Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Wege aus der Hölle

Kinder und Karriere lassen sich einfach nicht vereinbaren. So seufzen derzeit viele Autoren. Warum das nicht weiterhilft.

Verursachen Vorbilder, die sieben Kinder und Karriere spielend hinbekommen, Stress? Die Familie von der Leyen Bild: dpa

Der Sohn war gut ein Jahr alt, als er zum ersten Mal zwei zusammenhängende Sätze sagte. „Mama da“, lautete der erste. Dann: „Papa auch da?“ Eine Feststellung, mit dem verwunderten Unterton einer Frage.

Es war die Frage eines Kindes zweier arbeitender, gut organisierter Eltern. So gut organisiert, dass sie sich praktisch immer die Klinke in die Hand gaben. Kommst du rechtzeitig aus dem Büro, damit ich Sport kann? Bestellst du den Babysitter, ich habe noch einen Treffen mit einem Kunden? Alltag im Takt des Familienplaners. Mit dem Ergebnis, dass sich der einjährige Sohn offenbar fragte, was hier los sei, wenn sich seine Eltern beide gleichzeitig mit ihm in einem Raum befanden.

Es sei einer dieser Momente gewesen, der sie habe aufschrecken lassen, schreiben die Autorinnen Susanne Garsoffky und Britta Sembach in ihrem gerade erschienenen Buch „Die Alles-ist-möglich-Lüge: Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind“. Sie erzählen darin von ihren eigenen Versuchen, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bekommen und kommen zu dem Ergebnis: Wir müssen uns eingestehen, dass es einfach nicht geht. Und das ist auch keine Frage der Organisation.

Das Wort von der Vereinbarkeitslüge hat in diesem Jahr Karriere gemacht. Auf der Onlineseite des Magazins Cicero schreibt Alexander Grau einen Artikel unter demselben Stichwort. Seine These: Die Forderung, Beruf und Familie müssen vereinbar sein, komme der Sehnsucht nach einem folgenlosen Leben gleich. Eltern müssten Verantwortung für ihre privaten Entscheidungen übernehmen und auch die Konsequenzen tragen. In der Wochenzeitung Zeit erschien ein vielbeachteter Text, in dem zwei Autoren schreiben, ihr Leben zwischen den Erwartungen ein hervorragender Vater und ein hervorragender Journalist zu sein, sei die Hölle.

Kinder und Karriere lassen sich einfach nicht vereinbaren, klagen zusehends mehr Mittelschichtseltern. Und es geht doch. Alles eine Frage der Verhandlung. Den Beweis finden Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. September 2014. Außerdem: Wir könnten alle in Grand Hotels leben, wirklich. Ein Visionär rechnet das vor. Und: Warum das zweite Album von Kraftklub doch nicht scheiße ist. Ein Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

„Es gibt keinen Ausweg aus diesem Dilemma“, schreiben sie im letzte Absatz ihres Textes. „Aber es könnte schon eine Hilfe sein, das einmal auszusprechen, statt immer weiter die Vereinbarkeitslüge zu verbreiten. Denn auch die produziert wieder nur: Stress.“

Aber kann das ein Fazit sein? Das es einfach nicht geht? Muss es nicht doch Wege geben, wie zwei Dinge, die sich Menschen wünschen, zur selben Zeit in ein Leben passen? Engagiert arbeiten und erfüllt Kinder erziehen.

Zwei Gesetzesvorschläge des Familienministeriums

60 Prozent der Eltern mit Kindern zwischen einem und drei Jahren wünschen sich, dass beide Partner gleich viel arbeiten und sich gemeinsam um Betreuung und Haushalt kümmern. Nur 14 Prozent geben an, dass das klappt.

Die Titelgeschichte „Kann Verhandeln die Liebe retten?“ der taz.am wochenende vom 27./28. September 2014 sucht nach Menschen, denen es gelingt, Modelle für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu finden und fragt nach ihren Strategien. Dafür porträtieren wir ein Berliner Paar, dass vor der Geburt des gemeinsamen Kindes einen Vertrag unterzeichnete: Sie wechseln sich mit der Betreuung des Kindes und dem Haushalt tageweise ab. Wir besuchen eine IT-Fachfrau bei BMW, die Anfang der neunziger Jahre konservative Manager überredete, Geld in eine Kita zu stecken und eine Poltikerin in Oslo, die dort die ersten Revolutionen in der Familienpolitik mit erkämpfte.

Glück scheint eine Frage der Verhandlung zu sein. In den Beziehungen, den Betrieben und der Politik.

Der Bundestag beriet an diesem Freitag über zwei Gesetzesvorschläge des Familienministeriums: den weiteren Kitaausbau und das Elterngeld Plus. Das Elterngeld Plus soll besonders ein Modell für Familien schaffen, die sich gemeinsam um Kinder kümmern und beide arbeiten wollen. Wenn Eltern gleichzeitig in Teilzeit arbeiten, können Eltern in Zukunft doppelt so lange Elterngeld ohne das sich die Gesamtsumme des ausgezahlten Elterngelds durch das Teilzeitgehalt mindert. Das Gesetz ist für 2015 geplant.

In der Bundestagsdebatte verteidigte Manuela Schwesig auch noch einmal ihren Vorstoß einer 32-Stunden-Woche für Eltern. Als sie die Idee das erste Mal äußerte wurde sie noch zurückgepfiffen. Regierungssprecher Steffen Seibert nannte den Vorschlag einen „persönlichen Debattenbeitrag“ der Ministerin.

Wissenschaftlerinnen kritisieren, familienpolitische Maßnahmen bevorteilen eine überdurchschnittlich gut ausgebildete Schicht der Gesellschaft. In der Diskussion um flexible Arbeitszeiten und ein Ende der Präsenskultur redet niemand von der Schichtarbeiterin in der Fertigungshalle.

Was meinen Sie: Lassen sich Familie und Beruf vereinbaren? Ist es gut, wenn Menschen davon berichten, dass es nicht klappt und so anderen den Druck nehmen, dass es an ihnen selbst liegt, wenn sie ständig ausgebrannt zwischen Job und Kita hin- und herhetzen? Oder sind Worte wie die von der Vereinbarkeitslüge nur Bremsen bei der Suche nach Lösungen? Und wer muss die zuerst finden: die Paare selbst, die Wirtschaft oder die Politik?

Diskutieren Sie mit!

Die Titelgeschichte „Kann Verhandeln die Liebe retten?“ lesen sie in der taz.am wochenende vom 27./28. September.

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