Vereinbarkeit von Topsport und Familie: Familie auf Durchreise

Als zweifache Mutter schlägt sich Tatjana Maria im Tenniszirkus durch, gerade etwa in Wimbledon. Doch sie wünscht sich mehr Unterstützung.

"Ich liebe mein Leben": Tatjana Maria steht in der dritten Runde von Wimbledon.

„Ich liebe mein Leben“: Tatjana Maria steht in der dritten Runde von Wimbledon Foto: Reuters

Über die kleinen und großen Problemchen ihrer lieben Kolleginnen kann Tatjana Maria nur milde lächeln: die matschigen Nudeln im Spielerrestaurant, den ausgebuchten Lieblingstrainingsplatz im ­Aarongi Park, die nicht pünktliche Limousine des Fahrdienstes. Maria, die zweifache Mutter, hat oft andere Sorgen.

Zum Beispiel am Montag, dem verregneten Eröffnungstag der Offenen Englischen Meisterschaften: Ihr Spiel gegen die Australierin Astra Sharma schob sich immer weiter in den Abend hinein, und Maria musste sich auf einmal nicht nur um Aufschlag, Vor- und Rückhand kümmern, sondern auch um die Kinderbetreuung ihrer gerade einjährgen Tochter Cecilia. „Zum Glück haben die noch eine Stunde länger geholfen und nicht schon abends um acht zugemacht“, sagt Maria.

Keine andere aktive Spielerin muss die ohnehin schon großen Strapazen auf der Tour mit zwei Kindern managen – den Töchtern Charlotte, 8, und ­Cecilia, 1 –, und dennoch sorgt die gebürtige Bad Saulgauerin immer wieder für erfrischende Coups auf dem Centre Court: „Ich liebe mein Leben, auch wenn es anstrengend ist“, sagt die 34-Jährige. Sie hat die dritte Runde erreicht, gegen die Rumänin Sorana Cirstea machte sie noch einen 0:3-Rückstand im dritten, entscheidenden Satz wett. „Ich kann nur immer wieder den Hut vor Tadde [ihr Spitzname; d. Red.] ziehen“, sagt DTB-Frauenchefin Barbara Rittner, „an ihrer Kampfkraft und der Liebe zu ihrem Sport können sich viele ein Beispiel nehmen.“

„Aus allen Hoffnungen gerissen“

Maria ist mit ihrer schwierigen Lebensgeschichte durchaus die Mutter Courage im deutschen Tennis, vielleicht im deutschen Sport insgesamt. Denn gerade als sie nach vielversprechenden Jahren als junge Tennisspielerin so richtig loslegen wollte, wurde sie 2008 „aus allen Hoffnungen gerissen“. Nach einer Lungenembolie kämpfte sie plötzlich um ihr Leben, schwebte in großer Gefahr. Kaum war ihre gesundheitliche Krise überwunden, musste Maria auch noch die schlimme und traurige Zeit nach dem Tod ihres Vaters und langjährigen Mentors Heinrich überstehen. Gelehrt habe sie das alles auch etwas „ganz Klares“, so Tatjana Maria: „Es gibt wichtigere, ernstere Dinge als Tennis. Deinen Sport musst du entspannt angehen.“

Was ihr, auch mit zwei Töchtern im Gepäck, gerade in Wimbledon gut gelingt. „Rasen ist einfach mein Herzensbelag, meine Liebe im Tennis“, sagt Maria, „hier fühle ich mich wohl.“ Schon 2018 hatte sie für einen späten Paukenschlag in London gesorgt, damals schlug sie die Weltranglistenfünfte Elina Svitolina (Ukraine). Das besondere Gespür für Rasentennis hat mit Marias Feingefühl, ihrer Variabilität und Unberechenbarkeit zu tun: „Sie hat ein ­wahnsinniges Händchen. Und bei ihr weiß man nie, was im nächsten Moment kommt“, sagt Expertin Rittner, „ich möchte in Wimbledon nicht gegen sie spielen.“

Dem harmonischen Familienleben mit Ehemann und Coach Charles sowie den Töchtern können selbst die alltäglichen Herausforderungen nichts anhaben: „Wir genießen das Vagabundendasein, das Herumreisen. Für uns ist das ein Privileg.“ Mehr Unterstützung für Mütter auf der Tour würde sich die Altmeisterin dennoch wünschen, oft würden „die Mamas mit ihren Bedürfnissen alleingelassen“.

Auch sie selbst musste sich nach der Geburt der zweiten Tochter wieder mühsam an die internationale Spitze zurückkämpfen, bei kleineren Turnieren die Punkte hamstern. „Es war wie so oft kein Sprint, sondern ein Marathon.“ In der ­sogenannten Live-­Weltrangliste steht Maria nun wieder unter den Top Hundret, ein großer Erfolg von ihr, die in Florida in direkter Nachbarschaft zu den Williams-Schwestern wohnt.

Ihr Rasentennis könnte auch gegen die Griechin ­Maria ­Sakkari, Nummer fünf der ­Setzliste, in Runde drei für Furore sorgen. In einer Welt des Bum-bum-Tennis sind viele Kontrahentinnen kaum eingestellt auf ihre softweiche Raffinesse, auf die unkonventionellen Schnittbälle mit Vor- und Rückhand, allgemein auf eine Entschleunigung des Spiels. „Ich merke, dass viele jüngere Spielerinnen meine Taktik nervt.“ Im Frühjahr hatte sie ihren zweiten WTA-Turniersieg in Bogotá gefeiert, nun folgt der starke Auftritt in Wimbledon. „Das Schönste daran ist, dass ich all das mit der Familie genießen kann“, sagt sie.

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