Verdi wächst wieder: Sich gemeinsam wehren

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zählt zum ersten Mal seit ihrer Gründung mehr Eintritte als Austritte. Auch, weil Tarifkonflikte eskalieren.

Kein Bock auf Jeff Bezos – aber auf Verdi: Amazonmitarbeiter im Streik. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Zeit des großen Schrumpfens ist vorbei. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung im Jahr 2001 verzeichnet die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi einen Mitgliederzuwachs. „Wir haben ein ereignis- und erfolgreiches Jahr hinter uns“, sagte Verdi-Vorsitzender Frank Bsirske am Dienstagabend in Berlin. Die vorläufige Bilanz für das Jahr 2013: 131.000 Mitglieder sind neu eingetreten, 129.300 Mitglieder sind ausgetreten. Vor allem unter den Erwerbstätigen verzeichnet die Gewerkschaft Zuwächse.

Verdi blickt auf über ein Jahrzehnt des Aderlasses zurück. Bei ihrer Gründung zählte die Organisation noch rund 2,8 Millionen Mitglieder, derzeit sind es knapp 2,1 Millionen. Vor allem der Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst oder in der Druckindustrie, aber auch die Deregulierung von Beschäftigungsverhältnissen ließen die Gewerkschaft schrumpfen. Denn dort, wo sich Niedriglöhne und Minijobs ausweiten, ist es schwer, Beschäftigte zu organisieren oder zu halten.

Mit einem bisher zarten Plus von rund 1.700 Mitgliedern in 2013 beschreitet Verdi nun den gleichen Weg wie die IG Metall. Die Industriegewerkschaft mit derzeit rund 2,2 Millionen Mitgliedern wächst bereits seit 2011 wieder. Neue Organisierungsmethoden in den Betrieben, eine konsequente Kampagne gegen die Leiharbeit aber auch ein stärkeres „Rückholmanagement“ bei Austrittswilligen brachten den Erfolg.

Bei Verdi nehmen die Eintritte vor allem bei Tarifkonflikten zu - und die werden in einigen Branchen zahlreicher oder auch grundsätzlicher. Als die Arbeitgeber im Einzelhandel Anfang des Jahres im ganzen Bundesgebiet die Manteltarifverträge kündigten, traten rund 28.000 Beschäftigte der Gewerkschaft bei. Zum einen, um sicher in den Genuss der Nachwirkung eines ausgelaufenen Tarifvertrages zu kommen. „Aber auch, weil das Bewusstsein wächst, dass man sich gemeinsam wehren muss“, sagt Bsirske.

Signalwirkungen gingen im laufenden Jahr auch von Streiks des privaten Sicherheitspersonals an Flughäfen in Nordrhein-Westfalen und Hamburg aus. Beschäftigte und Gewerkschaft betraten mit diesen Arbeitskämpfen in der Niedriglohnbranche Neuland - und konnten bis zu 22 Prozent mehr Lohn erstreiten.

Auf neuem Terrain bewegt sich Verdi derzeit auch bei Amazon. Für die verschiedenen Amazon-Standorte im Bundesgebiet will die Gewerkschaft seit Monaten den Tarifvertrag des Versandhandels durchsetzen. Amazon unter dem us-amerikanischen Unternehmer Jeff Bezos weigert sich bisher standhaft, Verdi auch nur als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Die Firma orientiert sich bei der Bezahlung an den niedrigeren Löhnen der Logistikbranche und hält Arbeitnehmervertretungen für überflüssig. "Amazon will alles sein, nur kein Versandhändler. Das ist ein grundsätzlicher Konflikt und der Versuch, us-amerikanische Arbeitsbedingungen zu europäisieren", sagte Bsirske.

Durch sogenannte Organizing-Projekte hat Verdi bei den rund 9.000 Beschäftigten der sieben Versandzentren einen ersten Fuß in die Tür bekommen. Am Standort in Bad Hersfeld sind laut Verdi mittlerweile in einzelnen Schichten über die Hälfte der 1.000 bis 1.200 Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert. Noch für die Weihnachtszeit sind weitere Streiks geplant.

Damit der Mitgliederzuwachs keine Eintagsfliege bleibt, will sich die Organisation in den nächsten Jahren auch intern neu aufstellen. So soll die Präsenz in Betrieben verstärkt und den Mitgliedern mehr Service geboten werden. Mehr Mitglieder zahlen sich nicht zuletzt bei den finanziellen Möglichkeiten der Organisation aus. 2013 werden die Beitragseinnahmen bei rund 434 Millionen Euro liegen. Sie steigen bereits zum dritten Mal in Folge an.

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