele, dass Pausen im ÖPNV häufig unbezahlt sind. „Die tatsächliche Anwesenheit am Arbeitsort beträgt so oft zehn, elf, zwölf Stunden. Bezahlt werden sie aber nur für acht“, sagte Schaaffkamp.

Mehrkosten von 7 Prozent

Das liege unter anderem daran, dass Schichten geteilt werden, um Stoßzeiten beim Schul- oder Feierabendverkehr abzufangen. Fah­re­r:in­nen würden dafür in den frühen Morgenstunden sowie nachmittags und abends arbeiten. „Dazwischen haben sie unbezahlte Pausen, die als Freizeit gelten“, sagte der Autor der Studie, Harald Blome.

„Hier haben Unternehmen viel Gestaltungsspielraum. Das ist natürlich mit Kosten verbunden“, sagte Schaaffkamp. 1,76 Milliarden Euro würde demnach das Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen jährlich kosten. Bei Gesamtausgaben von fast 24 Milliarden Euro pro Jahr entspricht das Mehrkosten von sieben Prozent.

Unter die untersuchten Maßnahmen fallen etwa die Begrenzung des Pausenabzugs, eine maximale Schichtlänge von achteinhalb Stunden, eine Mindestruhezeit zwischen den von elf statt zehn Stunden sowie Dienstfrei an mindestens der Hälfte der Wochenenden.

Für Klimaschutz katastrophal

„ÖPNV geht nicht ohne die Menschen, die ihn fahren“, sagte Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz. Von der Politik gebe es nur „salbungsvolle Worte“ zum Ausbau des Nahverkehrs. „Wenn es wirklich darum geht, Mittel zur Verfügung zu stellen, etwa beim Deutschlandticket, schieben Bund und Länder sich gegenseitig den schwarzen Peter zu.“

Für den Klimaschutz sei das katastrophal. Deshalb geht die Studie mit einem Appell an die Politik einher: „Wir wünschen uns, dass dieses Thema mit der nötigen Ernsthaftigkeit behandelt wird“, sagte Langkamp.

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4 Kommentare

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  • Ich lehne mich mal aus dem Fenster: Zehn Jahre später ist der ÖPNV fast komplett autonom unterwegs. Problem gelöst...

  • Auch gute Arbeitsbedingungen, die nicht teuer sind, werden den ÖPNV nicht retten.

    Bei mir z.B.:



    Es gibt EU-Vorgaben, dass jedes Dorf in meinem Landkreis einen Stundentakt erhalten soll, in sehr abgelegenen Regionen als Ruftaxi.



    Diese EU-Vorgaben werden mit dem nächsten Fahrplanwechsel ignoriert, um Kosten zu senken und "um den Nahverkehr attraktiv zu halten" werden in einer Woche viele Fahrten gestrichen.



    Normalerweise muss der Landkreis vertragsgemäß sanktioniert werden, in Wahrheit müssen die Bürger dafür aufkommen.

    Solange es darum geht, eine schwarze Null zu erreichen, wird der Nahverkehr niemals attraktiv werden. Nicht im Neoliberalismus.

  • "Dazu komme, dass laut der Studie jährlich etwa 10.000 Beschäftigte den ÖPNV verlassen. Etwa die Hälfte von ihnen geht in Rente, der Rest wechsle aus anderen Gründen den Job."



    Wie ich neulich einem Feature im Radio zu dem Thema entnahm, ist das Anwerben selbst zum Problem für die Nachbesetzung geworden, denn einige Medien wurden nicht müde, den Abgesang auf die Stellen anzustimmen mit dem forcierten Hype um die gepredigte "Zukunftslösung KI", immer nach dem Motto:



    "Diese Stellen sind nicht zukunftsträchtig". Die Personaler*innen der Verkehrsunternehmen waren auf Stellenbörsen quasi vor 'Herkules-Aufgaben' gestellt.



    Vollautomatisiertes Fahren ist aber wahrscheinlich grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dennoch vielleicht gar nicht erwünscht.



    www.dortmund.de/ne...dtbahn-%C2%A0.html



    Nicht nur Beschäftigte haben den ÖPNV verlassen, leider auch einige Kund*innen.



    Der morgendliche Berufsverkehr mit Nah- und Fernpendler*innen zeigt das im Wandel an, auch bedingt durch mobiles Arbeiten und Home-Office an Montag und Freitag.



    Eine attraktive Offensive ist dringend erforderlich.

  • Früher war ja Linienbusfahrer ein angesehener Beruf zumeist im öffentlichen Dienst, von dem man auch als Alleinverdiener seine Familie versorgen konnte. Dann wurde immer mehr privatisiert, wobei dann die Löhne abstürzten, zusätzlich noch Gewinne erwirtschaftet werden mussten und die Arbeitszeiten zu Lasten der Fahrer "flexibilisiert" wurden.



    Wenn man jetzt mal die direkten Subventionen ausrechnet und die indirekten Kosten für Aufstockung zu niedriger Löhne und Renten dazu nimmt könnte sich ja vielleicht eine Rekommunalisierung mit sicheren Arbeitsplätzen und auskömmlich Löhnen ergeben.